Das süße Gift des Geldes. Bhavya Heubisch

Das süße Gift des Geldes - Bhavya Heubisch


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Walburga ihm breiige Umschläge aufgelegt, Gebete gemurmelt, ihm bittere Tränke eingeflößt. Bis er gesund war. Und jetzt verdammte ihn ihr Fluch.

      Sein Blick fiel auf den Seitenaltar. In dem gläsernen Sarkophag ruhte, gebettet auf Spitzenkissen, das Skelett des heiligen Viktor. Hannes stand auf und besah sich den Heiligen genauer. Das fleischlose Gerippe, sorgsam umwickelt mit brokatenen Bordüren, und das eingetrocknete, mit einem Krönchen verzierte Haupt, ruhten friedlich auf dem Kissen. Um die Fingerglieder wanden sich glitzernde Perlenketten, um die Beine zart gehäkelte Goldfäden.

      Hannes stutzte. Mit dem großen Zeh stimmte was nicht. Ganz komisch stand er ab, nur ein dünner Silberdraht hielt ihn noch am Fuß. Hannes blickte sich um. Der Mesner, vorhin noch mit den Altarkerzen beschäftigt, war in die Sakristei verschwunden. Hannes stieg auf den Altartisch, zog sein Taschenmesser aus der Hose, klappte es auf und schob die Klinge vorsichtig in die goldene Lötnaht des Sarkophagdeckels. Drückte ein bisschen nach, nackelte ein bisschen herum, dann ging es ganz leicht. Er hob den Deckel, beugte sich in den Sarkophag, drehte am Zeh, löste ihn und nahm ihn an sich. Klappte den Deckel leise zu und sprang vom Altartisch herunter.

      Ehrfürchtig betrachtete er die Kostbarkeit. Wenn man durch die Heilige Wandlung und den Verzehr einer Hostie göttliche Gnade erlangen konnte, dann bestimmt noch mehr durch den Zeh eines Heiligen. Entschlossen steckte er den Zeh in den Mund, schob ihn mit der Zunge von einer Backe zur anderen, dann biss er kräftig zu. Bekreuzigte sich und schluckte den Zeh hinunter. Spürte sofort: Er würde der himmlischen Seligkeit teilhaftig. Voller Inbrunst gelobte er: Nie mehr würde er den Armen etwas wegnehmen, nur noch den Reichen.

      Mit den besten Vorsätzen machte Hannes sich auf zu seiner Arbeit in der Gerberei. Mit einem Schaber kratzte er Fleischreste von den Tierhäuten. Vorsichtig, damit sie keine Risse bekamen. Er wuchtete die Häute in den Kälkbottich, tauchte sie mit einem Holzprügel ein in die ätzende Brüh. Er schabte, rührte, stundenlang. Streckte den wundgearbeiteten Rücken. Für heute war Schluss. Wässern und aufspannen würde er die Häute morgen.

      Er zog den Lederschurz aus und zwängte die aufgequollenen Füße in derbe Holzschuhe. Nichts wie weg! Hin zu seinen Kumpanen unter den Finsteren Bögen. Jeden Abend traf er sie, die Bettler, Säufer und Krüppel, die mit ihrem Diebesgut prahlten. Es verschacherten an die Hehler, die dort ab Einbruch der Dunkelheit herumschlichen. Von den Ausgestoßenen störte sich keiner an seinem Gestank.

      „Da, nehmts.“ Hannes knöpfte die Enden des zerschlissenen Tuchs auseinander.

      Gierig stürzten sich die Bettler auf Wurstzipfel, Knochen zum Abfieseln und die Brotkanten, die Hannes hinter einer Wirtschaft aufgeklaubt hatte. „Und? Gibt’s was Neues?“

      „Könnt schon sein.“ Der Krüppel, der seinen Armstumpf jeden Tag vor der Frauenkirche in die Höh reckte, raunte: „Vom ‚Goldenen Licht‘ kommt immer eine heraus. Mit einem Korb in der Hand. Rat einmal, was in dem drin ist.“

      „Jetzt red endlich!“ Ungeduldig trat Hannes von einem Fuß auf den anderen. „Sonst kannst dein Essen morgen vergessen.“

      „Lauter Geld ist drin. Hab’s mit eigenen Augen gesehn.“

      „Verzähl doch keinen Schmarrn.“

      „Geh doch hin und schau’s dir selber an.“ Der Krüppelige rülpste und lehnte sich beleidigt an die Wand.

      „Ich werd das ‚Goldene Licht‘ im Aug behalten. Und weh, du hast gelogen! Weiß sonst noch jemand was?“

      Ein Verbuckelter, der zahnlos das Brät aus einer Wursthaut zuzelte: „Könnt sein, dass es auch beim Kramer was zum Holen gibt. Lauter neue Möbel habens hingeschafft.“

      Hannes stopfte das Tuch in die Hosentasche. „Haltets die Augen offen, sonst bring ich euch nix mehr.“

      Hannes ging durchs Tal und weiter bis zur Isar, wo er fast täglich mit den Beutelschneidern übte. So was wie neulich durfte ihm nicht mehr passieren. Auf dem Marienplatz war ihm ein gut gekleideter Herr aufgefallen, aus dessen Manteltasche ein Lederbeutel herausschaute. Er nix wie hin. Als er die Finger fast schon am Beutel hatte, war er mit dem Daumen am Stoff hängengeblieben. Den Schlag, den ihm der Herr ins Gesicht versetzt hatte, spürte er heute noch. Doch die Ohrfeige war nicht das Schlimmste gewesen, sondern der empörte Ruf: „Ein Dieb! Haltet den Dieb!“ Und das ausgerechnet vor der Hauptwache. Nur mit knapper Mühe konnte er in die Weinstraße flüchten.

      Doch seit er mit den Dieben probte, die zum Üben Glöckerl an eine alte Hose banden und diese an einen Ast hängten, war ihm so ein Missgeschick nicht mehr passiert.

      Hannes spuckte in die Hände: „Und? Hat’s schon einer geschafft?“

      Ein Haderlump schwenkte seine leere Bierflasche. „Bis jetzt noch nicht.“

      „Dann lassts mich mal.“ Hannes rieb seine Finger, spreizte sie, beugte sie. Stellte sich vor die Hose, die sanft im Wind schaukelte.

      „Wenn die so wackelt, dann schaffst es nie.“ Gespannt beobachteten ihn die Diebe, hielten die Luft an, um auch das leiseste Glöckerl zu hören.

      Geschickt fingerte Hannes in die Hosentasche, zog zwischen Zeige- und Mittelfinger den Kreuzer hervor. Warf ihn johlend in die Luft. „Das macht mir keiner nach.“

      „Dafür bin ich schneller als wie du, wenn’s ums Weglaufen geht. Aber jetzt gib her.“ Mit geübtem Griff nahm ihm der Haderlump den Kreuzer wieder ab.

      „So haben wir nicht gewettet!“ Hannes schlug ihm das Geldstück aus der Hand, fing es in der Luft auf und schloss die Finger fest um seinen Gewinn.

      Ein Bettler kam mit erhobener Faust auf Hannes zu. „Uns was wegnehmen willst? Wo du einer von uns bist? Das trau dich!“

      Hannes wich einen Schritt zurück. „Du kannst mich mal.“ Rasch ließ er den Kreuzer in seiner Hosentasche verschwinden. „Jetzt geh ich auf ein Bier. Dafür kommt mir das Geld grad recht.“

      „Du Sauhund!“ Der Bettler holte aus zum Schlag, Hannes duckte sich weg und machte sich, ohne auf das Geschrei der heruntergerissenen Gesellen zu achten, davon.

      „Gustl, schieb eine Halbe rüber.“

      Gustl, der im Erdgeschoss eines Herbergshauses einen Gassenausschank betrieb, von dem aus er die ganze Straße überblicken konnte, schob das Bierseidel über den Tresen. „Kannst auch zahlen?“

      „Für ein Bier reicht’s.“

      Der Gustl schlug nach der Schmeißfliege, die über den Tresen brummte. „Ich weiß nicht mehr, wie’s weitergehen soll. Jetzt wohnt auch noch die Großmutter mitsamt ihrer Schwindsucht bei uns. Mit einem Vorhang haben wir ihr ein Zimmereck abgeteilt. Kannst dich kaum noch rühren in der Kammer. Schlafen kannst auch nicht mehr. Mit der ihrer Husterei die ganze Nacht.“

      „Wenigstens hast ein Dach überm Kopf.“

      „Aber was für eins. Beim letzten Unwetter ist uns die Kammer vollgelaufen. Jetzt ist der Schwamm in alle Wänd. Schaus dir doch an.“ Er deutete auf die windschiefen, aneinandergebazten Häuser. Die Regentraufen schepperten im Wind, in den Fenstern schlackerten zerrissene Planen. Ein kleines Mädel bog um die Ecke.

      „Hannerl!“, rief der Gustl wütend. „Sofort kommst her! Schau dich bloß an. Von oben bis unten bist voller Dreck.“ Er gab dem Mädel eine Ohrfeige, dass es nur so schallte.

      „Ich kann doch nix dafür. Ausgerutscht beim Fangermandl bin ich.“ Schluchzend wischte sich das Hannerl den Rotz von der Nase. Presste ein Holzscheit mit aufgemalten Augen an sich.

      Ihre vier Brüder kamen daher gerannt, blieben stocksteif stehen und hielten Abstand zum Vater. Sogar die Hunde, die im Unrat scharrten, verdrückten sich.

      Der Gustl war außer sich. „Überall nix wie Dreck. Wie sollst da deine Kinder anständig großziehn? So schön hab ich mir’s ausgemalt, wie ich das Zimmer hab kaufen können. Mit dem Spekulantengeschmeiß, das alles verkommen lasst, hat doch keiner gerechnet. Der da gehört auch zu denen.“

      Aus einer knarzenden Tür


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