Speck Schnaps Mord. Ernest Zederbauer

Speck Schnaps Mord - Ernest Zederbauer


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Doch erst vor einer Woche hatte ihn Hieminger überraschenderweise um eine vertrauliche Unterredung gebeten. Er hatte das Angebot eines „Golden Handshake“ im Zuge der vom Ministerium vorgeschriebenen Personalreduzierung annehmen und in den frühzeitigen Ruhestand gehen wollen.

      Kommissar Kalteis bat den Amtsleiter um eine Auflistung aller Fälle, die in den letzten drei Jahren von Hieminger überprüft worden waren. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass Hieminger durch seine rüde Art, mit der er seine Opfer bedrängt hatte, nun selbst zum Opfer eines dieser Opfer geworden war. Irgendeiner der Geschädigten musste so einen Hass auf ihn empfunden haben, dass er ihn kurzerhand vom Leben in den Tod befördert hatte.

      Überhaupt erschien vieles an diesem Fall Reinhart Kalteis, dem Chef der Ermittlung, merkwürdig. Warum war der Tote nackt? Was wollte der Täter damit aussagen? Hatte auch ihm Hieminger „das letzte Hemd ausgezogen“? War der Täter vielleicht durch seine Prüfung pleitegegangen? Oder hatte ihn die Finanzstrafe zumindest an den Rand des Ruins gebracht? War der Täter ein Kaufmann, ein Handwerker, ein Geschäftsmann aus der näheren Umgebung? Kalteis würde Unterstützung durch einen Steuerexperten benötigen, der sich mit all dem Aktenkram zu beschäftigen hatte.

      Kalteis, ein alter Hase auf dem Gebiet der Mordermittlung, war mit allen Wassern gewaschen. Da er vor nicht allzu langer Zeit ein Seminar eines Polizeipsychologen besucht hatte, maß er der Nacktheit des Opfers allergrößte Bedeutung zu. Denn die Nacktheit, so wusste er, sollte als Symbol den Menschen im „Urzustand“ darstellen, also ohne jegliche hierarchische Unterscheidungsmerkmale durch die Kleidung. In der christlich-abendländischen Kunst wurden Adam und Eva immer nackt dargestellt, ebenso die Hexen. Während sich die Nacktheit bei Adam und Eva jedoch auf die Ur-Unschuld des Paradieszustandes bezog, wollte man bei den Hexen damit ihre Zügellosigkeit darstellen. Aber auch bei Initiationsriten der Naturvölker war die Nacktheit ein wesentliches Erfordernis im Kult des „Sichauslieferns“ an höhere Mächte und Kräfte, wobei der Mensch alle Bindungen und Knoten seiner Bedeckung löste und auch die sonst stets geschützten Genitalien unverhüllt ließ. Doch dass der Tote seine Nacktheit irgendwelchen obskuren Riten oder Einweihungen zu verdanken hatte, schloss Kalteis aus. Solcherlei Motive waren hier im ländlichen Raum nicht zu suchen und schon gar nicht zu finden. Versteckt im verstecktesten Winkel des Waldviertels lag die Kriminalitätsrate nahe an null und beschränkte sich auf Wirtshausraufereien, kleinere Diebstähle oder Verkehrsdelikte. Übergriffe von Rowdys oder Skinheads waren ebenfalls unbekannt und auch die ältesten Bewohner von Hochstätt konnten sich an keinen Mord erinnern. Also hieß es, Zwängen und Motiven nachzuforschen.

      Wahrscheinlich war Hieminger wie immer standesgemäß korrekt mit Anzug und Krawatte bekleidet gewesen, als er umgebracht wurde, überlegte Kalteis weiter. Die Möglichkeit, dass der Täter einen unbändigen Hass auf den Beamten verspürt und ihn durch die Nacktheit noch zusätzlich bloßstellen hatte wollen, durfte man keinesfalls außer Acht lassen.

      Am nächsten Tag liefen bereits frühmorgens die Ermittlungen auf Hochtouren. Der Steuerexperte überprüfte Hiemingers Akten der letzten drei Jahre. Kalteis und sein Kollege Erwin Schönkirchner untersuchten seine Wohnung in einer Wohnhausanlage am Rande der Stadt. Hiemingers Putzfrau, eine Frau Rosa Panagl, die zweimal pro Woche kam und die Grobarbeiten verrichtete, hatte ihnen aufgesperrt. Wie erwartet, war Hiemingers Wohnung ein Spiegelbild seiner überkorrekten Beamtenseele. Nirgendwo lag auch das kleinste Staubkorn herum, die Schuhe standen blank geputzt Spalier auf einer Fußmatte, in den Kleiderschränken roch es nach Mottenkugeln und Sauberkeit, auch stand kein ungewaschenes Geschirr in der Spüle. Ein Hauch von Unpersönlichkeit und Sterilität machte sich breit. Die Möbel waren von einfacher Geschmacklosigkeit, ohne einen Hinweis auf die Persönlichkeit des Eigentümers abzugeben. So angestrengt sich Kalteis auch umblickte, fand er doch nichts, was auch nur im Entferntesten auf Gemütlichkeit oder Lebensfreude hinwies. Die Rollos waren heruntergelassen, die schweren Vorhänge zugezogen. Hier hatte ein Mensch gelebt, der sich von seiner Außenwelt abgeschottet hatte. Einer, der keinen Kontakt nach außen suchte. Genau so hatte es sich Kalteis vorgestellt. Der Tote wurde ihm immer unsympathischer.

      Schönkirchner steckte den Kopf zur Tür herein, riss Kalteis aus den Betrachtungen über die Persönlichkeitsstruktur des Opfers.

      „Schau her, was ich gefunden habe“, rief er ihm zu und zeigte ihm eine Pistole. „Die lag in einer Schublade, versteckt unter einem Stoß Handtücher. Das würde man dem alten Knacker gar nicht zutrauen, oder?“

      Kalteis nahm die Pistole in Augenschein, es war eine Beretta, mit der offensichtlich noch nie geschossen worden war. Er wandte sich an die Putzfrau: „Haben Sie diese Waffe jemals gesehen?“

      „Ja“, kam postwendend die Antwort, „ich wollte die Lade auswischen und da lag sie drinnen. Er hat sich furchtbar aufgeregt und mir dann aber erklärt, dass ich keine Angst zu haben bräuchte, da sie nicht geladen sei. Er hat mir aber verboten, diese Lade jemals wieder zu öffnen!“

      „Wie war der Herr Hieminger, so als Mensch?“, wollte Kalteis nun von ihr wissen.

      „Da gibt es nicht viel zu sagen. Er war mir gegenüber immer korrekt und zahlte gut. Als er mich einstellte, gab er mir einen genauen Katalog, was und wie oft ich alles machen musste. Was mich was anging und was nicht. Zum Geburtstag und zu Weihnachten bekam ich eine Bonbonniere. Aber er war der unpersönlichste Kunde, den ich jemals hatte. Nie wollte er von mir wissen, wie es mir ging, nie hat er von sich irgendwas preisgegeben. Ich hatte einen Schlüssel, kam zweimal die Woche für jeweils drei Stunden und wurde dafür auch bezahlt. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir uns zufällig in der Stadt trafen, dann grüßten wir uns und gingen jeder wieder seiner Wege. Das war’s!“

      „Hatte er jemals Besuch? Kamen öfter Freunde, Bekannte oder Verwandte zu ihm?“

      „Ich glaube nicht, jedenfalls ist mir nie etwas aufgefallen. Er hat auch nie darüber gesprochen. Aber die Pistole ist nicht das einzige Geheimnis, das er hatte. Wenn Sie mit mir in den Keller gehen, dann zeig ich Ihnen was Interessantes.“

      Sie gingen in den Keller hinunter. Dieser war durch Lattenwände in vierundzwanzig gleich große Abteile gegliedert. Frau Panagl öffnete das einfache Vorhängeschloss der letzten Tür. Außer einem Regal, einer Tiefkühltruhe und einem Fahrrad gab es nicht viel zu sehen. Doch das Regal war gespickt voll mit Schnapsflaschen jeglicher Art, daneben hingen große Speckstücke an Schnüren von der Decke. Kalteis stieß einen Pfiff aus.

      „Das ist ja eine gänzlich unbekannte Seite im Leben des korrekten Beamten. Das sind ja Hunderte von Flaschen, war er am Ende gar ein Säufer?“

      Frau Panagl verneinte: „Ach wo, der Schnaps ist von all den Schnapsbrennern, die hat er im Lauf seiner langjährigen Dienstzeit geschnorrt. Ich glaub kaum, dass er gesoffen hat, jedenfalls standen nie benützte Gläser in der Wohnung herum. Doch das ist noch nicht alles, machen Sie doch mal die Gefriertruhe auf!“

      Kalteis tat wie geheißen. Nun verschlug es ihm gänzlich die Sprache. Die riesige Truhe war prall voll mit fein säuberlich abgepackten und beschrifteten Fleischstücken, Blutwürsten und riesigen Brotlaiben. Der Kommissar und sein Partner sahen sich an. Mit solch einer Entdeckung hatten sie nicht gerechnet.

      „Das ist ja wahrhaft gigantisch, was unser verblichener Freund hier gebunkert hat. Fürchtete er eine große Hungersnot? Hat er sich von der Weltuntergangsphobie nach dem Maya-Kalender anstecken lassen? Wollte er für Krisenzeiten vorsorgen? Oder hatte er Angstträume, in denen er hungern musste?“

      „Nichts von alledem“, entgegnete die Putzfrau. „Dieses Kellerabteil war sein größtes Geheimnis. Ich durfte hier nie heruntergehen, doch eines Tages habe ich seinen Ersatzschlüssel für dieses Schloss gefunden und da hat mich die Neugier gepackt. Da bin ich ihm auf die Schliche gekommen. Weil auf einem Flaschenetikett der Name eines Bekannten von mir zu lesen war, hab ich diesen angerufen. Der hat mir die Augen geöffnet über den angeblich so korrekten Herrn Finanzbeamten. Immer wenn der die Bauern beim Schnapsbrennen kontrolliert hat, hat er so lange gesudert, bis sie ihm Schnaps, selbst gebackenes Brot, Fleisch und Geselchtes, hausgemachte Würste oder Ähnliches mitgegeben haben. Er hat ohne viel Aufhebens seine Tasche hingehalten und ist erst gegangen, wenn sie


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