Der Club der scharfen Tanten. Heinz-Dietmar Lütje

Der Club der scharfen Tanten - Heinz-Dietmar Lütje


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Abend dieses so ereignisreichen Tages geschah noch etwas, das weitreichende Auswirkungen haben sollte. „Also, Mäuschen, sei brav und spätestens um halb elf zurück. Ich bin auch gegen Mitternacht wieder da!“ Mit diesen Worten verabschiedete Helga Altmann ihre Tochter, die vierzehnjährige Doreen.

      „Ja, Mama, geht klar. Gehst du wieder zu Henni zum Anscha…“, sie unterbrach sich, „äh, ich meine zum Arbeiten?“

      Helga Altmann glaubte nicht richtig zu hören. Sie erschrak heftig und ihr Blutdruck stieg sprunghaft in die Höhe und eine knallrote Farbe überzog ihr Gesicht. „Was hast du gesagt? Anschaffen? Ich bin deine Mutter, was fällt dir denn ein?“ Fast hätte Helga ihrem über alles andere in der Welt geliebten Töchterchen eine knallige Backpfeife versetzt.

      Doch Doreen war mit ihren vierzehn Lenzen ja nun auch kein kleines Mädchen mehr. Natürlich hatte sie gemerkt, was für ein Gewerbe Henni betrieb. In etwa jedenfalls. „Na, Mama, was machst du denn sonst bis spät in die Nacht bei Henriette? Ich bin doch nicht blöd. Meinst du, ich merke nicht, dass da unten ein Puff betrieben wird?“ Helga war entsetzt. Sie war doch immer so vorsichtig gewesen und zog sich immer erst bei Chantal in der Maske um, wie sie und die anderen Damen die große Umkleide nannten, die in der Tat alle Requisiten für die jeweils gewünschten Rollenspiele enthielt. Aus erschrocken geweiteten Augen sah sie Doreen an und suchte verzweifelt die passenden Worte. Warum fiel ihr denn bloß nichts ein? Sie sah die fragenden Augen ihrer Tochter auf sich gerichtet und konnte nicht antworten. Schließlich senkte sie den Blick und murmelte mit piepsiger Stimme, die ihr einfach nicht gehorchen wollte: „So ist das nicht. Nicht so jedenfalls, wie du denkst.“

      „Wie ist es denn, Mama, wie?“ Fast schrie ihr Mädchen ihr die Worte ins Gesicht und unwillkürlich wich die Frau einen Schritt zurück. So hatte sie ihre Tochter ja noch nie erlebt. So erwachsen und vor allem, so wütend. Auch Doreens Gesicht glühte nun. Aber vor Zorn und Wut, wie es schien. Sie stampfte mit dem Fuß auf. „Wie ist es denn, Mama? Sag es mir! Rede mit mir!“

      In Helgas Kopf drehte sich alles. Sie war einfach nicht dazu in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. „Doreen, Kind, ich … ich …“, ihre Stimme wurde brüchig und die zornige Gestalt vor ihr schien zu verschwimmen. Das schöne, ebenmäßige Gesicht ihrer Tochter verblasste und wurde fast durchsichtig. Nur die auf sie gerichteten grünen Augen stachen noch wie zwei grelle Lichter hervor und schienen sie geradewegs zu durchbohren. Dann gingen auch diese Lampen aus und es war nichts mehr da. Gar nichts!

      „Mama, Mama, was ist, was hast du!“ Gellend schrie das Mädchen auf, als ihre Mutter vor ihr auf den Boden sank und sich nicht mehr rührte. Ihre Tochter warf sich neben ihr auf den Boden des kleinen Flurs der Dachgeschosswohnung und ergriff mit beiden Händen den Kopf ihrer Mutter. „Mama, sag doch was!“ Da fühlte sie es feucht an ihren Fingern und starrte entsetzt auf ihre kleinen Hände. Blut tropfte von ihrer rechten Hand auf den hellen Teppichboden und hinterließ tiefrote Flecken. Ein weiterer Schrei entrang sich ihrem Mund und Tränen traten in ihre Augen. Stumm vor Entsetzen sah sie, dass sich der helle Boden unter den kupferroten Haaren ihrer Mutter mit einem ganz anderen Rot färbte und anfing im Licht der Flurlampen nass zu glänzen.

      Berti Tonner war beeindruckt. Von der stolzen und schönen Edelgarde sowieso, aber auch von dem, was er jetzt hier auf ihrem Gut, und dem angeschlossenen Gestüt erblickte. Saubere Wege, gepflegte Gebäude in hellen, freundlichen Farben. Gepflasterte Stallgassen sorgten dafür, dass das Regenwasser abfließen konnte und auch die Leute, die sich auf dem angrenzenden Trainingsplatz mit einigen Pferden beschäftigten, wirkten zufrieden und ausgeglichen.

      „Kommen Sie rein“, winkte ihn die in Reithose und Pullover gekleidete Edelgarde in ihr Wohnhaus, das etwas abgesetzt von den Stallungen, Scheune und auch dem Gutshaus neu errichtet worden war.

      „Danke, und alle Achtung. Ich bin beeindruckt!“, ließ Tonner seine Auftraggeberin wissen.

      Kurz darauf saßen sich die beiden in dem gemütlichen Arbeitszimmer der Dame des Hauses an einem viereckigen Tisch auf modernen, aber trotzdem bequemen, Ledersesseln gegenüber.

      „So, hier sind die ganzen Personalakten. In den grünen Deckeln die meiner jetzigen Beschäftigten und in den blauen die Unterlagen der in den letzten fünf Jahren ausgeschiedenen Leute!“ Edelgarde deutete auf die beiden Aktenstapel, die sich auf dem Tisch türmten. Mit den Worten: „Fangen Sie ruhig an, ich hole uns einen Kaffee“, stand die blonde Frau auf und verschwand durch die Tür. Auch in Reithose und -stiefeln ein mehr als reizvoller Anblick, dem Berti noch Augenblicke nachhing, als sie längst aus seinem Blickfeld verschwunden war. Nur mühsam konnte er seine Aufmerksamkeit auf die Personalakten konzentrieren, wo er mit den ausgeschiedenen Mitarbeitern begann.

      Drei Stunden und vier Tassen Kaffee später, im Aschenbecher aus Marmor hatten sich ein halbes Dutzend Kippen angesammelt, hatte der Detektiv das Aktenstudium zunächst beendet. Leider hatte ihn seine attraktive Auftraggeberin bereits nach einigen Minuten wieder verlassen, da sie sich um ein Problem in den Stallungen kümmern musste.

      Zwei blaue Deckel hatte er aussortiert und die anderen wieder auf die entfernte Seite des, aus verchromten Beinen und schwerer Kristallplatte bestehenden, Tisches geschoben.

      Erneut schlug er den oberen Aktendeckel auf. Er blätterte ganz nach hinten und starrte auf das oben an den Lebenslauf geheftete Foto, das einen gutaussehenden Mann um die Vierzig mit vollen, dunklen Haaren und braunen Augen, sowie gebräuntem Gesicht zeigte. Ein gutaussehender Typ, wie er sich, etwas widerwillig, eingestehen musste. Er vertiefte sich nochmals in den Lebenslauf. Abitur, abgebrochenes Jurastudium und dann Reitlehrer mit Tätigkeiten in der Schweiz, Österreich und auch einigen Jahren Amerika. In Florida, genauer gesagt in Fort Lauderdale. „Wo auch sonst?“, murrte Tonner halblaut vor sich hin.

      „Was meinen Sie?“ Erschrocken fuhr der Mann herum und sah erfreut auf die umgekleidete Adelige.

      Edelgarde trug jetzt eine tief ausgeschnittene Bluse in unschuldigem Weiß, darunter einen dunkelgrünen, langen Rock zu braunen Stiefeln. Ein atemberaubender Anblick, der ihm ein nicht ganz unbeabsichtigtes Wow entlockte. „Schön, dass Ihnen mein Outfit gefällt“, klang ihre Stimme an sein Ohr, „aber dann verraten Sie mir jetzt auch bitte, was Sie eben gemeint haben?“

      „Äh ja“, er grinste jetzt verschmitzt, „und nochmals ja. Ihr Outfit und auch alles darin Verpackte gefällt überaus und ja, verrate ich Ihnen gern, was ich entdeckt habe.“ Die Baronin lachte leise auf und nahm ihm gegenüber Platz, schlug die Beine übereinander und ließ sich Feuer geben. Auch er steckte sich eine weitere Zigarette an und kam dann zur Sache.

      „Hier haben wir einen möglichen Kandidaten.“ Während er ihr die Akte hinüberschob, fuhr er fort. „Dieser Alexander Axmann, den Sie vor einem guten halben Jahr entlassen haben. Was war der Grund?“ Edelgarde schlug die Akte auf und blätterte darin, während eine leichte Röte ihr Gesicht überzog. Jetzt frohlockte Tonner innerlich, ohne sich aber nach außen etwas anmerken zu lassen.

      „Etwas Persönliches?“ Die Freifrau zuckte zusammen. Fast unmerklich, aber nicht für ihn, der gelernt hatte, auf auch geringste Reaktionen zu achten. Edelgarde v. Toppendorf hatte sich gefangen. „Persönliches? Wie kommen Sie denn darauf?“

      „Nun, da hat Sie Ihre Reaktion verraten. Sie sind nicht sonderlich überrascht gewesen, haben dann aber in der Akte, die Sie ja genau kennen, sehr lange geblättert, ohne etwas zu sagen und, als Sie bis zum Passbild auf dem Lebenslauf gekommen sind und darauf geblickt haben, nahmen Ihre Augen für einen Moment einen ganz anderen, irgendwie härteren, Ausdruck an.“

      Die Frau blickte halb entsetzt, halb belustigt, auf und musterte sein Gesicht genau. Nein, Schadenfreude oder sonst Nachteiliges konnte sie nicht entdecken. Irgendwie, sie wusste eigentlich selbst nicht warum, war sie nicht unfroh darüber.

      „Ich hole uns einen Cognac und brauche auch noch Zigaretten!“ Mit diesen Worten entschwand Edelgarde aus dem Raum. Nachdenklich blickte Berti ihr hinterher. Ganz offenbar war es etwas sehr Persönliches, dass hier zu der Kündigung geführt hatte und die Frau brauchte wohl etwas Zeit, um zu überlegen, wie sie reagieren sollte? Er hoffte nur, dass sie ihm die Wahrheit offenbaren würde. Nicht nur, weil es seine Arbeit erleichtern würde,


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