Der Club der scharfen Tanten. Heinz-Dietmar Lütje
das Wichtigste überhaupt.
Es dauerte einige lange Minuten, vielleicht zehn oder zwölf, die sich für Berti Tonner wie gefühlte Stunden dehnten. Dann endlich erschien Edelgarde mit einer Flasche altem Cognac, die sicherlich den Wochenlohn eines Industriearbeiters gekostet hatte, sowie zwei ebenso teuer wirkenden Schwenkern, aus denen dieser edle Tropfen aus der gleichnamigen französischen Provinz üblicherweise zu sich genommen wird. Auch wenn sich die edle Flüssigkeit in den großen Gläsern fast verlor, war es doch mehr als nur ein guter Schluck, der eingeschenkt wurde, wie Berti dem sinkenden Pegelstand der bauchigen Flasche entnehmen konnte. Aber es dauerte noch etwas, bis er den duftenden Tropfen genießen durfte. „Moment, der Kaffee“, sprach die adlige Dame mit noch etwas belegter Stimme und entschwand aufs Neue, um kurz darauf mit einem Tablett zurückzukehren, auf dem sich Kanne, Tassen und Untertassen nebst Zucker und Kaffeesahne befanden. Als dann auch die dampfenden Tassen vor ihnen standen und er ihr Feuer für ihre Zigarette aus dem silbernen Etui mit dem eingestanzten Wappen reichen durfte, hob die Baronin ihm endlich ihr Glas entgegen. In der Tat, der Cognac war ein Genuss, registrierte er. Weich und samtig und gar nicht so seifig, wie er nach französischen Weinbränden aus der Provinz Cognac immer den Nachgeschmack empfunden hatte.
Dann endlich kam Edelgarde v. Toppendorf zur Sache. Sie berichtete, dass sie den Mann auf Empfehlung einer älteren Freundin ihres verstorbenen Vaters vor drei Jahren eingestellt hatte und in der Tat sich auch bald ein enges persönliches Verhältnis entwickelte. Vor gut sechs Monaten war sie dann dahintergekommen, dass dieser Alexander Axmann sie massiv hinterging und auch noch zwei Freundinnen in Hamburg hatte, denen er von ihrem Geld teure Geschenke machte und auch nicht davor zurückschreckte, sich mit zahlenden Kursteilnehmerinnen einzulassen, als sie für vier Wochen in Amerika weilte. Nachdem sie dann auch noch feststellen musste, dass er Geld von den Gestütskonten für sich abgezweigt hatte, feuerte sie ihn schließlich fristlos. Im Nachhinein, so versicherte die schöne Freifrau mit Nachdruck, habe sie überhaupt nicht mehr verstehen können, wie sie auf diesen Blender hereinfallen konnte? „Nun, ich habe mich wie jede andere dumme Pute verhalten, die merkt, dass sie langsam älter wird und meint, Versäumtes nachholen zu können“, schloss sie ihre Schilderung und ihrer Stimme war die Verbitterung anzumerken.
So ungefähr hatte es sich der Detektiv vorgestellt. Gerade wollte er ihr nahelegen, doch nicht so hart mit sich selbst ins Gericht zu gehen, da kam sie ihm zuvor. „Sagen Sie es nicht, auch wenn es gut gemeint ist. Ich weiß schon, dass ich mich ziemlich dumm verhalten habe. Sagen Sie mir lieber, wie Sie jetzt vorgehen wollen?“
Dieses Verhalten war in der Tat beeindruckend, wie eigentlich alles an der Frau. Also fügte er sich und erläuterte sein angedachtes weiteres Vorgehen.
Helga Altmann hatte Glück gehabt, wie schon der herbeigerufene Notarzt meinte und die Ärzte im Krankenhaus bestätigten, nachdem sie die Frau näher untersucht hatten. Woher der Ohnmachtsanfall rührte, müssten zwar nähere Untersuchungen ergeben, aber die Kopfverletzung hatte lediglich die Kopfhaut aufgerissen, was bekanntlich immer schlimmer aussieht, als es ist. Schließlich ist die den Kopf umspannende Haut besonders stark durchblutet, so dass immer der Eindruck einer viel gefährlicheren Verletzung bei medizinischen Laien entsteht.
Aber Helga ging es gar nicht gut, was keinesfalls an ihren Verletzungen lag. Außer der Kopfplatzwunde, die von der Vitrine im Flur herrührte, auf deren Kante sie gefallen war, hatte sie auch noch eine Prellung der rechten Schulter davongetragen. Sorge bereitete ihr vielmehr die Tatsache, dass sie nicht recht wusste, wie sie ihrer Tochter ihre neue Tätigkeit erklären sollte? Aber irgendwie musste ihr dieses gelingen, denn diese aufzugeben kam schon aus finanziellen Gründen nicht infrage. Zudem machte es ihr gehörigen Spaß, zu sehen, auf was für abartige Gedanken gerade die Leute offenbar kamen, von denen man es wohl nie erwartet hätte. Aber würde Doreen es verstehen? Wohl kaum! Also, was sollte sie tun? Da klopfte es an der Tür und herein traten, neben der behandelnden Ärztin, Doreen und mit ihr Henriette alias Madam Chantal und – was war denn das? Beide lächelten sie an.
Nachdem die beiden sich vergewissert hatten, dass sie sich nicht schwer verletzt hatte, schmiegte sich Doreen eng an sie und sagte leise, so dass die noch immer im Raum verweilende Ärztin nichts mitbekam: „Alles ist gut, Mama. Henni hat mir erzählt, was du machst. Ist ja nicht das, was ich gedacht habe. Alles ist gut!“
Etta v. Tarla-Hippenstedt hatte sich richtig in Szene gesetzt, wie drei Tage nach dem denkwürdigen Interview aus der „Wochen-News“ nicht nur für die anderen Members des Damenstammtisches zu entnehmen war, sondern auch für diejenigen Damen, denen die Aufnahme in diesen illusteren Kreis nach wie vor verwehrt wurde.
Aber auch die Members reagierten, zumindest viele von ihnen, alles andere als begeistert.
„Das hast du ja fein hingekriegt, Etta“, schimpfte Ute Hollmann, „nun geht die ganze Kacke wieder von vorn los. Albert hat mir dieses dämliche Blatt auf den Tisch geknallt und gesagt, jetzt hat er wieder Probleme mit den großen Autohäusern und Werkstätten, bei denen seine Gesellschaft die Abnahmen der Autos durchführt und die Plaketten vergibt. Du weißt doch, dass ich, genau wie Helga, Anne und du ja auch, Probleme mit meinem Mann bekommen habe, weil wir die Frauen von ihren Geschäftsfreunden nicht aufnehmen.“
„Hach, ich habe keine Probleme mit meinem Kerl. Der hat höchstens welche mit mir!“, versetzte Etta, die bereits mehrere ähnliche Anrufe entgegennehmen durfte.
„Außerdem hast du ja wieder einmal derart auf die Tonne gehauen, dass wir jetzt auch in der Politik unsere Stimme erheben werden; und was nicht alles sonst noch. Merkst du denn gar nicht, dass dein Verhalten immer mehr Probleme für uns heraufbeschwört? Nicht alle sind so unabhängig wie du und“, fügte sie nach einer kleinen Pause noch hinzu, „manche von uns wollen auch keinen Stress mit ihrem Mann und ihm auch keinen Kummer bereiten. Denn es soll auch noch Frauen geben, die ihre Ehemänner lieben. Kannst du dich wohl nicht mehr dran erinnern – oder?“
In der Tat hatte es Etta v. Tarla-Hippenstedt für einen Moment die Sprache verschlagen, was bei ihr selten vorkam. Sie stärkte sich mit einem weiteren Drink. Wodka mit etwas Bitter Lemon.
Was die Tante nur hatte? Fahrzeug-Überwachungs-Gesellschaft mbH. So ein kleines, unbedeutendes Unternehmen, das dem TÜV Konkurrenz machen wollte und wo ihr Albert, ein kleiner Dipl.-Ing. es zum Geschäftsführer gebracht hatte. Pah, was war das schon? Sie nahm noch einen größeren Schluck. „Hä, wenn ihr eure Männer liebt, dann sollten sie euch auch lieben und nicht vor ihren Geschäftskarren spannen. Ist doch einfach lächerlich, mich dafür verantwortlich zu machen, dass ihr eure Kerle nicht im Griff habt.“
„Sag mal, bist du schon wieder betrunken? Jetzt wird mir einiges klar. Du hast dieses Interview wohl auch angesoffen gegeben, was?“
Etta wäre fast das schon wieder geleerte Glas aus der Hand gefallen. Was fiel denn dieser Ute ein? Ausgerechnet Ute, die doch nie Probleme gemacht hatte. Wie war die überhaupt zu ihrem Kreis gestoßen? Sie überlegte, aber auf die Schnelle wollte es ihr nicht einfallen. Egal befand sie, so einen Anwurf musste sie sich nicht bieten lassen. Wer war sie denn? Doch keine Ute Hollmann oder so.
„Du vergreifst dich im Ton. So nicht mit mir! Nicht mit einer Etta v. Tarla-Hippenstedt. Dankbar solltet ihr alle mir sein. Wer hat denn ‚Ladies Power‘ gegründet? Ich und niemand sonst. Und wer hat dafür gesorgt, dass wir heute in aller Munde sind? Dass unsere Stimme gehört wird? Auch ich … na ja, und ein paar andere Ladies. Du hingegen hast doch nur davon profitiert. Also spiel dich jetzt bloß nicht auf!“ Mit diesen Worten warf Etta den Hörer auf die Gabel.
Da hörte sich doch wohl alles auf. So eine bodenlose Frechheit. Aber sie war ja nicht nachtragend. Mit einem weiteren Drink würde sie ihre mehr als berechtigte Empörung hinunterspülen und dann hoffentlich bald eine sich zerknirscht entschuldigende Ute am Telefon haben und ihr, edel, hilfreich und gut, wie sie ja nun einmal von Natur aus war, die ersehnte Absolution nicht verweigern, nahm sie sich vor.
„Na, das passt ja“, freute sich Berti Tonner, als er den Hörer auflegte.
„Was passt, großer Meister?“, fragte die allgegenwärtige Sekretärin Karin Thomas, genannt „Tommie“ und linste ihrem Chef über die Schulter.
„Aha,