Der Club der scharfen Tanten. Heinz-Dietmar Lütje
Felten. „Ich glaube schon. Vor einem knappen Jahr gab es in der Bank ein Problem und da hat Olaf so einen Detektiv, auch auf Empfehlung, engagiert und der hat, womit in der Bank, das heißt bei Aufsichtsrat und Vorstand, niemand wirklich gerechnet hat, ganz schnell den Fall geklärt.“
„Was? Das hätte ich nun wirklich nicht erwartet. Das sollten wir aber nicht hier besprechen. Aber hast du nachher überhaupt noch Zeit? Ich meine wegen Frank und Ellen?“ Edelgarde dachte an die Kinder der Freundin, wurde aber schnell beruhigt.
„Die sind diese Woche noch bis Samstag bei Olaf und werden von Oma, also seiner Mutter, betreut und so verwöhnt, dass sie mich kaum vermissen.“
Annemarie schüttelte den Kopf: „Tolle Frau, Olafs Mutter. Bedauert das Ganze sehr, kommt aber im Moment auch nicht an Olaf ran.“
„Weißt du was, Anne, dann verdrücken wir uns gleich und du kommst mit zu mir nach Hause. Wir können dann noch einen guten Rotwein trinken und ich bringe dich dann morgen Vormittag wieder her, damit du deinen Wagen abholen kannst.“
„Also, was möchtest du trinken?“ Edelgarde schaute fragend auf die Stammtischschwester, die zum ersten Mal ihr vor den Toren der Hansestadt gelegenes Landhaus besuchte und von den ganzen Eindrücken fast erschlagen wurde. Neben den Stallungen für die Pferde und das integrierte alte Gutshaus hatte Edelgardes Vater in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein fast ebenso großes Haus im Landhausstil errichten lassen, das sich über drei Stockwerke erstreckte.
In der geräumigen Eingangshalle hingen alte Gemälde, die sich zum Teil über mehrere Meter erstreckten und Schlachtszenen aus vergangenen Zeiten darstellten. Dazu Ölbilder der Vorfahren Edelgardes und anderer Persönlichkeiten. Dazwischen angeordnet, alte Wandteppiche mit wunderschönen Mustern und Waffen aus verschiedenen Epochen. Auf dem Marmorboden standen Rüstungen, wie sie im Mittelalter getragen wurden, sowie riesige Bodenvasen, Fackelhalter und vieles mehr. Ganz anders und modern eingerichtet war der Wohnraum mit den riesigen Fenstern, den hellen Sitzmöbeln aus erlesenen Stoffen und auch weißem Leder. Ein sich über die ganze Wand ziehendes Bücherregal mit sowohl alten, vielleicht sogar über einhundert und mehr Jahre alte, teils in Leder gebundene, Bücher sowie auch neuerer Literatur zog wie ein Magnet die Blicke auf sich. „Toll, einfach toll“, entfuhr es Annemarie, deren Blick jetzt auf einigen Stichen an der Wand verweilte, die einen eingelassenen riesig wirkenden Plasmafernseher vor einer separaten Sitzgruppe einrahmten.
Gardi, wie Edelgarde seit frühester Jugend von ihren Freundinnen genannt wurde, lächelte und füllte zwei edel aussehende Weingläser mit einer rubinroten Flüssigkeit aus einer Kristallkaraffe.
Sie hob ihr Glas Annemarie entgegen: „So, nehm erst mal einen Schluck, und dann erzähl von dem Detektiv.“
Eine Viertelstunde später lehnte sich Edelgarde zurück, nahm einen etwas größeren Schluck aus ihrem Glas und meinte nachdenklich: „Das hört sich gut an. Der Typ könnte mir vielleicht wirklich helfen.“
„Na, da bist du ja ganz gut aus dieser Nummer rausgekommen. Lass es dir eine Lehre sein!“ Staatsrat Dr. Peter Hammerschmidt, selbst Jurist, war ebenso erstaunt, wie andererseits natürlich auch erfreut, wie es diesem Anwalt Degen gelungen war, in so kurzer Zeit die Einstellung des Verfahrens wegen Unfallflucht mit einer simplen Einlassung gegenüber der Staatsanwaltschaft zu bewirken. Einstellung gegen Geldauflage, aber immerhin Einstellung ohne Gerichtsverhandlung und damit ohne Kenntnis der Öffentlichkeit; und – ganz wichtig – ohne Vorstrafe. Damit war der gute Name gewahrt und auch bezüglich seiner Chancen, demnächst neuer Finanzsenator zu werden, keinerlei Nachteil entstanden.
„Ha, das war doch klar. Es hätte doch wohl kein Richter in dieser Stadt geglaubt, dass eine Sieglinde Hammerschmidt-Blume Unfallflucht begeht. Weshalb auch? Getrunken habe ich nicht und wegen der paar Piepen für den Kratzer an der alten Rostlaube? Ist doch lächerlich!“
Sieglinde stampfte zur Bekräftigung ihrer Worte mit ihrem linken Fuß auf den Boden.
„Ist ja gut, ich meine nur, du solltest dich jetzt nicht noch zu weiteren unüberlegten Schritten gegen diese Stammtischfrauen hinreißen lassen.“ „Ach, nachdem du es nicht fertig gebracht hast, für die Aufnahme deiner Frau in diesen Club zu sorgen und ich mich von diesen Weibern so abfertigen lassen musste? Soll ich das etwa hinnehmen? Ich denke gar nicht daran. Eine Sieglinde Blume beleidigt man nicht. Das werden diese hochnäsigen Kühe schon noch merken! Auch Papa meint, dass ich mir das nicht bieten lassen kann. Wer sind denn wir Blumes? Wir stehen doch wohl himmelweit über denen!“
Oh Gott, wie bereute der arme, wenn auch superreich eingeheiratete, Mann einmal mehr seinen größten Fehler. Aber sollte er dieses abgrundtief hässliche Weib und ihre keifende Stimme, gepaart mit ihrem vor Bosheit und Hinterhältigkeit triefenden Charakter, über zehn Jahre ertragen haben, um im Falle einer Scheidung mit leeren Händen dazustehen? Nein! Das hatte er nicht verdient. Niemand, und er schon gar nicht. Ihrem Vater, dem achtzigjährigen Jacob Blume, der noch bis vor wenigen Wochen jeden Tag in der Bank seine leitende Funktion ausgeübt hatte, war erst kürzlich zusammengebrochen. Ein Schlaganfall hatte ihn aus heiterem Himmel getroffen. Aber der alte Mann war bereits wieder auf dem Wege der Besserung. Wie wäre es, wenn dieser sich nicht wieder erholen und Sieglinde als einzige Tochter und Erbin ihm so rechtzeitig folgen würde, dass sie kein Testament mehr errichten könne? Dann wäre er ja wohl der gesetzliche Erbe von vielen Millionen. Dann hätten sich seine erlittenen Qualen doch noch angemessen ausgezahlt. Doch den Gefallen würde sie ihm nicht tun. Ganz bestimmt nicht. Es blieb wohl ein schöner Traum. Oder? Fast erschrak er bei dem Gedanken und schüttelte über sich selbst den Kopf. Aber zu seinem eigenen Erschrecken, der Gedanke kehrte immer wieder.
„Also, nehmen Sie bitte Platz. Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen lassen? Einen Kaffee vielleicht, oder auch ein Wasser?“ Berti Tonner, der noch junge, knapp dreißigjährige Leiter der Hamburger Niederlassung der international tätigen Detektei „Waterhill Detectives“ konnte nicht verhindern, dass sein Blick wohl etwas zu lange auf der schönen Frau verweilte, die ihm an diesem Vormittag so unangemeldet von seiner Sekretärin Karin Thomas ins Büro geleitet wurde. Eigentlich war er mit dem Abschlussbericht eines großen Versicherungsbetruges, der auch zwei Menschen das Leben gekostet hatte, beschäftigt und hatte darum gebeten, nur in dringlichsten Fällen gestört zu werden. Er wollte schon seine Tommie, wie er sein hübsches Vorzimmerjuwel nannte, anknurren. Als er aber dann sah, was für eine Dame sie ihm ins Büro geleitete, leistete er ihr sofort gedanklich Abbitte für den Anraunzer, den sein Hirn bereits formuliert hatte, er aber glücklicherweise auszusprechen noch zurückhalten konnte.
„Danke, gern ein Wasser. Möglichst mit Kohlensäure, bitte!“ Ja, auch die wohlmodellierte Stimme mit dem gewissen Tempre passte genau zu der teuer gewandeten Schönheit, die jetzt die Beine geziert übereinander schlug und ihm einen Blick auf den halben Oberschenkel gewährte. Passt alles wie gemalt, musste er unwillkürlich denken. Schlanke, aber keinesfalls magere Gestalt mit den richtigen Rundungen. Edles, ovales Gesicht, in dem die strahlend blauen Augen dominierten und mit den roten Lippen und den perlweißen Zähnen zur braunen Gesichtsfarbe einen optimalen Kontrast bildeten.
Dazu das herbstlich passende Kostüm mit dem kurzen Rock und den leichten Stiefeln aus ganz offenbar superweichem Leder in beige-braun.
Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme leicht belegt klang, als er seine Vorzimmerfee bat, das erbetene Wasser zu servieren.
Nach einem gezierten Schluck aus dem Wasserglas kam die schöne Fremde, die sich als Edelgarde v. Toppendorf vorstellte und dem Mann ihre Karte überreichte, ohne Umschweife zur Sache.
So erfuhr der Detektiv, dass seine Besucherin ein großes, ererbtes Gut verwaltete und hier ein Gestüt betrieb, das viele Rassepferde hervorbrachte, die in die ganze Welt verkauft wurden. Gerade war wieder einer ihrer gekörten Hengste für fast vierhunderttausend Euro nach Amerika veräußert worden. Vielleicht war dies der Anlass gewesen für das ihr jetzt zugegangene Erpresserschreiben, das sie ihm zu ihren Worten überreichte.
„Oh, wow, ich bin begeistert“, kommentierte der noch junge, aber durchaus älter wirkende, örtliche Chef der Detektivagentur die Tatsache, dass ihm das Schreiben in einer Plastikhülle überreicht wurde.
Die