Josephine Baker. Mona Horncastle
– und Shuffle Along wird zu einer Show, die von der Society zur Pflichtveranstaltung erhoben wird, wenn sie das Unterhaltungsprogramm für Besucher zusammenstellen. „Die New York Tour war unvollständig, ehe sie ihren Freunden die Show gezeigt hatten“,42 stellt Eubie Blake ebenso stolz wie verwundert fest. Und als die Polizei eines Tages beschließt, den Verkehr rund um die 63rd Street in eine Einbahnstraße umzuwandeln, um das Chaos von an- und abfahrenden Autos vor dem Theater in den Griff zu bekommen, steht außer Frage: Shuffle Along schreibt Geschichte.43 Mit 484 Vorstellungen in der ersten Saison rangiert es direkt nach dem Musical Sally von Jerome Kern, das mit 585 Vorstellungen am Amsterdam Theatre die bis dahin erfolgreichste Broadway-Show ist.
Shuffle Along ist eine Sensation und von nun an ist New York das Tor zur Welt für schwarze Künstlerinnen und Künstler. Die erfolgreiche Produktion ist der Auftakt zu einer neuen Epoche, in der afroamerikanische Kunstschaffende von weißen Amerikanern akzeptiert werden – eine Epoche, die als sogenannte „Harlem Renaissance“ in die Geschichtsbücher eingehen wird und, ausgehend vom New Yorker Stadtteil Harlem, das Entstehen einer eigenständigen afroamerikanischen Kunst auslöst.
New York
„Mein Name ist nicht mehr Thumpie. Mein Name ist Josephine Baker.“
In New York wird Josephine Baker zum Star. Zwar wird sie das später kleinreden und sagen, dass sie am Broadway nur ein Revuegirl war und es „dort nicht geschafft hat“,44 doch die Tatsache, überhaupt am Broadway aufzutreten, ist definitiv ein Erfolg und es ist ihr Sprungbrett. Das Publikum, das sich Karten für Shuffle Along kauft, fragt an der Kasse explizit danach, ob „das schielende Mädchen auch in der Show ist“.45
Der Erfolg der Revue basiert auf mehreren Dingen: Als wichtigste Neuerung ist die Überwindung der bislang exklusiven Linie zwischen schwarzer und weißer Unterhaltungsindustrie zu sehen, die im Windschatten des Interesses der wohlhabenden weißen Gesellschaftsschicht an „echter schwarzer Kultur“ möglich wird. Nachdem weiße Darstellende, die sich schwarz schminken, in Minstrel Shows afroamerikanische Musik, Tanz und Comedy imitiert und über die Zeit etabliert haben, steigt die Nachfrage nach genuinen Shows – die auch davon leben, dass das weiße Publikum die „Negermusik“ freier, die „Negertänze“ wilder, die komischen Einlagen derber und schwarze Frauen als per se exotischer wahrnimmt.46 Eine weitere Neuerung ist die Professionalisierung der Revuetänzerinnen. Wo bislang eine Reihe hübscher Mädchen auf der Bühne den Rhythmus der Musik brav „illustriert“ hat, enthält Shuffle Along choreografierte dynamische, erotische und unterhaltsame Tanzelemente mit eigenständigem Charakter. Darin liegt die eine Hauptinnovation gegenüber anderen All-Black-Shows.47 Die zweite läutet ein neues Zeitalter ein, was die Präsenz von Tänzerinnen betrifft: Als Herzstück der Revue werden sie auf ein Level mit den Schauspielerinnen gehoben, was wiederum große Auswirkung auf die weitere Entwicklung von Musicals hat, die in der Folge immer mehr von der Komödie abrücken und sich in Richtung Sing- und Tanztheater bewegen. Damit nimmt das Genre sich selbst, vor allem aber den (Unterhaltungs-)Wert der tanzenden Frauen ernst, deren namentliche Nennung im Programm schließlich außerdem zum Standard wird. Durch den Erfolg von Shuffle Along emanzipieren sich Revuegirls im Allgemeinen. Sie sind nicht mehr diejenigen, die am schlechtesten bezahlt werden, und sie sind nicht mehr beliebig austauschbar, weil das Publikum jetzt ihre Namen kennt.48
Doch eine von vielen zu sein, das ist Josephine zu wenig, Emanzipation, Wertschätzung und namentliche Nennung hin oder her. Sie nutzt das Potenzial ihrer Rolle als Comedy-Chorus-Girl und beginnt, ihre intuitiven Auftritte zu perfektionieren. Sie kombiniert Tanzeinlagen und Slapstick geschickt zu einer einzigartig aufregenden und unterhaltsamen Nummer auf der Bühne – und langsam, aber sicher beginnt sie ihre Bühnenpräsenz auch im Alltag zu inszenieren. Sie kleidet sich extravagant, wickelt Seidentücher wie einen Turban um den Kopf, trägt Pelz, modischen Schmuck und Make-up. Ihr Motto wird „Alles oder nichts“. Eubie Blake erinnert sich: „Eines Sonntags ging sie mit zwei anderen Mädchen auf der Fifth Avenue spazieren. Im Schaufenster einer Konfiserie an der Ecke 42. Straße sahen sie eine große rote Pralinenschachtel in Herzform. Sie kostete 35 Dollar, aber Josephine kaufte sie trotzdem und gab ihren gesamten Wochenlohn dafür aus. Als ich sie fragte, warum sie nicht eine kleinere Schachtel gekauft hätte, antwortete sie: ‚Weil ich genau diese wollte‘, und bat mich direkt danach um die Vorauszahlung ihres nächsten Wochenlohns, um sich einen Mantel zu kaufen, den sie ebenfalls gesehen hatte. Als ich mich weigerte, zog sie los und kaufte ihn auf Kredit.“49
Shuffle Along ist nach New York auf Tour und bis Herbst 1923 unschlagbar erfolgreich – doch dann geraten die Produzenten in Streit und die Revue wird von den Spielplänen genommen. Noble Sissle und Eubie Blake bringen aber schon kurz darauf eine neue Show auf die Bühne: In Bamville ist eine Komödie, die zwar nicht an den Triumphzug von Shuffle Along anknüpfen kann, es aber dennoch unter dem Titel Chocolate Dandies 1924 an den Broadway schafft. Josephine ist in der Besetzungsliste als „das bestbezahlte Revuegirl der Welt“ aufgeführt – sie verdient 125 Dollar die Woche, „einfach nur, weil ich schielen konnte!“.50 Für sie ist die neue Show ein weiterer Karriereschritt, denn in ihrer Paraderolle als Clown tanzt sie nicht mehr am Ende der Chorus Line, sondern als Solonummer. Eine perfekte Inszenierung für sie: Alle Tänzerinnen putzen sich in rüschenverzierten Kleidern mit federgeschmückten Hüten heraus, doch Josephine wählt für ihre Auftritte Clownsschuhe, einen weiten Kittel und schminkt sich schwarz; sie imitiert einen Jockey mit Schiebermütze und karierten Socken und da sie für eine Charleston-Parodie ein Kleid tragen muss, lässt sie die Taille bis fast unter die Achseln rutschen und den Rocksaum viel zu kurz schneidern. Kurz: Sie zieht alle Register, um sich mit Ironie selbst zu übertreffen – und sich und ihren Erfolg gegenüber dem weißen Publikum zu verharmlosen, denn, wie Gilda Gray bereits 1922 in den Ziegfeld Follies singt: schwarze Entertainer mit Erfolg haben auch das Potenzial, weiße Kultur (und Künstler) zu verdrängen – denn wer schwarz ist, dem gehört die Aufmerksamkeit:
Just like an eclipse on the moon,
Ev’ry café has a dancing coon,
Pretty choc’late babies,
Shake and shimmy ev’rywhere,
Real dark town entertainers hold the stage,
You must black up to be the latest rage.51
Der Schriftsteller E. E. Cummings schreibt über Josephines Auftritt in den Choclate Dandies: „Sie glich einem großen, lebenssprühenden, niemals fassbaren Schreckgespenst, das auf ganz unirdische Weise die Augen rollte und seine Glieder verbog – eine Vision, die ungeahnte Ängste auslöste, die nur sich selbst darstellen wollte und demnach gänzlich ästhetisch war.“52 Die Show wird als erotisch wahrgenommen, obwohl sich das weder in Kostümen noch in der Geschichte widerspiegelt. Es ist vielmehr die grundsätzliche Erwartung des Publikums, in schwarzen Shows und schwarzen Clubs eine sexuell aufgeladene Stimmung vorzufinden, die das Publikum gleichermaßen befördert wie die Darstellenden. Der Vaudeville-Charakter-Darsteller Joseph Attles erinnert sich an die Atmosphäre in den Clubs von Harlem während der Harlem Renaissance: „Es gab weiße Männer und Frauen, die schwarze Jungs wollten, und weiße Männer und Frauen, die schwarze Mädchen wollten. Jeder hatte die Zeit seines Lebens in Harlem, in den überfüllten, verrauchten Zimmern mit Musik und Tanz und schlechtem Gin und Sex.“53
Doch ein weißes Publikum auf der Suche nach Vergnügen, liberale weiße Dichter und aufgeschlossene Intellektuelle, die schwarze Shows besuchen und faszinierte Kritiken schreiben, stellen sogar in New York nur eine kleine Minderheit – der amerikanische Zeitgeist ist rassistisch und die Trennung zwischen Schwarz und Weiß unüberwindbar. Jeder Erfolg muss sich durch eine Erniedrigung rechtfertigen, um die weiße Überlegenheit nicht in Frage zu stellen. Schwarze Kunst hat fröhlich, orgiastisch und wild zu sein,