Beutewelt VI. Friedensdämmerung. Alexander Merow

Beutewelt VI. Friedensdämmerung - Alexander Merow


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du den Artikel schon gelesen?“, fragte Wilden. „Mache ich morgen!“, gab dieser zurück. „Wo ist der Junge eigentlich?“

      „Der ist in seinem Zimmer und spielt mit deinen Battle Hammer Figuren“, antwortete Julia.

      „Was?“, rief Frank und sprang von seinem Stuhl auf.

      „Ja, dafür sind sie doch da, oder?“

      Kohlhaas sprintete ins Kinderzimmer und erblickte den kleinen Friedrich, der einige von Franks liebsten Zinnminiaturen auf einer kleinen Burg aus Plastik aufgestellt hatte und sie nun mit einem Bällchen bewarf.

      „Tsssiuuu!“, machte Friedrich und die seltenen Sammlerstücke purzelten über den Teppich.

      „Julia!“, brüllte Frank entsetzt. Sein Sohn grinste ihn an.

      „Guck mal, Papa, das ist eine Kanone und die schießt auf die Monster in der Burg“, erklärte der Kleine.

      „Na, toll!“, murmelte Vater Kohlhaas, die Augen verdrehend. Dann machte er sich daran, die Einzelteile seiner Figuren aufzusammeln.

      Der Rest des Jahres 2044 verging, und von kleineren Problemen, wie ramponierten Zinnminiaturen oder dem Älterwerden einmal abgesehen, lebten Frank und seine Freunde glücklich und zufrieden vor sich hin. In regelmäßigen Abständen begab sich Kohlhaas nach St. Petersburg oder Minsk, um seine Waräger auf Vordermann zu bringen oder an wichtigen politischen Sitzungen teilzunehmen. Meistens verband er diese Pflichten mit dem Angenehmen und nahm Julia und Friedrich mit auf seine Dienstreisen.

      Für den März 2045 hatte sich der Weltpräsident erneut angekündigt, um mit Artur Tschistokjow die Abrüstungsfrage zu besprechen. Im Dezember 2044 hatte der Weltverbund noch einmal hochrangige Diplomaten nach Tokio geschickt, um den Kontakt zu Präsident Matsumoto weiter zu pflegen.

      Artur Tschistokjow hatte den Aufbau einer eigenen Atommacht bereits in der Endphase des russischen Bürgerkrieges im Geheimen eingeleitet, denn ihr maß er oberste Priorität zu. Nach und nach ließ er an verschiedenen Orten seines weiträumigen Reiches neue Atomwaffenlager und Stützpunkte errichten, meist unterirdisch. Bis zum Jahre 2045 waren eine Reihe neuer Nuklearwaffenbasen von der Insel Novaja Semlja im Nordmeer bis zu den Einöden vor dem Uralgebirge erbaut worden.

      Der abtrünnige Staatsmann hatte die Bedeutung eines eigenen Atomwaffenarsenals schon lange erkannt, denn es war vollkommen unrealistisch zu glauben, dass Russland im Falle eines Konfliktes mit der Weltregierung, deren Raketenreservoir noch um ein Vielfaches größer war, auf die furchtbaren Waffen verzichten konnte.

      Allein die Vorstellung, dass derartige Mittel eines Tages wirklich einsetzt werden müssten, quälte Tschistokjow sehr. Doch er kannte die Hartnäckigkeit und Skrupellosigkeit seiner Feinde, die sich im Ernstfall um Millionen Menschenleben einen Dreck scherten.

      Die Atombomben sollten demnach in erster Linie als Abschreckung dienen und der Politiker, der sich viel mehr als Erbauer und nicht Zerstörer der Welt verstand, hoffte, dass eine Zeit kommen würde, wo der nukleare Rüstungswahnsinn endlich ein Ende fand.

      Über das genaue Ausmaß der mittlerweile erreichten Stärke von Tschistokjows Atommacht wusste die Weltregierung relativ gut Bescheid, denn Agenten und Spitzel der GSA infiltrierten Russland in zunehmendem Maße. Gelegentlich ließen sich auch Verräter in den Reihen der Rus finden, die gegen gute Bezahlung Informationen preisgaben. Peter Ulljewski und sein Geheimdienst waren derweil ununterbrochen dabei, die eigenen Reihen nach Kollaborateuren, Spionen oder GSA-Männern zu durchforsten. Wen sie erwischten, den erwartete der Galgenstrick.

      Aber auch der russische Geheimdienst selbst, der seit Mitte 2044 ADR, Abwehrsektion der Rus, genannt wurde, hatte längst eine Vielzahl von eigenen Agenten in alle Länder der Welt geschickt, welche die feindlichen Streitkräfte zu unterwandern versuchten und alle möglichen Informationen sammelten. Westeuropa und Nordamerika bildeten die Schwerpunkte der Agententätigkeit der ADR-Männer. Und so beäugten sich die verfeindeten Mächte gegenseitig im Verborgenen, während sie nach außen hin vom Frieden redeten.

      Bis auf bruchstückhafte Informationen wussten die Logenbrüder allerdings wenig über die fortlaufenden militärischen Forschungen rund um das Wissenschaftlerteam von Prof. Hammer, das stetig an der Entwicklung verbesserter Waffen arbeitete. Alle Mitarbeiter dieser wissenschaftlichen Abteilung, die ausschließlich in unterirdischen Geheimlabors tätig waren, unterstanden einer akribischen Überwachung durch die ADR.

      Doch die Vorgänge hinter den Kulissen der Macht interessierten den größten Teil der Russen, Ukrainer und Balten wenig, denn ihr Leben hatte sich in höchstem Maße verbessert und das war für die meisten Einwohner des Nationenbundes das Wichtigste.

      „Die Arbeitslosigkeit ist nach unseren umfassenden Maßnahmen zur Wiederbelebung der einheimischen Industrie, der Landwirtschaft und des Handwerks im Februar auf unter vier Prozent gesunken. Weiterhin hat unser Kampf gegen die um sich greifende Verwahrlosung und Alkoholsucht im russischen Volk bereits Früchte getragen und Hunderttausende unserer Landsleute von der Straße geholt, um sie wieder einem menschenwürdigen Leben zuzuführen!

      Ich kann demnach sagen, dass seit meinem Amtsantritt ein wahres Wunder des wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs stattgefunden hat.

      So gut ging es dem russischen Volk seit Jahrhunderten nicht mehr und viele, die mir anfangs noch mit Skepsis und Unwillen gegenüber gestanden haben, sind eines Besseren belehrt worden und dürfen nun sogar an diesem gewaltigen Werk der Wiederaufrichtung unseres Landes teilhaben!“, verkündete Artur Tschistokjow seiner jubelnden Anhängerschaft.

      „Zudem kann ich bekannt geben, dass die Geburtenrate der russischen Familien in diesem Jahr wieder so weit gestiegen ist, dass wir den Bevölkerungsrückgang nicht nur gestoppt, sondern in ein gehöriges Wachstum umgewandelt haben. Das zeigt mir nur eines: Unser Volk trägt wieder Hoffnung im Herzen und diese Hoffnung soll ihm in Zukunft niemand mehr nehmen können!“

      Frank, Alfred, Julia, Svetlana und sogar Friedrich schenkten Tschistokjow einen gehörigen Applaus und bestaunten noch einmal die riesigen, leuchtenden Drachenkopffahnen, die von der Decke herabhingen.

      Heute fand die erste große Saalveranstaltung der Freiheitsbewegung in St. Petersburg statt und die gesamte Führungsspitze der inzwischen gewaltig angewachsenen Organisation war in die Hauptstadt gereist.

      „Wenn heute jemand aus dem Ausland nach Russland kommt, so wird er sich wundern, wie sehr ihn die internationalen Medien in den letzten Jahren belogen haben. Er wird sehen, dass hier ein Aufstieg stattfindet, von dem die übrigen Völker der Welt, von Japan einmal abgesehen, nur träumen können.

      Vollbeschäftigung, Kultur, Stolz, Werte, Sittlichkeit und Moral – das sind Begriffe, die es in den Ländern der Weltregierung gar nicht mehr gibt.

      Wo sind die großen Errungenschaften der angeblichen „Menschenfreunde“? Wo sind ihre angeblich so glücklichen Völker? Wo sind die großen Zeugnisse ihrer angeblichen „Weltkultur“?

      Ich kann sie nirgendwo sehen und der gewöhnliche Bürger des Weltstaates kann sie auch nirgendwo erblicken! Denn sie existieren überhaupt nicht! Wir füttern unser Volk nicht mit falschen Versprechungen und Lügen, sondern bauen es auf und machen es wieder stark. Wie schrecklich waren die Zustände in den letzten Jahrzehnten hier in Russland und wie sehr hat das inzwischen beseitigte Regime der Logenbrüder dieses Land zerstört!

      Doch die Macht dieser Leute ist mittlerweile hier in Russland gebrochen worden und auch die Folgen ihrer Zerstörungsarbeit werden wir eines Tages endgültig entfernt haben!“, rief Artur Tschistokjow durch die riesige Halle.

      „Wer ist der Mann?“, flüsterte Friedrich seinem Vater ins Ohr, während ein Sturm aus Rufen und Jubelschreien um sie herum ausbrach.

      „Das ist der Chef von Russland!“, erklärte Frank dem kleinen Jungen.

      „Wie heißt der denn?“, wollte Friedrich wissen.

      „Das ist der Onkel Artur!“, sagte Kohlhaas.

      „Und dem gehört ganz Russland?“, fragte der Junge.

      „Sozusagen


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