Speck Schnaps Mord. Ernest Zederbauer

Speck Schnaps Mord - Ernest Zederbauer


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      Monika, seine Tochter, zwanzig Jahre alt und mit einem Medizinstudenten verlobt, stieß nach. Sie sorgte sich um den Geisteszustand ihres Vaters: „Ich treffe mich heute Nachmittag mit Ralf und werde ihn fragen, wie man dir da helfen könnte. Das kann doch so nicht mehr weitergehen, du machst dich doch kaputt!“

      Wutentbrannt sprang Karl auf und brüllte, was das Zeug hielt: „Ich bin doch nicht blöd, ich weiß genau, was ich gesehen habe. Der Tote war da – und damit basta! Irgendwer muss ihn weggeschleppt haben, vielleicht war der Mörder sogar noch in der Nähe und hat mich beobachtet, wie ich die Leiche entdeckt habe!“

      Ohne fertig gegessen zu haben, sprang er auf, eilte die Stiegen hinunter in die Kanzlei, holte die halb volle Cognacflasche aus der Bar und besoff sich abermals.

      Am späten Nachmittag rief er seinen Freund, den örtlichen Polizeikommandanten, an: „Können wir uns heute Abend treffen, ich hab ein Problem mit dir zu besprechen. Komm bitte zu mir in die Wohnung meiner Mutter, so gegen acht Uhr, wenn es dir passt!“

      Adameks Mutter hatte in demselben Wohnbau gewohnt, in dem auch sein Freund Seipelt zu Hause war. Seit dem Tod der Mutter stand die Wohnung leer, diente als Ausweichquartier und war ein unauffälliger Treffpunkt.

      Gruppeninspektor Ignaz Seipelt war pünktlich zur Stelle. Die beiden jungen Kollegen hatten ihn bei der Ablöse nur kurz informiert, nun wollte er sich selbst über die mysteriöse Angelegenheit ein Bild machen. Karl schilderte ihm die verzwickte Sachlage mit denselben Worten wie tags zuvor seinen beiden jungen Kollegen. Er versicherte dem Polizisten, dass sich die Situation genauso zugetragen hätte.

      „So angesoffen kann ich gar nicht sein, dass ich eine Leiche sehe, wo keine ist. Freilich war es stockfinster, doch die Tatsache, dass er nackt war, hat ihn hell durch das Gras schimmern lassen. Außerdem habe ich ihn in meinem Dusel auch noch abgetastet und dabei sogar seinen Schwanz und seine Eier in der Hand gehabt!“

      Seipelt schüttelte den Kopf. In seiner Laufbahn hatte er bereits allerhand mögliche, aber auch unmögliche Vorfälle untersucht, doch so etwas war ihm noch nie passiert. Er wusste nicht, woran er war. Einerseits kannte er die Trinkfestigkeit seines Freundes und konnte sich bei bestem Willen nicht vorstellen, dass dieser fantasiert hatte oder ihn gar belog. Andererseits war es aber auch sehr, sehr merkwürdig, dass niemand sonst die Leiche entdeckt hatte.

      Um einer weiteren Diskussion aus dem Wege zu gehen, fuhren sie zu der besagten Stelle. Der Fleck, wo Adamek sich erbrochen hatte, war noch deutlich am Asphalt zu erkennen. Im Graben jedoch war nichts zu entdecken, was dort nicht hingehörte. Seipelt ging hundert Schritte von dem Fleck hinunter, hundert Meter von dem Fleck hinauf. Dann durchsuchte er oberflächlich den Wald auf etwaige verräterische Spuren. Allein, er fand nichts. Er kehrte zu Adamek zurück, der rauchend im Auto saß.

      „Karl, ich weiß nicht, was ich von dieser Sache halten soll. Hier ist von all dem, was du mir erzählt hast, nichts zu sehen. Keine Leiche, keine Blutspuren, keine Fußspuren, keine Zeichen eines Kampfes. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder du hast im Suff irgendwelche Halluzinationen erlebt oder es ist tatsächlich ein Toter hier im Graben gelegen, der in der Nacht noch weggeschafft worden ist. Der Güterweg wird ja schließlich auch von anderen benutzt. Bauern fahren auf ihm zu ihren Feldern, Jogger laufen frühmorgens an dem Graben entlang, Radfahrer sind ständig unterwegs und auch Säufer wie du, die Kontrollen auf den Hauptstraßen fürchten. Irgendwer hätte Samstag früh den Toten sehen müssen. Ich mach dir einen Vorschlag: Wir fahren jetzt wieder in die Stadt zurück und vergessen das Ganze. Sollte sich irgendwas diesbezüglich ergeben, dann ruf ich dich an!“

      Die neue Woche begann wie alle anderen zuvor auch. Karl stand um fünf Uhr früh, bekleidet mit einem blauen Overall, schwarzen Gummistiefeln und weißer Gummischürze, in der Schlachtbank. Er war gerade dabei, ein am Haken hängendes Schwein zu zerteilen, als sein Geselle hereinkam.

      Als Karl ihn sah, hielt er inne und richtete das Wort an ihn: „Sag ehrlich, Ferdl, glaubst du, dass ich verrückt bin?“ Ferdl blieb wie vom Blitz getroffen stehen, konnte sich nicht genug wundern, was mit seinem Chef los war. Seit dreißig Jahren arbeitete er hier, aber nie zuvor hatte ihm sein Chef so eine substanzielle Frage von derartig außerordentlicher Tragweite gestellt. Freilich zweifelte er hin und wieder an dessen Geisteszustand, so wie jeder Arbeitnehmer dann und wann zweifelhafte Anordnungen seines Arbeitgebers zwangsläufig nicht verstehen will oder kann. Doch Gedanken daran zu verschwenden, war ihm bislang nicht in den Sinn gekommen. Nachdem ihn aber der Meister nach wie vor mit kaltem Blick fixierte, kapierte auch er, dass dieser tatsächlich eine Antwort auf die seltsame Frage erwartete. Kurz zuvor war ihm noch in den Sinn geschossen, dass der Alte schon in aller Früh einen sitzen haben könnte. Er räusperte sich, fuhr mit der Zunge über die Unterlippe, wie er es unbewusst immer tat, wenn er verlegen war.

      „Nein, Chef“, begann Ferdl seinen Singsang mit hoch tenoraler Sprechstimme, die immer dann, wenn er besonders nervös war, auf und ab modulierte wie bei einem Litaneisänger, „du bist nicht verrückter als all die anderen, die in Gottes großer, weiter Welt herumlaufen!“

      Karl war mit Ferdls betont blumiger Sprache bestens vertraut, doch seine Äußerung war ihm wahrlich kein Trost, da er jetzt noch immer nicht wusste, ob er in seinen Augen nun als verrückt galt oder nicht. Weil er aber bezweifelte, dass eine Nachfrage eine konkretere Antwort nach sich ziehen würde, unterließ er diese. Seufzend wandte er sich wieder dem toten Schwein zu. Obwohl er es sich vor seinem Gesellen nicht anmerken lassen wollte, war er fix und fertig. Irgendwo in seinem Gehirn musste eine Sicherung durchgebrannt sein. Warum um Himmels willen, fragte er sich, sah er nackte Tote, wo keine waren?

      Punkt neun brachte seine Tochter die Jause. Karl und Ferdl nahmen am Tisch des Burschenzimmers, welches sich hinter der Schlachtbank befand, Platz. Karl drehte das Radio auf, denn er wollte die Nachrichten hören. Doch die Revolution in Syrien und die Eurokrise interessierten ihn schon lange nicht mehr. Gerade in dem Augenblick, als er das Gerät wieder ausschalten wollte, kam eine Nachricht aus dem Waldviertel, die ihn geradezu elektrisierte: Ein Finanzbeamter mit dem seltsamen Namen Hieminger war seit Freitagabend abgängig. Wie von einer Tarantel gebissen fuhr Karl Adamek so heftig auf, dass das Radio mit lautem Krach auf dem Boden landete. Ohne eine weitere Erklärung abzugeben, stürzte er in das kleine Büro und packte aufgeregt seine Frau am Arm.

      „Weißt du noch, wie der wahnsinnige Finanzbeamte geheißen hat, der uns letztes Jahr geprüft hat, dem wir die saftige Strafe zu verdanken hatten?“

      „Irgend so ein komischer Name, irgendwas mit Him …, vielleicht Himmelbauer, Himmelreich oder so … Warum kommst jetzt auf den?“

      „Weil gerade im Radio die Meldung kam, dass ein Prüfer von unserem Finanzamt seit Freitag abgängig ist!“ Bleich wie eine frisch getünchte Wand sank Karl in den gepolsterten Drehsessel.

      „Das ist mein Toter, den ich gefunden hab im Graben, da bin ich mir ganz sicher! Und keiner hat mir glauben wollen, die Polizisten nicht, du nicht und die Monika auch nicht, alle habt ihr mich für verrückt erklärt! Doch ich weiß, was ich gesehen habe und was nicht!“

      Die Augen weit aufgerissen, am ganzen Körper zitternd, fischte er sein Handy aus der Schublade und rief seinen Freund Seipelt an. Aufgeregt, mit sich überschlagender Stimme schrie er ins Telefon: „Ignaz, habt ihr eine Vermisstenanzeige bekommen, von einem abgängigen Finanzbeamten? Jetzt habts den Salat, weil ihr mir nicht geglaubt habt, denn das ist ganz bestimmt der nackte Tote, den mir keiner abgenommen hat!“ Wütend drückte er die rote Taste, beendete das Gespräch und ließ seinem Unmut weiter freien Lauf: „Kein Mensch soll mehr von mir sagen, dass ich verrückt bin, Halluzinationen im Vollrausch hab. Ich bin doch nicht blöd, weiß doch genau, was ich dort draußen erlebt hab!“

      Zehn Minuten später läutete das Handy, Seipelt meldete sich: „Karl, du hast wahrscheinlich recht. Pack dich zusammen und komm auf das Revier. Du musst mit uns noch einmal dorthin fahren, wo du den Toten gefunden hast!“

      Aller guten Dinge waren drei, dachte sich Karl, als er abermals zu der Stelle ging, wo er den Toten gesehen hatte. Die beiden jungen Polizisten, die ihn noch ein paar Tage zuvor taxfrei für


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