Die Musenfalle. Nora Miedler

Die Musenfalle - Nora Miedler


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ich dachte, es wäre vorbei …«

      Frieda packte Mariannes Hand. »Ist das Theater dein Leben? Ist es deine Sehnsucht, deine Leidenschaft, der Sinn deiner Existenz? Oder könntest du auch ohne?«

      »Niemals ohne«, stieß das Mädchen hervor.

      »Dann müssen wir dieses Opfer bringen! Als ihr euch mit achtzehn entschieden habt, Schauspieler zu werden, und zwar richtige Schauspieler, nicht irgendwelche Bundestheater­marionetten, da seid ihr gleichzeitig auch eine Verpflichtung eingegangen. Wir sind keine Durchschnittsmenschen! Wir leben nicht, um unsere Miete zu bezahlen, auf Urlaub zu fahren und abends vor dem Fernseher einzuschlafen. Jeder von euch, jeder von uns, kann sich umentscheiden, doch sobald er das tut, ist hier kein Platz mehr für ihn.«

      Marianne nickte heftig. »Das weiß ich, Frieda, das weiß ich. Und du weißt, dass ich die Letzte bin, die sich umentscheiden würde.«

      Um fünf war es stockfinster. Ich hatte mir auf dem Nachhauseweg ein halbes Grillhuhn gekauft, das ich nun in der Mikro­welle wärmte. Dazu aß ich Chips aus der Tüte und sah mir ­Sitcoms an. Das würzige Essen trocknete mich aus, mein Gaumen fühlte sich so an, wie ich mir eine Mondkraterlandschaft vorstellte – öde, rissig und angestaubt. Doch keine zehn Raumfahrer hätten mich dazu gebracht, aufzustehen und mir ein Glas Wasser zu holen. Ich war satt, rund und träge, ich würde nie wieder aufstehen.

      Irgendwann kam Flo nach Hause, den neuerdings unvermeidbaren Phil im Schlepptau. Im Liegen berichtete ich ­ihnen von meinem Vormittag. Wenigstens erntete ich ein paar Lacher für die Kostümgeschichte.

      Kaum hatten sich die beiden zu einem romantischen Abendessen in die Küche verzupft, mit Kerzen und Austern, bla, bla, bla, kam Britta mich stören. Sie blieb neben dem Sofa stehen, beäugte das Hendlgerippe, in dem die leere Chipstüte steckte, und sagte: »Ich hoffe, es hat gemundet.«

      Ich rülpste, so laut ich konnte. »Nachdem ich ab morgen diätieren muss, hab ich’s mir heute noch mal gut gehen lassen.«

      »Du solltest keine Diät halten, sondern Sport treiben, das wäre wesentlich gesünder und sinnvoller.«

      Bla, bla, bla.

      »Hast du denn deinen Vertrag unterschrieben?«

      Ich leckte mir das Salz von den Fingern. »Mit Tinte und Schweiß.«

      »Und wann fängst du an?«

      »Liebäugelst du jetzt mit meiner Branche? Gibst du die Pharmazie auf oder willst du dir nur was zum Studium dazuverdienen?«

      Sie runzelte die Stirn. »Was, denkst du, mache ich jeden Vormittag im Büro? Ich verdiene mir seit sechs Jahren etwas dazu.« Sie schüttelte den Kopf. »Möchtest du den Teller nicht hinaustragen? Das Ding da drauf riecht.«

      »Na, ich hoffe doch, dass es riecht. Es ist Essen.«

      »Essen sollte nicht riechen.« Damit stolzierte sie mit ihrem viel zu mickrigen Hintern und den Strohhalmbeinen aus dem Zimmer – während ich mich mit prall gefülltem Wanst auf dem Sofa aalte und innerlich immer unrunder wurde. Es frustrierte mich, dass Flo schon wieder anderweitig besetzt war, ich wollte endlich meinen Triumph begießen. So aber blieb mir nichts übrig, als mich irgendwann doch aufzurappeln und mich nach zwei Gläsern Wasser in mein Zimmer zu schleichen, um mir wieder einen einsamen Joint zu drehen. Und dann einen zweiten, noch einsameren. Beim dritten fühlte ich mich nicht mehr einsam. Okay, ich geb’s zu, als mein Handy klingelte, war ich ordentlich bedient.

      »Ja?«

      Schweigen am anderen Ende. Oh ja, Schweigen tat gut, wieso war ich überhaupt rangegangen, ich war so müde.

      »Lilly, hier ist Alexander Strehl.«

      »Oh.«

      »Ich hoffe, ich störe Sie nicht zu so später Stunde?«

      »Nein … nein.« Ich lachte, das Lachen klappte hervorragend, nur das Reden fiel mir schwer.

      »Das freut mich. Ich würde Sie gerne wiedersehen …«

      »Oh ja, ja gern.« Was redete der da? Was redete ich da?

      »Sagen wir morgen Abend? Ich gebe Ihnen die Adresse.«

      Immerhin war ich geistesgegenwärtig genug, einen Stift zur Hand zu nehmen. Böhmgasse 1, schrieb ich auf die Rechnung von meinem Zeitungsabonnement. Und: 20 Uhr.

      Keine Ahnung, wie das Gespräch endete, ich hoffe, nicht mit einer Peinlichkeit meinerseits, wobei das rückblickend eigentlich auch egal wäre.

      Irgendwann klopfte es an meiner Tür. Ich reagierte nicht, wollte meine Ruhe haben. Ich schaffte es gerade noch, zu denken, dass ich hoffentlich keinen Brand gelegt hatte, dann war ich weg. Die einzige Droge, die ich brauchte, war Schlaf.

      Alexander legte den Hörer auf. Dann starrte er auf seine Schreibtischplatte, ohne irgendeinen der Gegenstände wahrzunehmen, die darauf lagen. Er war neunundfünfzig Jahre alt und benahm sich wie ein Teenager. Auf den ersten Blick hatte sie ihm gar nicht gefallen, zu sehr Amazone. Doch für Green Poison mochte das passen. Mochte das passen, der Teufel sollte ihn holen und in der Hölle braten, mochte das passen, was für eine schwammige Formulierung für den Geschäftsführer eines Großunternehmens. Als hätte er keine eigene Meinung dazu, als wäre es gar nicht wichtig, was er von der Sache hielt. Du bist die Nummer eins, versuchte er sich einzutrichtern, um dich und dein Urteil geht es. Was du sagst, ist Gesetz.

      Seit wann war ihm die Firma egal? Wann hatte er begonnen, gänzlich das Interesse zu verlieren? Verzweifelt hob er den Kopf. Seine Augen huschten im Raum umher. Das hier gehört dir. Alles. Das ganze Stockwerk und jedes der dreizehn Stockwerke darunter. Dein Imperium. Du bist der Imperator. Er legte die Stirn auf die Tischplatte. Plötzlich wünschte er, er wäre wieder zehn. Damals war er wirklich der Imperator gewesen. Und der achtjährige Ludwig sein Diener, der ihn mit Weintrauben und sauren Drops füttern musste. Es schien fast, als wären diese paar präpubertären Jahre die einzigen in seinem Leben gewesen, die stimmig waren. Was sonst geschehen war, das Studium, die Frauen, jeder Schritt seiner Karriere, all das war irgendwie zum falschen Zeitpunkt gekommen. Als wäre er immer sein eigener Zuschauer gewesen, der still danebensaß und beobachtete, während der Mann, dem all die Dinge passierten, lediglich eine Hülle blieb.

      Nur dass es in letzter Zeit wesentlich schlimmer geworden war. Früher hatte Musik geholfen, wenn er nichts fühlen konnte. Ganz bestimmte Lieder, Klassiker aus seiner Jugend, die seine Haut, sein Blut, alle Zellen zum Mitschwingen brachten. Heute fiel ihm nur noch Schwachsinn ein, um zumindest ein bisschen innere Bewegung zu spüren, Schwachsinn wie der, diese Lilly um ein Treffen zu bitten.

      Ludwigs Anruf heute Mittag hatte ihm gar nicht behagt. Oh, müsste er sich nicht eigentlich darüber freuen, dass er wenigstens noch Unbehagen empfinden konnte? Der Machtwechsel zwischen Ludwig und ihm hatte sich schleichend vollzogen. Alexander konnte nicht genau sagen, wann es begonnen hatte, vielleicht als Ludwig stolzer Vater geworden war, so glücklich über seine kleinen Schablonen, dass ­Alexander sich urplötzlich mit seiner eigenen Vaterrolle konfrontiert sah, in der er kläglichst versagt hatte. Doch sein Kind war eben, genau wie alles andere, zum völlig falschen Zeitpunkt gekommen.

      Er stand auf und stellte sich ans Fenster. Vierzehn Stockwerke unter ihm krabbelten die Mitarbeiter von Mobitel aus dem Gebäude wie Ameisen, die ihren Bau verließen. Er dachte an seinen Geburtstag in vier Tagen. An sein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk. Plötzlich war ihm speiübel.

      »Ich will das nicht«, sagte er laut und wunderte sich über die Vehemenz in seiner Stimme. Den kleinen Energieschub musste er nutzen. Er marschierte zu seinem Schreibtisch, nahm den Telefonhörer und tippte die Nummer ein.

      »Alex«, dröhnte ihm Ludwigs Stimme entgegen.

      »Hallo«, grüßte er und versuchte vergeblich, locker zu klingen.

      »Was


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