Die Musenfalle. Nora Miedler

Die Musenfalle - Nora Miedler


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Mama. Erzähl das dem Papa, vielleicht geht’s ihm dann besser. Und geh morgen zum Arzt mit ihm.«

      Ich verabschiedete mich. Irgendwie wurden diese Telefonate immer unbefriedigender. Ich musste sie wirklich mal besuchen fahren. Wenn ich genügend Geld hatte, würde ich als Allererstes ein Auto kaufen.

      Der Wind blies kräftig, ich fror in meinem dünnen Mantel. Ein Auto und eine gescheite Winterjacke. Ich verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und marschierte flotter. Eine Familie kam an mir vorbei, Mami und Papi starrten mich an, die Kinder lachten und zeigten mit dem Finger auf mich. Es dauerte, bis ich begriff, dass ich noch die Schminke im Gesicht hatte. Ich zog die Schultern hoch und versteckte meinen Mund im Mantelkragen. Wenn ich erst jeden Abend auf dem Fernsehschirm war, würden mich die Leute auf der Straße auch anstarren. Ich hob den Kopf. Das war es, was ich wollte. Man sollte mich erkennen. Ich hatte die ewigen Erklärungen zu meinem Beruf satt. Erst hoben die Leute anerkennend die Augenbrauen, wenn ich »Schauspielerin« sagte, und dann fragten sie, wo ich denn zu bewundern wäre. Meine Standardantwort: »Ich möchte kein fixes Engagement, will flexibel bleiben, solange man jung ist, muss man das ausnutzen.« Zum Heulen! Ich hatte seit fast einem Jahr gar kein Engagement, und so jung war ich auch nicht mehr. Dann natürlich die obligatorische Frage: »Warst du schon mal im Fernsehen?« – »Ich bin Theaterschauspielerin. Fernsehen hat nicht den gleichen Stellenwert für mich. Aber ja, ich hab im Tatort mitgespielt.« – »Die Leiche? Hahaha.« An dieser Stelle stimmte ich stets ins Lachen ein, verschwieg, dass ich tatsächlich nach einem halbminütigen Auftritt erdrosselt wurde – aber hey, werden Sie mal erwürgt, wissen Sie, wie schwierig das ist? – und dass ich natürlich eine Fernsehkarriere wollte!

      Und wenn es nicht anders ging, dann eben über die Werbung. Ein Zweijahresvertrag! Das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine gesicherte Arbeit für mehr als ein paar Monate hatte. Und keine Geldsorgen, keine Geldsorgen! Halleluja!

      Jetzt musste nur noch das lästige Stimmchen aus meinem Ohr verschwinden, das säuselte: »Vielleicht haben sie dich ja genommen, weil sie sonst keine Blöde gefunden haben?«

      Mein Magen knurrte hörbar. In diesem Moment war ich sicher, dass ich mich richtig entschieden hatte. Und dumme kleine Stimmen im Ohr gehörten einfach verboten.

      Ich lief die Treppen hoch. Jedes einzelne Stockwerk erbebte unter den Klängen von U2. Flo war zu Hause.

      Im dritten Stock lugte Frau Schnippich aus ihrer Tür und bremste meinen Aufstieg. »Fräulein! Fräulein, Ihr junger Mann lässt schon wieder das Haus wackeln –«

      »Ich weiß, er ist fürchterlich. Eine regelrechte Plage ist er.«

      Die Runzeln der Frau Schnippich zitterten. »Na ja, eigentlich ist er ja ein netter junger Mann. Wohlerzogen. Aber diese Musik – nämlich, was für eine Musik noch dazu, das reinste Tschingbum!«

      Ich beugte mich zu ihr hinunter. Sie kniff die Augen zusammen, schreckte zurück. Ach ja, die Schminke. »Die Maskerade brauche ich für die Arbeit … na egal. Frau Schnippich, ganz unter uns, ich finde ja, Sie haben recht, er ist nett, er ist wohlerzogen. Aber Sie wissen ja, wie die Männer sind. Irgendeinen Spleen brauchen sie, und ehrlich gesagt, da ist mir der Krach noch am liebsten.« Ich machte eine kleine Pause und flüsterte: »Wenn ich mir vorstelle, was er sonst noch alles treiben könnte …«

      Wir hoben beide die Augenbrauen und nickten uns wissend zu.

      »Er sollte sich eine Frau suchen«, wusste Frau Schnippich Rat.

      »Meine Rede«, stimmte ich enthusiastisch zu und verabschiedete mich. Eine Frau von bald neunzig, die U2 für neumodischen Krach hielt, musste man nicht unbedingt darüber aufklären, dass der nette junge Mann schwul war.

      Ich schoss die letzten Stufen hinauf und hämmerte an die Tür. Natürlich hörte mich niemand. Ich trat ein paarmal mit dem Fuß dagegen. Nichts. Ich versuchte es noch mal auf Flos Handy.

      Mailbox. Mein Rucksack glitt von der Schulter, blieb an meiner Armbeuge hängen. Plötzlich war mir heiß. Ich stöhnte laut und durchsuchte mein Handy nach Brittas Num­mer.

      »Hallo?« Es klang, als hätte sie keine Ahnung, wer anrief, was mich wahnsinnig machte, weil ich genau wusste, dass sie meine Nummer samt Namen in ihren Kontakten hatte. Mit Nachnamen sogar!

      »Hallo, Britta«, rief ich. »Ich steh vor der Tür. Machst du mir bitte auf!«

      »Du hast schon wieder deinen Schlüssel vergessen«, stellte sie fest. Kluges Kind. Ich biss die Zähne zusammen und verkniff mir die Antwort.

      Es dauerte zwei Minuten, bis sie an der Tür war, gerade als ich nochmals anrufen wollte.

      Ich drängelte mich an ihr vorbei.

      »Was hättest du gemacht, wenn keiner zu Hause gewesen wäre?«, fragte sie mich. Es schien sie tatsächlich zu interessieren.

      Ich zuckte mit den Schultern. »Das Gleiche wie immer. Gewartet, bis einer kommt.«

      Britta schüttelte den Kopf. »Ich könnte nicht so leben.«

      »Ich weiß.«

      Ihre Nasenflügel bebten. »Bist du in der Maskerade U-Bahn gefahren? Du siehst aus wie ein Zombie.«

      »Ich sehe aus wie ein Vampir.« Ich ließ sie stehen und steuerte Flos Zimmer an.

      »An deiner Stelle würde ich da nicht reingehen!«, rief sie mir hinterher.

      »Ich hab ihm was Wichtiges –«

      »Philipp ist da.«

      »… zu sagen.« Scheiße. Ich drehte mich um und zwitscherte im beiläufigsten Ton, den ich im Repertoire hatte: »Na, dann wird mein Wichtiges eben warten müssen.«

      Britta zuckte die Schultern und verschwand um die Ecke. Belämmert blieb ich vor Flos Zimmer stehen und kämpfte mit der Versuchung, unsere Freundschaft erneut auf die Probe zu stellen, indem ich hineinplatzte. Du bist Green Poison, du hast dich im Griff.

      Wie viele außer mir hätten sich auf einen Zweijahres-Knebelvertrag in der Werbung eingelassen?

      Mit irgendjemand musste ich jetzt darüber reden. Mein Opfer saß in der Küche. Mit einem Riesenkäsebrot!

      »Britta, darf ich mitessen? Ich zahl dir auch alles mit Zins und Zinseszins zurück.«

      »Wenn dir der Körnchenfraß nicht zu blöd ist.«

      »Sieht gar nicht aus wie Körnchenfraß«, murmelte ich und schnitt mir die Hälfte vom Käse herunter.

      »So betitelst du doch alle Lebensmittel aus dem Bioladen.«

      Ich stopfte mir Käse rein, während ich drei Scheiben Brot runtersäbelte. Mampfend sagte ich: »Tu’ mi’ leid.«

      »Du spuckst.«

      Ich musste husten, jetzt spuckte ich wirklich. Britta verzog keine Miene. Ich schluckte lautstark runter und rechtfertigte mich: »He, was kann ich dafür, dass der Körnchenfraß so trocken ist?«

      Kann sein, dass ihre Mundwinkel sich einen Millimeter senkten.

      »Britta, bitte, das war ein Scherz. Ich bin doch nur neidisch, weil ich mir so teures Futter nicht leisten kann. Aber …«, triumphierend nahm ich einen weiteren Bissen und schluckte ihn brav runter, bevor ich weitersprach, »aber das wird sich bald ändern, weil ich nämlich morgen einen Vertrag unterzeichne. Einen Werbevertrag, und in der Werbung steckt bekanntlich das meiste Geld.«

      »Und für was wirbst du?«

      Zu meiner Schande gestehe ich, dass ich kurz nachdenken musste. »Äh … ach ja, für Mobitel.«

      »Mobitel?« Britta wirkte verblüfft, was mich ziemlich amüsierte. Wir wohnten über ein Jahr zusammen, doch ihre bisherigen Regungen waren auf sanften Ärger und zurückhaltenden Missmut beschränkt gewesen. Sie war die perfekte Wohnungsgenossin, ordentlich, brav und unauffällig. Stinklangweilig könnte man sie auch nennen, ohne große Gefühle oder gar Gelüste. Eine Frau ohne Unterleib, wie mein alter Schauspiellehrer sagen würde. Ihr plötzliches Interesse schmeichelte


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