Gottes Herz für deine Stadt. Johannes Reimer

Gottes Herz für deine Stadt - Johannes Reimer


Скачать книгу
Lebens und erste Identifikationsmöglichkeiten mit der Nachbarschaft bietet. Hier werden die ersten unmittelbaren Kontakte außerhalb des eigenen Hauses gefunden.

       Die kommunale Skala – das Gemeinwesen, die erste gemeinschaftlich organisierte und teilweise selbstverwaltete Ebene. Hier finden die Einwohner ein organisiertes Versorgungssystem, das den gemeinsamen Alltag in der Stadt sichert.

       Die regionale Skala – sie umfasst mehrere Kommunen, für die größere Aufgaben im Bildungs-, Sozial-, Ressourcen- und Verkehrsbereich zentral gelöst werden (Bundesländer, Departemente, Kantone etc., aber auch Regionen der Europäischen Union).

       Die nationale Skala als Regionenverbund, welcher sich über eine Verfassung den Status eines souveränen Staates gibt.28

      Während Teile des Netzstadtmodells – in seinen geogenen Fragestellungen – für die Entwicklung christlicher Gemeinden in der Stadt eher sekundär sind, stellen vor allem die Fragen zu der Bevölkerungsbewegung ein wichtiges Thema und Instrument dar. Im Modell der Netzstadt werden gemessen:

       Einwohnerdichte – wie viele Menschen leben im besagten urbanen Raum?

       Arbeitsplatzdichte – wie viele Arbeitsplätze stehen im urbanen Raum zur Verfügung?

       Dienstleistungsdichte – was wird im Raum an Dienstleistung geboten?

       Institutionendichte – welche Institutionen sind im Raum vorhanden?

       Arbeitende (Flüsse) – welche Bewegungen von Arbeitenden sind im urbanen Raum feststellbar?

       Studierende (Flüsse) – welche Bewegungen von Studierenden sind im urbanen Raum feststellbar?

      Urbane Räume werden von Systemen gestaltet, die der Gesellschaft eine mehr oder weniger reibungslose Existenz und Entwicklung ermöglichen. Wir unterscheiden dabei zwischen primären und subordinären Systemen.29 Unter primären Systemen verstehen wir das politische, ökonomische, religiöse und soziale System. Innerhalb dieser Kategorien können weitere Subkategorien beschrieben werden. Folgende Tabelle bietet hierfür ein gutes Beispiel.30

      Die urbanen Systeme kontrollieren die Macht in der Stadt. Und es sind diese Mächte, die letztlich darüber entscheiden, ob Menschen im urbanen Raum reich oder arm, glücklich oder unglücklich, einsam oder geborgen leben. Wer immer sich anschickt, die Lebensumstände in der Stadt zu verändern, wird sich der Machtfrage und damit auch den urbanen Systemen stellen müssen. Robert Lintichum, der sich jahrelang mit der städtischen Entwicklung in der Zwei-Drittel-Welt und der dort grassierenden Armut im Auftrag vom evangelischen Missionswerk World Vision beschäftigt hat, schreibt mit Recht:

      „Armut ist nicht sosehr die Abwesenheit an Gütern, es ist die Abwesenheit von Macht – die Kapazität, die Fähigkeit, die eigene Situation zu verändern.“31

      Urbane Systeme kontrollieren die Macht in der Stadt. Wer die Machtverhältnisse in der Stadt verstehen will, der wird sich mit den Systemen der Stadt auseinandersetzen müssen.

       2.3. Gesellschaftstypen

      Obwohl in allen urbanen Räumen urbane Systeme wirken, ist ihre Durchschlagskraft unterschiedlich zu bewerten. Das liegt vor allem am jeweiligen Typ der Stadt. Städte sind nicht einfach vorhanden, sie entstehen und entwickeln sich immerfort. Diese initiale und fortwährende Entwicklung definiert auch den jeweiligen Gesellschaftstyp des urbanen Zusammenlebens. Ob ein Stadtteil sich gerade aus einer Ansiedlung von Menschen, die auf der Suche nach Arbeit in die Stadt drängen, entwickelt oder sich dank wachsender Bevölkerung ausweitet und Vororte der Reichen und Einflussreichen bildet – all das entscheidet, welchen Charakter der jeweilige urbane Raum annimmt.

      Der Urbanologe Ray Bakke identifiziert eine Reihe von Gesellschaftstypen in der Stadt, die er daran festmacht, dass er nach dem Kommunikationsfluss in der Gesellschaft und nach der Durchlässigkeit der Gesellschaft fragt.32 Er unterscheidet dabei zwischen Slum, Schwellengemeinschaft, Wandlungsgesellschaft, diffuser und parochialer Gesellschaft und einer gesunden Gemeinschaft.

      Dabei stehen Slums für Elendsviertel der Stadt, die als Auffangquartiere für Menschen dienen, die entweder als verarmte Landbevölkerung oder Flüchtlinge in die Stadt zuwandern oder infolge von Arbeitslosigkeit und dem Verlust des sozial-ökonomischen Halts „auf der Straße“ landen. Slums entstehen in der Regel chaotisch. Kommunikation nach innen wie außen ist stark erschwert. Ebenso der Ausbruch in ein besseres Leben. Slums können sich zu Schwellengemeinschaften entwickeln, in denen der Wille zur Veränderung bessere Aufstiegsmöglichkeiten schafft. Schwellengemeinschaften können sich sowohl als Weg aus dem Slum als auch als Wandlungsgesellschaft in den sozialen Abstieg entwickeln. Solche Wandlungsgesellschaften entstehen da, wo eine Bevölkerungsschicht durch Ansiedler verdrängt wird. Oft sind solche Gemeinschaften in den ersten Jahren ihrer Existenz sehr diffus organisiert. Man spricht dann vom diffusen Gemeinwesen. Das Gegenteil davon wären parochiale Gemeinschaften, in denen eine stark nach innen definierte Einwohnerschaft lebt, die sich bewusst von der Außenwelt abgrenzt und eine Art Parallelwelt für sich bildet. Bakke wünscht sich ein offenes und gesundes Gemeinwesen. Ich habe seine Beobachtungen in folgender Tabelle festgehalten33 und hier und da ergänzt.

      Die jeweiligen Gesellschaftstypen sind in der Regel räumlich voneinander getrennt. Segregation erfolgt meistens unfreiwillig als Folge sozialer Ungleichheit. Randgruppen, „relativ statusniedere Bevölkerungsgruppen“, wird in bestimmten Bereichen der Zugang zu sozial höher bewerteten Gruppen verwehrt.34 Auf der anderen Seite streben gerade diese Bevölkerungsgruppen den Aufstieg an. Und die Stadt, bei aller Segregation, ermöglicht diesen auch. „Die Stadt ist der Ort, an dem ein Überschuss an Möglichkeiten den Individuen die Integration in die verschiedenen Dimensionen der modernen Gesellschaft überhaupt erst ermöglichte.“35

       2.4. Menschengruppen in der Stadt

      Urbane Räume sind gegliederte Räume. Wir unterscheiden dabei zwischen funktional-räumlicher und sozial-räumlicher Gliederung.

      Bei einer Gliederung nach Funktion werden Räume unterschieden, in denen entweder Kultur, Religion, Politik/Verwaltung, Ökonomie, Bildung oder auch Freizeitgestaltung gefördert und gelebt werden. Daneben stehen dann Räume, die soziale Zugehörigkeit definieren, wie soziale Klasse, Gesellschaftsschicht, Milieu oder Alter.

      Hinter den Gesellschaftstypen stehen also unterschiedliche Menschengruppen, die sich unterschiedlich sozial, kulturell, religiös und politisch organisieren. Die Grenzen zwischen diesen Gruppen sind flexibel und erlauben Entwicklung und Fortkommen. Stadtbewohner sind flexibel, aber nicht unorganisiert. Sie lassen sich nach ihrer Kultur, Religion und sozialem Stand auf der einen, ihrem ökonomischem Status auf der anderen Seite in Klassen, Stände und Milieus einteilen.

      Große Gruppen von Leuten mit gleichen ökonomischen Ressourcen, die stark einwirken auf Lebensstile, nennen wir Soziale Klassen. Max Weber (1864-1920) definierte: „Klassen sind Gruppierungen von Menschen, die aufgrund ihres Besitzes und/oder spezifischer Leistungen auf dem ,Markt‘ ungefähr gleiche materielle Lebenschancen haben.“ Klassen weisen meist flexible Grenzen auf und kennen formale Behinderungen zum Aufstieg. Man gehört einer Klasse nur aufgrund des erworbenen gesellschaftsökonomischen Status‘ an.

      Hans und Petra kommen aus einer reichen Familie. Sie haben selbst studiert und leiten heute eine größere Firma. Sie gehören zu der oberen sozialen Klasse, während das Lehrerehepaar Müller zur Mittelklasse und die Webers, die einem einfachen Handwerkerjob nachgehen, zur Arbeiterklasse gehören.

      Von den sozialen Klassen unterschieden werden soziale Schichten. Der Begriff geht auf Theodor Geiger (1891-1952) zurück, der Unterschiede zwischen


Скачать книгу