Das Akkordeonspiel. Gerald Netsch

Das Akkordeonspiel - Gerald Netsch


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sich Annemarie. „Ich habe noch nie einen Mann betrogen.“

      „Hattest ja nur zwei, oder hast du mir was verschwiegen?“

      „Nein, nein, ich hatte wirklich nur zwei“, erwidert Annemarie kleinlaut.

      „Da wird es aber Zeit, mein Mädel, sonst wachsen dir noch Spinngewebe an deiner Muschi“, lästert Eva.

      „So ist es nun auch nicht. Paul besorgt es mir schon, wenn auch nur ab und zu. Aber mir reicht das“, verteidigt sich Annemarie und merkt im selben Moment, dass sie sich soeben belogen hat.

      Wie oft lag sie heiß zwischen den Beinen neben ihm, hat ihn berührt, dort, wo es bei jedem Mann sofort funkt. Aber da passierte nichts, außer seinem Kommentar, dass er müde wäre und schließlich zeitig raus müsse. Mit Harald war es anders gewesen. Der hatte sie richtig genommen, von allen Seiten, hatte ihr förmlich die Seele aus dem Leib gestoßen. Oh, oh, hatte sie da schlimme Sachen mit sich machen lassen. Dafür schämte sie sich heute noch, erkennt Annemarie in Erinnerung versunken.

      „Hörst du mir überhaupt zu?“, fragt Eva und rüttelt sie kräftig am Arm.

      „Du tust mir weh“, wehrt Annemarie ab, weil sie sich ertappt fühlt.

      „Also noch einmal: Wir feiern bei euch, füllen Paul ab, und wenn er schläft, gehst du zu mir rüber. Ich bleibe bei euch, wegen der Kinder. Wenn Paul wach wird, sag ich ihm, dass du dich über seine Besoffenheit geärgert hast und für ein Weilchen das Tanzbein schwingst. Dagegen kann er nichts machen, das hat er sich doch selber eingebrockt. Wenn ich den Typen treffe, vereinbare ich euch für Samstag ab elf Uhr in der Nacht. Ist das ein Wort, mein Mädel?“

      Ohne eine Gegenwehr zuzulassen, redet Eva sofort weiter auf ihr Patenkind ein. Sie ist sich sicher, Anni jetzt am richtigen Nerv gepackt zu haben. Gleichwohl fühlt sie sich wie die Meisterin, die der hörigen Schülerin die Flötentöne beibringt.

      „Lass es dir doch mal gut gehen. Glaube mir, die Männer verdienen es nicht anders. Hast doch selbst deine Erfahrungen gemacht, mit Harald, meine ich, und wie er dich betrogen hat. Zahl es der Männerbagage heim, die verdienen es nicht anders“, ereifert sich Eva.

      Sie merkt, wie der Widerstand stückchenweise bricht.

      „Komm, Anni, lass es uns wenigstens ausprobieren. Wenn’s dir nicht taugt, lässt du es eben. Aber einmal musst du das erleben, mein Schätzchen, so richtig fremdgevögelt zu werden – das ist knorke.“

      „Ich habe Angst, dass etwas schief geht. Ich würde mir ein Leben lang Vorwürfe machen“, wimmert Anni leise.

      In Innersten brennt aber bereits das Feuer. Lichterloh schlagen die Flammen der Begierde, der Lust am Verbotenen in ihr auf. Wie in Trance wendet sie sich Eva zu und küsst sie zärtlich auf den Mund. Erschrocken fährt sie zurück, tut, als ob nichts geschehen wäre. Aber Eva hat den Impuls sofort erkannt. Ihr Mädel ist reif, sie ist nur noch zu pflücken. „Das wird eine schöne Zeit“, denkt sie und gibt Annemarie ein Freundschaftsküsschen auf die Wange zurück.

      Mit der Verabschiedung werde ich aus meiner Entdeckertour gerissen. Ich habe wohl gehört aber natürlich nicht begriffen, doch irgendetwas Geheimnisvolles, Schönes musste es sein. Ich sehe es deutlich an dem Gesichtsausdruck von Mama, so strahlend, in den Augen leuchtend habe ich sie noch nie gesehen. Etwas ganz Großes bahnt sich an. Was nur hat eine solche Veränderung in Mama bewirkt? Im Hausflur nimmt sie mich behutsam aus meiner Festung mit dem geklöppelten Spitzenrand. Sie drückt mich an ihre kleine Brust, gibt mir einen Kuss auf die Stirn, streicht mir mit der freien Hand sachte über den Kopf. Ich verspüre Angst. Was ist nur geschehen? Ich empfinde plötzlich ihre Zärtlichkeit als Schmerz, als ein tief von innen kommendes Brennen. Sie liebkost nicht mich, sondern die Erwartung auf das Unheimliche, das Geheimnisvolle, das Große. Vor Beklemmung beginne ich zu weinen, laut, angstvoll, in Verzweiflung dessen, was geschehen wird, von dem ich weiß, es ist außergewöhnlich, noch nie da gewesen, etwas, was meine Vorstellungskraft übersteigt. Was nur ist das Unabwendbare, Zerstörerische, vor dem ich eine solche unsagbare Angst habe?

      Ich spüre, dass heute die Zeit sein muss, da das Unvermeidbare geschehen wird. Mama ist aufgeregt, mit den Gedanken weit fort. Der mit den Bartstoppeln und den ölverschmierten Händen hat sich gebadet, in der Blechwanne in der Küche, mit in großen Töpfen auf dem Gasherd erwärmtem Wasser. Ich habe mit ihm gemeinsam gebadet. Nachdem die Haut aufgeweicht ist, hat er die ölverschmierten Hände mit einer Bürste und viel Seife geschrubbt. Danach, vor dem Spiegel, geht es den Bartstoppeln an den Kragen. Mit Schaum und einer scharfen Klinge haben sie keine Chance. Nun passt die Bezeichnung nicht mehr: „der mit den Bartstoppeln und den ölverschmierten Händen“. Ich erinnerte mich, dass meine Mama öfters Paul oder auch Papa zu ihm gesagt hat. Also ab sofort Papa, zumindest so lange, bis wieder Bartstoppel und ölverschmierte Hände zutreffender sind. Mama nimmt in dem Rest Warmwasser ihr Bad, wäscht sich gründlich und in Gedanken versunken, reibt sich mit dem Waschlappen ihre kleine Brust, den Bauch, die Lenden. Langsam und intensiv gleitet die Hand mit dem Lappen zwischen die Beine, über die straffen Schenkel, fährt über die Pobacken, die prall und rund geformt sind. Sie genießt das Bad. Dabei ist es ihr vollkommen gleich, dass ihr siebenjähriger Sohn Wolfgang das Treiben mit tiefrotem Gesicht und Stielaugen, die man mit der Hitsche abschlagen könnte, beobachtet. Sie ist weit weg, in einer anderen Welt, die voller Erfüllung, bunt schillernd und ohne Sorgen und Probleme ist.

      Wir werden zeitig zu Bett gebracht. Mama singt uns ein Schlaflied vom Schaf, was sie noch nie getan hat, Papa, der ohne Bartstoppeln und ölverschmierte Hände, steht im Türrahmen und sieht irgendwie anders aus. Er lächelt, macht Bewegungen so ausladend wie ein Dirigent vor einem hundertköpfigen Orchester. Behutsam schließt sich die Tür und es zieht Ruhe ein.

      In der Nacht erwache ich. Mein Bruder schnarcht leise vor sich hin und ich lausche auf das, was im Nebenzimmer, der Wohnstube, zu hören ist. Die mit der rauchigen Stimme, heute ohne Bronchialhusten, dominiert die Runde bestehend aus ihr, meiner Mama und, ah ja – Papa.

      „Ich finde es super, wie ihr euch eingerichtet habt. In so kurzer Zeit. Ihr seid ja erst, wenn ich richtig gerechnet habe, knapp drei Jahre verheiratet. Respekt – tolle Leistung“, lobt Eva.

      „Darauf müssen wir einen trinken. Prost, Paul, ich heiße Eva, lass uns Brüderschaft anstoßen.“

      Ein Klirren, dann Stille. Bis das Gespräch wieder aufgenommen wird.

      „He, lass von Eva ab. Du sollst sie nicht gleich verschlingen. Musst ihr keinen Zungenkuss geben“, höre ich meine Mama sagen.

      „Jetzt hab dich nicht so, Anni. Einen Kuss in Ehren kann keiner verwehren. Ich will außerdem nur testen, ob dein Mann wirklich so ein flotter Feger ist, wie du immer sagst“, kontert Eva.

      „Hab ich nie gesagt.“

      „Doch, hast du gesagt.“

      „Nein, hab ich nicht gesagt“, frotzeln die Frauen miteinander.

      Sie wissen genau, was das Ziel dieses Disputes ist. Paul schwillt der Kamm. Er fühlt sich als Hahn im Korb und lässt sich von den Damen unbemerkt abfüllen. Zuletzt, bevor er ins Alkoholkoma fällt, knutscht er beide Frauen abwechselnd, jedoch mit nachlassender Intensität. Der Alkohol hat seinen Dienst erbracht. Mit einem Turm in der Hose ist er an den prallen Brüsten von Eva eingeschlafen, tief und fest.

      Jetzt ist die Zeit für Annemarie gekommen. Ihr Herz pocht bis zum Hals. Sie hat feuchte Hände vor Aufregung. Im Kopf fahren die Gedanken Karussell. Sie will das alles nicht, sie will nur Paul, eine gute Mutter sein, treu, ergeben, aufopferungsvoll, leidenschaftlich. Nein, sie will nicht mehr willig sein, bereitwillig, wenn es dem Mann danach ist. Sie will ab sofort selbst bestimmen, was geht und was nicht geht. Sie mag nicht mehr nur ein williges Stück Fleisch sein, dem Willen des Anderen ausgeliefert. Ab sofort will sie beherrschen, die Richtung bestimmen. Sie wird sich von keinem mehr in ihr Leben hineinreden lassen.

      Annemarie bündelt alle Kraft, fasst das letzte Quäntchen Mut, um den Sprung über den Graben, den inneren Schweinehund zu schaffen. Sie schafft ihn. Von sich selbst gelobt über den Mut schreitet sie zur Tat. Jetzt ist es nicht mehr schwierig, jetzt sind alle


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