Meine persönliche Reformation. Maria Katharina Moser
zu finden und gehen zu können. Gerade in der katholischen Kirche gibt es hier ein breites Angebot, das wir nicht zu kritisch betrachten, sondern für uns nutzbar machen sollten. Der ganzheitliche Blick auf den Menschen wird immer wichtiger. Ich denke zum Beispiel an die steigende Beliebtheit von Pilgerwegen und freue mich darüber, dass es nicht nur den Jakobsweg gibt, sondern auch den Weg des Buches. Oder darüber, dass es ein evangelischer schwedischer Bischof war, der vor 22 Jahren die „Perlen des Glaubens“ erfunden hat, ein Gebetsarmband als ganzheitliche Lebens-, Glaubens- und Gebetshilfe. Solche ganzheitlichen Angebote brauchen wir in der evangelischen Kirche, die lange in der Gefahr stand, „nur“ oder in erster Linie etwas für Kopfmenschen zu sein. Ich bin überzeugt davon, dass ich ohne meine katholische Vergangenheit diesen evangelisch-kritischen und zugleich katholisch-offenen Blick nicht haben würde – und ich bin darüber sehr froh.
Es erscheint mir nun fast konsequent, dass mich mein Weg in der „Ökumene XL“ als Klinikseelsorger ins „Heilige Land Tirol“ in ein Team von 15 katholischen Theologen und Priestern mit mir als einzigem evangelischem Theologen/Pfarrer geführt hat. Ich bin im Team voll anerkannt, geschätzt und gewürdigt und werde immer wieder um meine evangelische Meinung gefragt. Meine katholischen Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ich Konvertit bin, und es stört sich auch hier niemand daran. Ganz im Gegenteil: Ich erlebe, dass es oft spannende ökumenische Diskussionen gibt, dass es meinen katholischen Kolleginnen und Kollegen guttut, wenn ich meine evangelische Stimme, die auch eine Stimme der Minderheit ist, erhebe und wir miteinander feiern und beten, gerade auch in unserer Verschiedenheit. Wie gerne bringe ich mich ein bei dem oft geäußerten Wunsch, in einem ökumenischen Gottesdienst zu predigen, das Wort Gottes auszulegen, das die katholischen Kollegen immer noch gerne „uns Evangelischen“ überlassen, weil wir das ja so gut können – aber nicht nur deshalb, sondern weil ich gelernt habe, es gut zu tun, und weil ich es einfach gerne verkündige.
Und – es ist gut zu sehen, wie viele meiner katholischen Geschwister kritisch zu ihrer Kirche stehen und dies auch äußern. Diese kritische Liebe fasziniert mich: Die eigene Kirche zu lieben, in ihr zu wirken und sie gleichzeitig mit sehr kritischen Augen zu betrachten – das finde ich aufregend, das ist für mich auch ein Stück Reformation heute in der katholischen Kirche. Diese kritische Einstellung teile ich oft mit ihnen, habe meine Anfragen z. B. an das katholische Amtsverständnis und die Hierarchie. Gleichzeitig spüren wir, dass wir miteinander unterwegs sind auf derselben Straße – hin zu den Menschen und ihren Nöten und um Wege zu suchen, damit mehr Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung möglich werden.
Wenn ich diese Zeilen schreibe, dann merke ich, wie viele Momente in meinem Leben zusammenspielen, mich geprägt haben, mich verändert haben und dies immer noch tun. Und das ist gut so! Ich bin auf dem Weg, immer noch ein Suchender und Fragender. Nicht, weil ich meinen Ort und meine Heimat nicht gefunden hätte. Nein! Ich bin evangelisch und das aus vollem Herzen. Aber ich merke, dass es da noch viel mehr und Größeres gibt als konfessionelles Bewusstsein.
So bin ich mir meiner Wurzeln bewusst, will und kann sie nicht verleugnen, aber ich darf weiterwachsen in eine Weite und Offenheit hinein, weil Gottesbegegnung und Menschsein so vielfältig sind wie die Kirchen, in denen sie erlebbar und erfahrbar sind.
KLAUS NIEDERWIMMER, geboren 1956 in Innsbruck; Volksschule und Hauptschule in Innsbruck, Matura an der Handelsakademie 1976; Zivildienst in Gallneukirchen; Studium der evangelischen Theologie in Wien und Zürich; Vikariat in Wallern, Oberösterreich; Pfarrer von 1985 bis 1999 in Spittal an der Drau, anschließend in Unterhaus und Weiz, dann Pfarrer in Klagenfurt Johanneskirche, von 2005 bis 2014 Pfarrer in Salzburg, nördlicher Flachgau; halbjähriges Sabbatical in verschiedenen Pfarrgemeinden in Südschweden; seit 2014 Klinik- und Gefängnisseelsorger in Innsbruck.
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