Die Musenfalle. Nora Miedler

Die Musenfalle - Nora Miedler


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die ganze Zeit in seinem Schlafzimmer am Fenster stand und sie beobachtete. Selbst wenn sie die kurzfristige Unruhe des Vorhangs nicht bemerkt hätte, als sie nach oben blickte, hätte sie gewusst, dass er dort stand. Man mochte ihr vorhalten, was man wollte, aber keinen Mangel an Intuition.

      Ein Kreischen vor dem Haus lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Vorgarten, wo sie Reginas Kinder entdeckte. Natürlich waren es auch Ludwigs Kinder, doch wie immer fiel es ihr bedeutend leichter, sie mit ihrer Mutter in Verbindung zu bringen. Ohne einen weiteren Blick nach oben zu werfen, stieß sie energisch die Tür auf und trat auf den Gehsteig.

      »Grüß euch Gott«, rief sie ihren Neffen entgegen und verzog das Gesicht, als sie Theo in der Nase bohren sah.

      Leo zog sich am Eisengitter hoch und drückte den elektrischen Türöffner.

      Er sollte das nicht tun, fand sie. Was, wenn er abrutschte und hinfiel? Oder einem Fremden das Tor öffnete? Doch es waren gottlob nicht ihre Kinder, also behielt sie ihre Meinung für sich. »Wie geht es euch?«

      Leo verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Mama ist krank.«

      Theo streckte Frieda die Zunge raus, versteckte sich hinter seinem Bruder und kicherte. Sie rang sich ein Lächeln ab und steuerte auf das Haus zu.

      »Der Papa hat gesagt, dass keiner die Mama stören darf«, gellte Leo hinter ihr her.

      Heute war es auch nicht die Mama, die sie stören musste. Sie packte den vergoldeten Ring und ließ ihn auf den Löwenkopf sausen. Erinnerte sich daran, wie stolz sie als Kind gewesen war, als sie ihn nach einem Wachstumsschub endlich erreichen konnte. Wenige Wochen danach erlebte der um drei Jahre jüngere Ludwig denselben Triumph.

      Berta öffnete mit großzügiger Geste, als erwarte sie einen hochrangigen Staatsgast. Sobald sie Frieda erblickte, schob sie die Tür automatisch zur Hälfte wieder zu. Frieda drängte sich an ihr vorbei.

      »Fräulein Bernhard –«, legte der Hausdrachen los, wurde jedoch von einem dröhnenden Bass unterbrochen.

      »Schon gut, Berta«, rief Ludwig in jovialstem Ton von oben. »Meine Schwester ist uns natürlich immer willkommen!«

      Berta hob die Augenbrauen und ließ säuerlich die Mundwinkel hängen. Hatte in Sachen Schwester anscheinend auch schon anderes gehört.

      Frieda straffte die Schultern und steuerte Ludwigs Arbeitszimmer an. Für einen Moment genoss sie es, dass sie als Erste eintreten konnte und er hinter ihr hertrappeln musste. Auch wenn dieser kleine Triumph den bevorstehenden Verhandlungen wohl kaum förderlich sein würde.

      Ludwig bewies Haltung und präsentierte sich ganz als guter Gastgeber. »Etwas zu trinken, meine Liebe?«

      »Nein.«

      »Dann setz dich doch wenigstens hin.« Er schloss die Tür, goss sich einen Whiskey ein, nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.

      Frieda blieb stehen, während ihr Bruder seinen Whiskey zelebrierte. Er trank in kleinen Schlucken, die Augen geschlossen, setzte mit einem genießerischen »Ahhhh« einen weltmännischen Schlussakzent.

      In Friedas Ohren rauschte das Meer, das kam in letzter Zeit öfter vor. Kein gutes Zeichen.

      »Single Malt. Zwölfjährig. Du verpasst etwas, meine Liebe.«

      »Ludwig, ich möchte aussteigen.«

      Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, in denen er das Glas hob und mit den Augen den Bodensatz untersuchte. Gekonnt beiläufig murmelte er schließlich: »Wenn du dir das leisten kannst.«

      »Ich kann es mir leisten, wenn du mir Geld borgst.«

      Er runzelte die Stirn, als hätte er soeben eine Fliege in seinem Glas entdeckt. »Wie viel denn?«

      Frieda spürte, dass er mit ihr spielte, schluckte die Demütigung und sagte: »Fünfzigtausend.«

      Er spitzte die Lippen, legte den Kopf schief, stellte das Glas ab. »Was wäre ich wohl für ein Bruder«, die Hände schwer auf die Tischplatte gestützt, stand er auf, »wenn ich dir und deinen … Schülern nicht eine Lektion mit auf den Weg geben würde? Moment mal, habe ich das nicht sogar von dir gelernt? Nichts auf der Welt bekommt man umsonst. Waren das nicht deine Worte?« Er kam um den Tisch herum und lächelte sie an.

      In ihren Ohren rotierten Hubschrauber. »Ludwig, diese Sache zerstört uns alle.« Wenn nur ihr Kopf endlich aufhören würde zu zittern. »Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich nicht weiß, wie lange wir mitspielen können. Ich habe die Verantwortung für diese jungen Menschen. Glaub mir, es macht sie kaputt.«

      Das Lächeln verschwand. »Frieda, wir haben diese Idee gemeinsam geboren. Du kannst nicht einfach aufhören, nur weil du keine Lust mehr hast. Was, denkst du, passiert dann mit mir? Und mit Alex? Und letztendlich mit dir und deinen kleinen Talenten?«

      »Dann gehe ich zu Alexander«, stieß sie hervor. »Er wird vernünftig sein, er ist tausendmal mehr Mensch als du!«

      Er packte sie am Arm. »Untersteh dich, ihn damit zu belästigen. Das würde dir so passen, ihn auf deine Seite zu ziehen. Solltest du auch nur versuchen, ihn um denselben Blödsinn zu bitten wie mich gerade, dann wird deine feine Truppe in der Versenkung verschwinden.«

      Sie schaffte es zu lachen, souverän zu kontern: »Diese Drohung soll mich schrecken? Du hast nichts gegen mich in der Hand, das dich nicht selbst in den größten Schlamassel ziehen würde.«

      Seine Hand löste sich von ihrem Arm. »Du gehst jetzt besser heim, Frieda. Ich habe eine Engelsgeduld, wie du weißt. Aber noch mal: eine falsche Handlung von dir, und deine Leutchen sind es gewesen.«

      Kindisch, doch sie konnte sich die Antwort nicht verkneifen: »Eine falsche Handlung von dir, und du bist es gewesen.«

      Sie wartete seine Reaktion nicht ab, machte auf dem Absatz kehrt, stürmte aus dem Zimmer.

      »Fräulein Bernhard!«, quietschte Berta, als Frieda sie beinahe umrempelte.

      »Das kommt vom Lauschen«, fuhr Frieda sie an und stob durch die Halle. Hinaus aus der Tür, vorbei an den Neffen, rein in den Wagen, Bleifuß aufs Gaspedal. Fast wünschte sie, dass die Polizei, von den quietschenden Reifen alarmiert, auf sie aufmerksam wurde. Zu viel Wut in ihrem Bauch, sie wusste nicht, wohin damit.

      Die Linke Bahngasse achtzehn war ein Kostümfundus. Natürlich sehr praktisch, wenn auch der Geruch von Moder und Mottenpulver der Romantik des besonderen Anlasses etwas abträglich war. Es war fünf nach zehn, als ich reinhetzte. Aus Magdas Augen schossen Blitze. Gott sei Dank war ich immun dagegen. »Hi, Magda«, begrüßte ich sie strahlend. Mein Gott, fünf Minuten, ich war doch sicher nicht die ­Letzte.

      »Du bist die Letzte«, zischte sie mir zu. Oder war es »das Letzte«? Sie packte meine Hand und zog mich zwischen Reihen verstaubter Kostüme zu einem Tisch, an dem vier Männer saßen.

      Blitzschnell teilte ich sie ein. Der Quirlige in der bunten Wollweste war fürs Kostüm zuständig, der junge Unsympathler im Anzug war der Werbefuzzi, der mit Brille und Schal war der Regisseur und der Alte mit der schönen Nase und dem dichten grauschwarzen Haar war der Produzent.

      Magda stellte mich der Runde vor. »Meine Herren, es tut uns wirklich sehr leid, Matilda ist ansonsten eine ganz Pünktliche.«

      »Lilly, ich heiße Lilly«, sagte ich laut.

      Sie stellten sich nacheinander vor. Der in der Wollweste hieß Günther Nenning und war der Werbefuzzi. Der Bebrillte mit Schal stellte sich als Puck und fürs Kostüm zuständig vor. Der Unsympathische entpuppte sich leider als mein künftiger Regisseur mit dem klingenden Namen Ricky, aber du kannst auch Frederick zu mir sagen. Und der mit der schönen Nase hieß Alexander Strehl und war der Boss von Mobitel.

      »Sie sind also unser neues Gesicht«, sprach er mich an, während Ricky mit den beiden anderen Herren die Kleiderfrage diskutierte.


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