Dr Crime und die Meister der bösen Träume. Lucas Bahl
eine Marionette führen. Mein Kopf, oder wo auch immer mein Wille gesteckt haben mochte, war leer.
Und so registrierte ich zwar, dass er damit begann, mir das Hemd aufzuknöpfen, aber ich ließ diese Handlung ohne den geringsten Versuch der Gegenwehr über mich ergehen. Obwohl ich zumindest etwas hätte sagen können, da ich, als er mich hochzog, den Lappen ausspucken konnte und er nichts unternommen hatte, um mich erneut zu knebeln. Er zog mir das Hemd aus der Hose. Mit einer Sanftheit, die der Situation mit all ihrer Gewalt völlig unangemessen war, strich er mir über den nackten Bauch und öffnete den Gürtel meiner Jeans. Mit einem Ruck riss er sie herunter, bis sie zwischen meinen Kniekehlen hing.
Was wird das?, dachte ich, will er dich als Teil seiner Folter vergewaltigen? Waren es die Schmerzen oder diese Vorstellung oder beides zusammen? Jedenfalls lief mir trotz der Brutofenhitze ein eiskalter Schauer den Rücken hinab. Andererseits war ich auf eine perverse Art froh, dass sich überhaupt ein Gedanke in meinen Hirnwindungen hatte formen können.
„Ich werde mit einigen gezielten Schlägen in deinen Bauch beginnen, bevor ich mir deine Kronjuwelen vornehme.“
Ich spürte seine Hand wie einen zarten Hauch über meine Unterhose gleiten. Die herabgelassene Jeans fesselte meine Beine, das Hemd geöffnet, im Rücken eine schräg aufragende schwarze Felsplatte, die von den unerträglichen Temperaturen so aufgeheizt war, dass man auf ihr ein Steak hätte anbraten können. – Innen noch blutig. – Genauso fühlte ich mich. Obwohl Roberto mit zwei Schlägen lediglich meine Hände zertrümmert hatte, kam es mir so vor, als seien meine Arme von den Schultern abwärts gelähmt und nicht nur die Arme, auch die Beine und der ganze kümmerliche Rest meiner Existenz.
In so einer Lage hatte ich mich noch nicht befunden. Ich konnte auf keinerlei auch nur ansatzweise ähnliche Erfahrungen zurückgreifen und so gewannen nackte Angst und Panik die Oberhand. Der Schweiß, der mir über Gesicht und Körper rann, ließ sich nur zum Teil auf die Hitze zurückführen.
Derart paralysiert, war ich zu keiner Bewegung mehr fähig. Robertos Erfahrung zeigte ihm deutlich, in welch hilflosem Zustand ich mich befand. Es war unnötig, mich zu fesseln. Das hatte mein Gehirn im Gleichklang mit meinen zerstörten Händen bereits selbst besorgt.
Wie in Zeitlupe beobachtete ich, dass er erneut mit meiner Smith & Wesson als Schlagwaffe ausholte. Ihren Griff, der in meine Gedärme donnerte, nahm ich wahr, als hätte ich mich in diesem Moment in zwei Personen aufgespalten, die, jede auf ihre Weise, die Details meiner Qual beobachteten.
Das, was explosionsartig mit meinem Bauch geschah, lässt sich kaum beschreiben. Es war das Gefühl, als hätte jemand einen Feuerwehrschlauch mit einem einzigen kurzen Ruck am Ventil voll aufgedreht, wobei die mit brutaler Gewalt hervorschießenden Wassermassen direkt ins Innere meines Körpers drangen. Allerdings dürfte das, was meinen Bauch so plötzlich aufzublähen schien, eher eine Mischung aus Scheiße und Blut gewesen sein.
Zeitgleich schien ich mich außerhalb meines Körpers zu befinden. Ich beobachtete von einer Position aus, als stünde ich mir selbst gegenüber, wie der in meine Bauchdecke gehämmerte Pistolengriff in die Muskulatur einschlug und tief in ihr versank. Die Haut schlug kreisförmige Wellen, so wie ein Stein, der in einen Teich geworfen wird, die Wasseroberfläche in Bewegung versetzt.
Roberto drehte sich etwas zur Seite, um besser ausholen zu können. Dann schlug er erneut zu.
Diesmal zielte er eine Etage tiefer.
Trotz der allseitigen Lähmung, die mich all dies bisher ohne die geringste Gegenwehr erdulden ließ, reckte ich in hilfloser Abwehr meine blutüberströmten Hände nach vorne. Gleichzeitig krümmte ich mich zusammen, um den furchtbarsten Teil der Folter abzuwehren.
Doch die zum Schmiedehammer degradierte Hush Puppy durchbrach meine Deckung.
Wie kann Dr Crıme diese Qualen überleben?
FOLGE 5
WAS BISHER GESCHAH
Dr Crıme sieht einem qualvollen Tod ins Auge.
Die zum Schmiedehammer degradierte Hush Puppy durchbrach meine Deckung.
In diesem Moment löste sich der Schuss.
Mit einem trockenen Plopp traf die 9 mm Kugel Robertos Bauch und trat – ein unschönes, fast faustgroßes Loch hinterlassend – am Rücken wieder aus. Wie in Zeitlupe schleuderte er die Smith & Wesson von sich, aber es war längst zu spät.
Befand sich trotz der Ladehemmung eine Patrone in der Kammer? Hatte sich der Sicherungshebel dank meiner Abwehr gelöst?
Ich wusste es nicht.
In diesem Augenblick gehörten diese Fragen zu den Dingen, die mich am wenigsten interessierten. Und wenn ich ehrlich bin, dann ist mein gegenwärtiges Interesse daran bestenfalls akademischer Natur. Seinerzeit war ich einfach froh, dass meine Pistole irgendwann doch noch funktioniert hatte – wenn auch viel zu spät. Trotzdem bewies sie ihre im wahrsten Sinn des Wortes umwerfende Wirkung. Man spricht in solchen Zusammenhängen gerne von der mannstoppenden Durchschlagskraft einer Waffe. Meiner Ansicht nach deutet dieser Begriff noch nicht einmal die halbe Wahrheit an.
Ich kann mich zudem nicht mehr daran erinnern, wie es mir, kaum dass Roberto zu Boden gegangen war und langsam verblutete, mit meinen kaputten Händen gelungen war, ihm den Colt Python aus dem Hosenbund zu ziehen.
Jetzt war er paralysiert und schaute unter leise flatternden Lidern zu mir auf, während ich den Revolver mit den beiden pochenden, blutigen Fleischklumpen, die einmal meine Hände gewesen waren, umklammert hielt. Ich saß auf dem harten Vulkangestein und er lag vor mir und röchelte leise. Das durch den roten Staub gedämpfte Geräusch des Windes, mein unwillkürliches Gewimmer, das ich unmöglich abzustellen vermochte, und sein mit leisem Blubbern unterlegtes Geröchel waren die einzigen Geräusche, die in dem von rotbraunen Schlieren umwaberten Platz inmitten des schwarzen Labyrinths zu hören waren.
Wir starrten uns an.
Jedenfalls habe ich es so in Erinnerung, dass auch er mich während der letzten Minuten seines Lebens mit seinem Blick zu fixieren versuchte, während ich ihm, ebenfalls mehr tot als lebendig, beim Sterben zusah.
Leise sagte ich auf Deutsch:
„Wie süß ist es, zu träumen nach den Leiden
Den Traum, in Licht und Erde zu zerfallen,
Nichts mehr zu sein, von allem abzuscheiden,
Und wie ein Hauch der Nacht hinab zu wallen …“
„Was erzählst du da?“, keuchte Roberto.
„Georg Heym“, sagte ich.
„Was bedeutet das?“
So gut ist mein Spanisch nicht, dennoch ich tat mein Bestes und übersetzte die Verse.
„Du bist ein Dichter“, flüsterte er.
„Nicht ich“, sagte ich, „das ist …“, doch da war er bereits tot.
„Ein Falter kommt die Schlucht herab. Er ruht
Auf Blumen. Und er senkt sich müd
Der Wunde zu, dem großen Kelch von Blut,
Der wie die Sammetrose dunkel glüht.“
Ich sah zwar weit und breit keine einzige Blume, aber ich wollte keinesfalls den Schluss des Gedichtes ungesagt lassen, auch wenn er mich nicht mehr hören konnte. Das mag ein normal denkender, normal empfindender Mensch als abartig, als pervers empfinden, doch selbst bei einem so hochgradig brutalen und skrupellosen Typen, wie es Roberto gewesen war, der mich nur Minuten zuvor auf höchst grausame Weise zu Tode foltern wollte, fiel es mir schwer, ihn wortlos gehen zu lassen.
Ich glaube nicht an Gott. Aber an den Teufel. Ihm begegne ich Tag für Tag – nicht