Meine persönliche Reformation. Maria Katharina Moser

Meine persönliche Reformation - Maria Katharina Moser


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Erst im Jahr 1849 wurde der Übertritt von einem christlichen Bekenntnis zu einem anderen für über 18-jährige Personen freigestellt. Weitergehende und teilweise bis heute geltende Regelungen traf dann das Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse aus dem Jahr 1868. Heute gilt die in Österreich im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention, die in Artikel 9 das Grundrecht auf Religionsfreiheit formuliert, das die Freiheit, die Religion zu wechseln, einschließt. In der Charta Oecumenica, mit der der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) und die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) im Jahr 2001 „Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa“ beschlossen haben, verpflichten sich die Kirchen, „anzuerkennen, dass jeder Mensch seine religiöse und kirchliche Bindung in freier Gewissensentscheidung wählen kann. Niemand darf durch moralischen Druck oder materielle Anreize zur Konversion bewegt werden; ebenso darf niemand an einer aus freien Stücken erfolgenden Konversion gehindert werden.“ (II.2) So gehört der Religionswechsel heute ebenso zu den Kennzeichen der religiösen Pluralisierung Europas wie die Entscheidung von Menschen, keiner Religion anzugehören. Die Religionsfreiheit einschließlich der Freiheit des Religionswechsels stellt eines der Kriterien der „Europatauglichkeit“ dar, das nicht nur für Staaten, sondern auch für Religionsgemeinschaften gilt. Erst die Akzeptanz freier Religionswahl macht die Konvivenz unterschiedlicher Glaubensrichtungen und das friedliche, möglichst konfliktarme Zusammenleben verschiedener Religionen möglich. Dies ist im jeweiligen historisch bedingten Kontext zu sehen. Gerade in Österreich mit seiner langen Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung der Evangelischen – die volle bürgerliche Gleichberechtigung erlangten sie erst 1861 – ist das zu berücksichtigen. Lange Zeit wurden die Evangelischen pauschal als „Akatholiken“ bezeichnet und haben ihrerseits ihre Identität nicht selten durch eine negative Abgrenzung von der römisch-katholischen Kirche gebildet. Diese Ambivalenz der Fremdwahrnehmung und eigenen Identitätsbildung kann heute weithin als überwunden gelten. Mit den aus dem Katholizismus gekommenen Pfarrerinnen und Pfarrern ändert sich auch das Bild des Katholizismus in der evangelischen Kirche. An die Stelle von lang gepflegten Ressentiments oder (oft lieb gewordenen) Vorurteilen tritt die Auseinandersetzung mit der authentisch gelebten anderen kirchlichen Tradition, die dazu beitragen kann, evangelische Positionen deutlich zu formulieren und so – nicht trotz, sondern wegen der Ökumene! – zu fördern, was das genuin Evangelische an den evangelischen Kirchen ist.

      In den persönlichen Glaubens- und Kirchengeschichten, die im vorliegenden Buch erzählt werden, geht es zumeist um ein langsames Hinüberwachsen in die andere und neue Kirche, die oft gar nicht so anders und auch nicht ganz neu war. So gut wie nie waren es radikale „Bekehrungen“ oder dramatische „Reformationserlebnisse“, bei denen ein hell strahlendes „Nachher“ auf der dunklen Folie des „Vorher“ gezeichnet wird. So gut wie niemand unter den Autorinnen und Autoren beschreibt den eigenen Kirchenwechsel als persönliches „Damaskuserlebnis“. Es ist auffällig, wie viel Positives über die eigene Kindheits- und Herkunftskirche berichtet wird – auch wenn es immer wieder konkrete Inhalte gibt, die für die Entscheidung des Übertritts wichtig geworden sind. Dies trifft vor allem bei den Frauen zu, die etwa ihren Wunsch, als Pfarrerin arbeiten zu können, nur in der evangelischen Kirche realisieren konnten. Neben solch persönlichen Beweggründen stehen als Motive die allgemeinen Kennzeichen evangelischer Kirche wie etwa die Wortbezogenheit, die Bedeutung der Predigt, das demokratische Miteinander der Gemeinden und anderes mehr. Die Motive und Umstände, die zum Kirchenwechsel geführt haben, sind vielfältig, das heißt immer individuell und persönlich. Aus allen Berichten geht hervor, dass das katholische Erbe in den neuen Beruf als eine besondere Bereicherung eingebracht werden kann. Die „ökumenische Zweisprachigkeit“, die diese Pfarrerinnen und Pfarrer leben, führt zu einem vertieften Verständnis der anderen Kirche und stellt das ökumenische Miteinander vor Ort nicht in Frage, sondern vermag es zu vertiefen und zu fördern. Dies gilt selbstverständlich auch in umgekehrter Richtung für all jene, die aus der evangelischen Kirche in die römisch-katholische Kirche oder eine andere Kirche übertreten und geistliche Leitungsfunktionen übernehmen. Gerade zwischen den ökumenisch miteinander verbundenen Kirchen stellt der Übertritt ja keinen Glaubenswechsel dar, wie es etwa die Konversionen zwischen Christentum und Islam sind. Daher scheint der Wunsch begründet, dass der Übertritt ein akzeptierter Bestandteil der ökumenischen Wirklichkeit wird, mit dem offen umgegangen werden kann.

      Ich danke allen Autorinnen und Autoren und den beiden Herausgebenden, die als Kirchenwechslerin und Pfarrerssohn paradigmatisch die unterschiedlichen Wege in das evangelische Pfarramt personifizieren, sowie dem Styria Verlag, der damit einen herausfordernden und spannenden Beitrag zum Jahr des Reformationsjubiläums liefert.

      MICHAEL BÜNKER, geboren am 26. April 1954 im Pfarrhaus in Leoben, Steiermark, aufgewachsen in Radenthein, Gymnasium von 1964 bis 1972 in Villach, Kärnten; Studium der evangelischen Theologie in Wien (Promotion 1981); Vikariat in Wien-Döbling, Pfarrer in Wien-Floridsdorf; ab 1991 Leiter der Evangelischen Religionspädagogischen Akademie (ERPA); 1999 Wahl zum Oberkirchenrat, seit 2007 Generalsekretär der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) und seit 2008 Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich.

      Klaus Niederwimmer

      Ökumene XL – oder: Wie mich zwei Kirchen durch mein Leben begleiten

      Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein.“ (1 Mose 12,2) Mit dieser Zusage und mit diesem Auftrag schickt Gott Abraham auf seinen Weg in ein unbekanntes und fremdes Land. Diese Worte hat mir 1985 mein katholischer Kollege und Freund in Kärnten mit auf meinen Weg als evangelischer Pfarrer gegeben. Sie finden sich als Widmung in meinem Benediktionale, einem römisch-katholischen Buch für die Gestaltung von Segensfeiern, das ich heute noch verwende. In meinen mehr als dreißig Jahren als evangelischer Pfarrer begleiten mich diese Worte als Leitwort für mein Leben und Arbeiten durch Höhen und Tiefen, durch segensvolle Zeiten, aber auch durch die Brüche in meinem Leben. Und wenn ich heute darüber nachdenke, stellen sie mir auch die Frage: Warum habe ich gerade diese biblischen Worte ausgerechnet von einem römisch-katholischen Priester bekommen? Warum sind gerade sie mir als ehemaligem Katholiken zum Leitwort meines Lebens geworden? Wenn ich heute darauf eine ehrliche Antwort suche, dann erkenne ich darin etwas vom Handeln Gottes an mir über Konfessionsgrenzen hinweg und vor allem darüber hinaus. Es ist nicht in erster Linie die Frage, in welcher Konfession ich versuche, Glaube und Heimat zu suchen, zu finden und zu leben, sondern die Frage, ob ich mich suchen und finden lasse und dem Handeln Gottes Raum schenke in meinem Leben. Mir ist diese Gnade in der evangelischen Kirche geschenkt worden. Und ich bin davon überzeugt, dass der Weg dorthin durch meine katholische Zeit gut und wichtig war und bis heute unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens ist. Vielleicht sind diese Worte aus der Heiligen Schrift ein Ausdruck dafür, dass meine Reise in die evangelische Kirche hinein auch eine Reise in ein unbekanntes Land war, das ich nach und nach erkundet und entdeckt habe und in dem ich schließlich heimisch geworden bin – und in dem ich den Segen Gottes reichlich erfahren habe.

      Dabei beginnt meine Konversionsgeschichte eher unspektakulär: Als Schüler der Handelsakademie in Innsbruck werde ich von einem Freund in den evangelischen Jugendkreis eingeladen und fühle mich von Anfang an wohl. Die Gemeinschaft, das Singen, die Ausflüge und auch das Nachdenken über biblische Fragen tun mir gut, ich fühle mich angenommen und zuhause. Da gibt es keinen großen Bruch mit meiner alten katholischen Heimat, keine schlechten Erfahrungen, die ich machen musste, keine Verletzungen, die einen Austritt zwingend werden ließen. Eher ein Herauswachsen und ein Hineinwachsen in Neues. Heute würde ich vom kairós sprechen: davon, dass es einen Zeitpunkt im Leben gibt, zu dem Dinge geschehen, die zu keinem anderen Zeitpunkt so geschehen könnten; einen Moment, der einfach geschieht, weil es so sein soll; einen von Gott geschenkten Augenblick, der auch – wie in meinem Fall – eine Zeitspanne sein kann, in der sich Dinge wesentlich verändern, neu und anders werden, eine Gnadenzeit. Und erst im Rückblick zeigt sich klar und deutlich, dass es richtig war und sich stimmig anfühlt.

      Aufgewachsen


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