Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger

Streben nach der Erkenntnis - Klaus Eulenberger


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aber rechts und links des Gummiringes passieren und zwar so, das Schrauben und Draht nicht mit der Straße in Berührung kommen konnten. Wir hatten also damit eine ganz schöne Aufgabe. Es dauerte über zwei Stunden – dann konnte ich losradeln. Es war natürlich bei weitem nicht so komfortabel wie bei einer Luftbereifung. Es polterte und rumpelte in einem fort und wenn die Stoßstelle die Straße berührte, gab es ein derbes Pipp, Popp – man muss sich aber im Klaren sein, dass dieses Pipp, Popp jeweils für Vorder- und Hinterrad galt. Also radelte ich mit ständigem Gerumpele und fortwährendem Pipp, Popp, Pipp, Popp zum Simonbäcker und wieder zurück. Natürlich war das auch viel anstrengender, da die Reibung zwischen Vollgummi und Straße offensichtlich stärker war als bei Luftbereifung. Spott gab es natürlich auch – von wem sonst, als dem Escher, Elmar. Wenn die Eule mit dem Vollgummi zum Simonbäcker springt und die Wurscht verschlingt … Er versuchte mich, wie üblich, aufzuhalten, was ihm aber nicht gelang, da ich voll auf ihn zu fuhr und drei Meter vor ihm einen ziemlichen Haken mit meinem Superfahrrad schlug. Schlagartig wurde mir wiederum klar, wie sehr mir Lothar und seine Unterstützung fehlte. Es war ja aber leider nicht mehr zu ändern – die wunderschöne Zeit der Großfamilie auf dem Bauerngut Straßburger war eben passé.

      Der Sonnabendabend mit dem geplanten Essen rückte immer näher und die Hektik in der Küche und vor allem bei Mutti nahm immer mehr zu. Als ich in der Stube Schularbeiten machen wollte, ergab sich, dass dort eingedeckt werden musste und so war auch dieser Arbeitsplatz für mich im Moment nicht nutzbar. Also ging ich zum Klose, Günther und wir stromerten durch die Gegend. Schmutzig und verdreckt kam ich nach Hause und wurde sofort mit unwilligen Vorwürfen, sowohl von Mutti als auch Vati, überschüttet. „In einer Viertelstunde kommen unsere Gäste und du siehst aus, Klausmann, wie durch den Schlamm gezogen. Wasche dich sofort, zuvor musst du aber deine verdreckten Sachen ausziehen und die Schuhe im Wasserbad abbürsten!“ Es war wieder einmal Hektik und ich schmollte. „Muss das sein? Immer diese blöden Gäste! Nichts kann man mal in Ruhe tun, nicht mal die Schularbeiten erledigen!“ Etwas hektisch, aber trotzdem freundlich schaute mich mein Vater an. „Sohnemann – sonst bist du doch auch nicht so übereifrig im Erledigen deiner Hausaufgaben. Sollte dies jetzt ein neuer, schöner Beginn auf diesem Gebiet sein? Mich würde es sehr freuen!“ Ich schaute ihn an, dachte nach und mir war absolut klar, dass mich Vater ein klein wenig oder doch etwas mehr auf die Schippe nahm. Also knurrte ich nur etwas vielsagend vor mich hin und schwieg. Das erschien mir am Schlauesten. Vater hatte aber gar keine Zeit mehr und hetzte der Restaurantchefin und Oberkellnerin Mama hinterher, mit dem Ziel, all das in der verbleibenden Viertelstunde zu schaffen, was sie sich vorgenommen hatten, bis die Gäste eintreffen. Dazu kamen sie aber nicht mehr, denn plötzlich donnerte es (mir kam es vor wie mit zwei Fäusten) an unsere Wohnungstür. „Klaus, schau mal nach und öffne die Tür!“ Ich öffnete. „Tachchch, ich weiß, ich bin etwas zu früh, aber ich bin ja an den Bus gebunden!“

      „Guten Tag, Herr Opel, ich sag meinen Eltern Bescheid.“ Die beiden hatten das schon mitbekommen und riefen: „Komm rein, Hugo, ist schon in Ordnung. Setz dich einstweilen in die Küche – der Klaus wird dich betreuen!“ Gott sei Dank hatte Herr Opel nicht gehört, was Mutti entnervt mit halblauter Stimme, einen Moment vorher, von sich gegeben hatte. „Der Hugo kann einem wirklich auf den Geist gehen. Ich sehe schon jetzt seine Schlammstiefel vor mir – und dann noch zu zeitig kommen!“ Vati schaute erschreckt auf Mutti, hielt den rechten Zeigefinger senkrecht auf die Lippen und brummelte erschreckt:Pst, pst – bist du verrückt, Gretel?“ Gleich rechts von der Eingangstür stand ein Stuhl. „Herr Opel, bitte sind Sie so gut, nehmen Sie Platz. Meine Eltern kommen gleich.“ Hugo setzte sich hin und streckte die Stiefel weit von sich. Von Beruf war er Förster, riesengroß und hatte immer äußerst schmutzige Stiefel. Ich habe Herrn Opel nie anders als in beträchtlicher Schräglage sitzen gesehen. Vor allem jetzt, wo er warten musste, hatte er fast eine 45 Grad Neigung. Aber auch sonst, wenn er in Gesellschaft am Tisch saß, war seine Körperschräge bemerkenswert und oftmals beschwerten sich die ihm gegenüber Sitzenden, da sie mit seinen Füßen in Kollision kamen. Herr Opel hatte grundsätzlich einen grünen Lodenmantel an und auf dem Kopf einen grünen Hut mit Gemsbart. Wenn er Mantel und Hut abgelegt hatte, sah er aber immer noch komplett grün aus, da er eine grüne Hose, grünes Hemd und grüne Jacke trug. Er war vielleicht fünfundfünfzig Jahre alt und nach den Bemerkungen meiner Eltern ein urtypischer Junggeselle. Er lebte allein und Mutti sagte häufig: „Mich interessiert brennend, wie es bei dem zuhause aussieht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da alles ordentlich, sauber und frisch geputzt ist. Und außerdem möchte ich mal wissen, wie er sich denn so versorgt, denn kochen kann der keinesfalls. Sicher schlingt er nur Gekauftes aus dem Papier in sich hinein. Es ist für mich absolut verständlich, dass da überhaupt keine Frau einen Bock darauf hat, mit ihm zusammen zu sein.“ Da er häufig bei uns war, konnte ich auch miterleben, wie das dann war, wenn Minustemperaturen waren und das Eis an seinen Stiefeln auftaute. Sofort bildeten sich regelmäßig um die Stiefelfersen (mit Sicherheit hat er eine Schuhgröße von 26 - 28), denn nur mit denen hatte er Bodenberührung, kleine Pfützen, die immer größer wurden und am Ende schon als Lachen bezeichnet werden mussten. Mutti kam dann immer mit einem Scheuerhader und Eimer angeflitzt, trocknete und wischte den Fußboden, aber auch seine Stiefelenden, denn die waren ja letztlich die Verursacher der Dreckorgie. Glücklicherweise war der Untergrund Linoleum, so dass keine bleibenden Schäden entstanden. Nun kamen aber meine Eltern, einverstanden, etwas nervös und aufgeregt, aus der Stube. „Hugo, schön dich zu sehen, hast du deinen Dienst am deutschen Wald heute erfolgreich zu Ende gebracht?“

      „Ja, ja, Gretel, mir ist etwas sehr Dummes passiert. Ich wollte euch doch als Gastgeber eine Flasche selbstgemachten Stachelbeerwein mitbringen. Ich habe ihn leider vergessen, sehr peinlich!“ Mutti schaute verständnisvoll und lieb, wie immer. „Ist nicht so schlimm, Hugo – bringst sie eben das nächste Mal mit!“ Plötzlich sah sie auf seine Füße, die in riesenlangen Stiefeln steckten, welche schon zwei braune Schmutzlachen und ein paar kleine Schlammbatzen, mit etwas Gras darin, auf dem frisch gebohnerten Linoleum hinterlassen hatten. Augenblicklich schlug ihre gute Laune in zornige Kratzbürstigkeit um. „Aber, Hugo, bei aller Liebe, wir erwarten außer dir noch sieben Gäste und das kannst du denen und uns nicht antun! Die Stiefel müssen auf der Stelle runter – du bekommst ein paar Hauslatschen – und ich kann unser schön gepflegtes Linoleum wieder in Ordnung bringen!“ Vater schaute erstaunt. „Du bist doch einverstanden, Hugo? Die Gretel hat schon Recht – es sollte so sein, auch für unsere Besucher!“, versuchte er mit sanfter, ich fand, leicht bebender Stimme, zu vermitteln. Es war aber auch zu erkennen, dass Herr Opel ziemlich irritiert war. „Das war doch noch nie bei euch notwendig. Ich hab doch meine Filzhausschuhe gar nicht mit.“

      „Du warst ja auch noch nie in der Stube, wo unser bester Perserteppich liegt. Bisher waren wir ja nur hier in der Küche, wo du vor dich hinschmanden konntest“, hängte sich Mutti mit inzwischen ziemlich zittriger Stimme hinein. „Außerdem bekommst du von uns ein paar Pantoffeln, was Herbert schon erwähnte. Nun aber endlich los – mir wird so sachte angst, denn unsere Gäste kommen und ich muss auch sehen, dass meine schönen Steaks nicht verbrennen und so weiter und so fort. Ich hab viel zu tun!“

      „Gretel, du warst doch bisher immer so sanft. Was ist denn los heute? Bei mir zuhause habe ich einen wunderschönen Stiefelknecht, der im Vorsaal fest im Fußboden verankert ist und oben habe ich eine Reckstange, die mein Vorgänger immer für sportliche Übungen benutzt hat. Was denkt ihr denn, wie schwer das ist und wie viel Kraft das erfordert, die Stiefel runter zu zerren?“

      „Hebe doch mal dein rechtes Bein, Hugo. Ich ziehe jetzt. So schwer kann das doch gar nicht sein. Du weißt, ich habe Bärenkräfte“, sagte Vater und trat in Aktion. Zuvor muss ich sagen, dass mein Vater zwar nicht sehr groß (wie schon erwähnt – sehr zum Leidwesen meiner Mutter), aber, für meine Begriffe, enorm muskulös war. Sein Brustkorb war enorm. Vater zog und ich fand, dass dies mit enormer Zugkraft geschah. Ich ertappte mich dabei, dass ich genauso wie Vater vor Anstrengung mitstöhnte, obwohl ich nur zusah. Hugo hielt sich an seinem Stuhl fest und zog dagegen, aber es passierte nicht viel, d. h. der Stiefel löste sich keineswegs vom rechten Fuß. Jetzt wurde Mutti, die zwischenzeitlich nach ihren Steaks geschaut hatte, so richtig energisch. Für mich war es in dieser hektischen Art das erste Mal und sehr erstaunlich. „Also, Herbert, streng dich an! Nein, besser, ich ziehe mit, sonst sind die anderen da, ohne dass hier


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