Das süße Gift des Geldes. Bhavya Heubisch

Das süße Gift des Geldes - Bhavya Heubisch


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zog der Alois an seiner Pfeife. Zwei Gulden für umsonst, das wär schon was. Die Kinder brauchten dringend neue Schuhe. Beim Jüngsten bohrten sich schon die Zehen durchs Leder. Alois gab sich einen Ruck und ging hinter den Tresen. Auf dem untersten Brett, ganz hinten zwischen den Handtüchern und den leeren Senfgläsern hatte er sie versteckt, die Schachtel mit der letzten Reserve. Er zögerte, dann nahm er zwanzig Gulden heraus und ging zurück an den Tisch.

      „Meine Annamirl darf’s nicht wissen. Weh, du sagst ihr was.“

      Doch die Annamirl hatte ihre Ohren überall. Schon schaute sie durch die Küchendurchreiche. „Loisi, was besprichst mit der?“

      „Pass du lieber auf, dass das Essen nicht anbrennt!“ Er ging zur Durchreiche, zog an der hölzernen Klappe. Wie ein Fallbeil sauste sie herunter.

      Zögernd schob er Adele die zwanzig Gulden hin. „Mehr hab ich nicht. Aber eins sag ich dir: Wennst nicht pünktlich zahlst, dann kannst was erleben.“

      Lächelnd strich sich Adele die Locken aus dem Gesicht. „Wart’s ab.“

      In ihrem Zimmer beim Bögner steckte sie die zwanzig Gulden in einen Beutel und legte vier Gulden von ihrem eigenen Geld dazu. Schob alles tief in die Kommode. An das Geld durfte sie auf keinen Fall heran. Sie zählte die Münzen, die sie für die kommenden vier Wochen noch zur Verfügung hatte. Sechsunddreißig Gulden und zwanzig Kreuzer. So knapp war sie noch nie drangewesen. Nicht einmal in ihrer schlimmsten Zeit in Berlin. Aber wenn sie den Monat durchstand, wäre sie vielleicht aus dem Gröbsten raus. Dann würde sie den Alois ausbezahlen und ihn dazu bringen, dass er es herumerzählte. Dass bei ihr gut zu verdienen war. Und wenn genug Leute Geld bei ihr anlegten, konnte sie die ausbezahlen, die es samt Zinsen zurückwollten. Dann wär Schluss mit der Knauserei. Mit der billigen Wurst, den Fettgrieben, dem billigen Wein, der ihr den Magen versäuerte. Und ein neues Gewand wäre auch wieder drin.

      Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit sparte sie von nun an eisern. Aß in den billigsten Wirtschaften, fütterte den Basti mit Schlachtabfällen, die ihr der Metzger zusteckte. Widerstand der Versuchung, den Laden des Hofschneiders zu betreten und die kostbare Riegelhaube anzuprobieren.

      Genau vier Wochen später klopfte Alois an ihrer Zimmertür. Sichtlich zermürbt von der Angst um sein Geld, stieß er hervor: „Heut auf den Tag genau sind’s vier Wochen. Jetzt zahlst mich aus.“

      Adele zog ihn ins Zimmer. „Setz dich erst einmal hin. Heut bist du mein Gast.“ Sie füllte zwei Becher mit Zwetschgenschnaps. „Prost. Auf unser Geschäft.“

      „Mein Geld will ich und keinen Schnaps.“

      Sie ging zur Kommode und holte den Beutel. Zählte ihm zwanzig Gulden hin. „Da hast sie wieder. Und diese vier Gulden kriegst obendrauf. Genau wie ich’s versprochen hab. Kannst dir leicht ausrechnen, was du verdienst, wennst mir mehr bringst. Und weißt was? Wenn du mir Leute herschaffst, die ihr Geld bei mir anlegen, kriegst zehn Prozent von dem angelegten Geld. Könntest leicht reich werden dabei.“

      „Zehn Prozent für einen jeden?“ Wie im Fieber glänzten Alois’ Augen. „Schlag ein. Ein Teufelsweib bist. Ein echtes Teufelsweib!“

      In seiner Wirtschaft versteckte er den Beutel wieder unter dem Tresen. Ging in die Küche, in der die Annamirl Zwiebeln für eine angebräunte Brotsuppe schnitt. „Du, Frau. Ich hab uns was extrig verdient.“

      Annamirl, erschöpft, weil ihr Jüngster die ganze Nacht gehustet hatte, schaute nur kurz auf.

      Stockend beichtete er. Dass er die Reserve genommen, sie bei der Spitzederin angelegt hatte. Dass sie jetzt reich werden könnten, ohne die Plackerei von früh bis spät.

      Die sonst so gutmütige Annamirl plärrte: „Was hast gemacht? Wo hast es hingetragen, unser Geld? Zu so einer Matz?“

      „Jetzt beruhig dich doch. Weißt selber, dass es mit der Wirtschaft den Bach runtergeht. Und die Kinder? Wenn der Winter kommt, habens nicht einmal ein warmes Sach!“

      Annamirl warf die Zwiebeln ins heiße Fett, dass es nur so zischte. „Du machst ja eh, was du willst.“

      Immer öfter setzte sich der Alois nun zu seinen Gästen. Gab eine Runde aus. Erzählte unter dem Siegel der Verschwiegenheit, was er bei der Spitzederin verdient hatte.

      Die Männer beratschlagten sich. Wenn es beim Alois geklappt hatte, warum nicht auch bei ihnen? Ihren Weibern verheimlichten sie, dass sie zur Spitzeder gingen, ihr was vom sauer Ersparten brachten. Zurückgelegt für die Aussteuer der Tochter, die neue Dachrinne, den Beschlag fürs Pferd. Als die Ersten ihr Geld zurückbekamen und die versprochenen Zinsen obendrein, gab es kein Halten mehr.

      Immer mehr schlichen nach Einbruch der Dunkelheit die Treppe beim Bögner hinauf. Senkten gschamig den Blick, wenn sie auf der Stiege einen Bekannten trafen. Klopften an bei Adele.

      Dass es bei ihm jetzt zuging wie in einem Taubenschlag, passte dem Bögner nicht. Der Zimmerzins war längst fällig und an die räudigen Hundsviecher, die sie auf der Straße auflas, mochte er gar nicht denken. Zwei Stück hatte sie in der letzten Woche angeschleppt. Der mit dem zerbissenen Schwanz hatte ihm doch glatt in den Vorraum gebrunzt. Schimpfend ging der Bögner hinauf und betrat, ohne anzuklopfen, das Zimmer. „Meine Miete will ich. Und zwar gleich. Und die Viecher schaffst sofort aus dem Haus.“

      Adele, die gerade ein neues Kleid anprobierte, verschwand hinter dem Paravent. „Ich hab doch gesagt, dass Sie das Geld nächste Woche kriegen.“

      „Nicht nächste Woche will ich’s, sondern gleich. Und dass du’s weißt: Mit den Männerbesuchen ist Schluss. Die Leut zerreißen sich schon das Maul.“

      Sie knöpfte das Kleid zu und kam hinter dem Paravent hervor. „Vorschriften lass ich mir keine machen.“

      „Von mir schon.“ Der Bögner setzte sich auf einen Stuhl und trommelte mit den Fingern auf der Lehne herum. „Also, was ist? Zahlst jetzt oder nicht?“

      Adele zählte ihm die Gulden hin, die sie vor zwei Stunden eingenommen hatte. „Sind Sie jetzt zufrieden?“

      Der Bögner strich die Münzen ein und ging wortlos zur Tür. Drehte sich um. „Ausziehn tust trotzdem. Lieber heut als morgen.“

      Nachdem er gegangen war, nippte Adele an einem Glas Portwein. Hoffentlich kam jetzt keiner, der sein Geld zurückwollte. Damit ihr Plan aufging, mussten noch viel mehr Leute Geld bei ihr anlegen.

      Entschlossen stieß Adele die Tür zum „Goldenen Licht“ auf. „Alois, bring mir ein Bier. Und dann setz dich her. Ich hab was zu bereden.“

      Alois schielte zur Küchendurchreiche. „Dass bloß die Annamirl nix merkt.“

      „Was hältst davon, wenn ich mein Geschäft zu dir in die Wirtschaft verleg?“

      „Der Annamirl wird’s nicht recht sein.“

      „Musst es ihr halt schmackhaft machen. Sagst ihr, je mehr Leut in die Wirtschaft kommen, desto mehr bleibt hängen für euch.“

      Nach kurzem Zögern gab der Alois klein bei. „Also gut. Aber wir richten eine feste Zeit ein. Jeden Nachmittag von vier bis sechs. Und du setzt dich ins hintere Eck, damit dich nicht gleich jeder sieht, der hereinkommt.“

      Jeden Nachmittag, außer am Sonntag, saß Adele jetzt im „Goldenen Licht“. Schnell sprach es sich herum, wo sie anzutreffen war. Die Männer tranken doppelt so viel wie sonst, schielten ins hintere Eck, bis sie sich hintrauten zu ihr.

      Die Annamirl grantelte in der Küche vor sich hin. Aber die Kinder hatten jetzt neue Schuhe und der Flori hatte sogar eine Medizin gegen den Keuchhusten. Doch jedes Mal, wenn die Spitzederin die Wirtsstube betrat, schlug die Annamirl ein Kreuz und zündete die geweihte Kerze an.

      „Herr Wirt! Einen Frankenwein.“

      Alois polierte ein Glas, hielt es gegen das Licht, wischte eine Fettschliere weg. Musterte aus dem Augenwinkel den Gast. Schon drei Tage hintereinander war der Unbekannte gekommen. Legte jedes Mal seinen Zylinderhut auf die Bank, zupfte die weißen Manschetten zurecht und ließ Adele


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