Er, Sie und Es. Marge Piercy
brachten, als die Wüsten Afrikas und die neue Wüste am Amazonas sich Monat um Monat ausbreiteten. Ohne Bottichnahrung war der größte Teil der Welt zum Hungertod verurteilt, wie die Zahllosen in den zwanziger und dreißiger Jahren.
Sie kletterten ins Treppenhaus und zogen die Schuhe aus, bevor sie den staubigen Flur entlangschlichen. »Wo gehen wir hin?«
»Ins blaue Zimmer.«
Es war das freundlichste der Zimmer und hatte immer noch Möbel. Die Wände zeigten das gleiche ausgeblichene Graubraun wie die anderen Zimmer, aber auf dem Fußboden lag ein blassblauer Teppich; auf dem Metallbett bot eine zerlumpte baumwollene Tagesdecke bescheidene Gemütlichkeit. Die Räume hier oben waren kaum groß genug für ein Einzel- oder Doppelbett, einen Schrank, einen Stuhl. Zu Hause konnte sie Gadi nie mit in ihr Zimmer hinaufnehmen, ebenso wenig, wie er sie in seins mitnehmen konnte. Als sie kleiner waren, hatten sie in ihren Zimmern zusammen gespielt, aber wenn sie jetzt die Tür zumachten, fragten ihre Familien nach dem Grund. Wie jedes andere Mädchen in Tikva hatte sie in der Pubertät ein Implantat bekommen zur Verhütung von Schwangerschaften, aber Jugendliche in ihrem Alter hatten sich einfach nicht für Sex zu interessieren. Natürlich taten sie es alle, auf ängstliche, alberne Art.
Gadi setzte sich im Lotussitz auf das Bett und sie setzte sich genauso ihm gegenüber. Das Licht vom Fenster verwandelte sein feines, lockiges Haar in einen Heiligenschein aus Flaum. »Was haben wir zu essen?«
Sie zog ein halbes Roggenbrot aus ihrer Tasche. »Graubrot aus der Bäckerei und das Übliche.« Telapia war eine der Lebensgrundlagen der Stadt und Teil von ihrem Makro – Fischzucht, Anbau von Gurken, Tomaten, Paprika, das geschlossene Selbstversorgungssystem unter der Hülle. Sie waren damit aufgewachsen, mindestens fünfmal in der Woche Fisch zu essen: immer den gleichen.
Gadi stöhnte, aber er griff zu. Er hatte ständig Hunger. Mahlzeiten in seinem Hause waren dem Zufall überlassen. Er aß ein paarmal in der Woche bei Malkah – irgendwie war seine Anwesenheit am Mittagstisch selbstverständlich, nichts Außergewöhnliches. Shira knabberte ein wenig, um ihm Gesellschaft zu leisten. Von unten kam das Vibrieren von Maschinen, ein hoher Summton, laute Stimmen, die dann leiser wurden. Das Haus war solide gebaut und gab ihnen genügend Ungestörtheit, wenn sie sich in Acht nahmen. Avram war in seinem Labor. Sie konnte sich vage daran erinnern, wie Sara im Labor mit ihm gearbeitet hatte. Jetzt hatte er einen jungen Assistenten, David.
Sie kuschelten sich aneinander, Gadi legte seinen langen Arm um sie, ihre Beine verknoteten sich unter der Steppdecke. »Rabbi Berger hatte keinen Grund, so mit dir zu reden«, sagte Gadi. »Du hattest recht, ihm gefiel nur nicht, wie du es gesagt hast.«
Sie zuckte die Achseln, drückte sich näher an ihn. »Er sagt, ich habe eine schlechte Einstellung.«
»Gut. Bleib dabei.«
»Er ist so knochig. Meinst du, er klappert, wenn er die Treppen runterrennt?«
»Bin ich zu mager?«
»Du bist überhaupt nicht zu irgendwas, Gadi.«
»Das sagst du jetzt. Glaubst du, wir werden mal wie andere Ehepaare? Ständig Krach und Sticheleien. Meine Eltern waren nicht so, soweit ich mich überhaupt erinnern kann, wie es war. Sie sprachen immer ihre eigene Sprache, in Höchstgeschwindigkeit. Sie arbeiteten den ganzen Tag zusammen, und abends redeten sie dann ohne Punkt und Komma, als hätten sie sich wochenlang nicht gesehen.«
Gadis Zuhause roch wie ein Krankenhaus. Es war unnatürlich still. Shira war eine fröhlichere und geschäftigere Atmosphäre gewohnt. Malkah glaubte an die leiblichen Genüsse: gutes Essen, hübsches Geschirr, Vorhänge an den Fenstern, bequeme, gesunde Sitzhaltung an den Computern, die Kontakte immer gereinigt, sterilisiert. »Wär das nicht schön, wenn wir in meinem Haus leben könnten?«
Gadi küsste sie leicht, streifte sie nur mit den Lippen. »Dein Haus ist der gute Ort meiner Träume. So war es schon immer.«
»Wegen des Innenhofs. Wie die Synagoge.« Ein ganzes Makro innerhalb der Mauern ihres Hauses, alles grün und blühend, wie das Paradies. »Wär das nicht schön, wenn wir den Mut hätten, jetzt da zu sein?«
»Eines Tages werden wir ihn haben. Wir ziehen uns völlig aus und liegen im Gras unter dem Pfirsichbaum. Du bist mein Pfirsich. Ich könnte dich verschlingen.«
Er küsste sie wieder, härter diesmal, ihre Lippen waren weich und feucht und gierig, sie schnappten und saugten, ihre Zungen schlangen sich umeinander. In letzter Zeit schufen ihre Körper einen eigenen hitzigen Raum. Jahrelang hatten sie sich in den Armen gehalten und manchmal geküsst, doch dieser Teil wurde stärker und mächtiger. Er schob ihren Pullover hoch, um ihre Brüste zu berühren. Sie wuchsen und er spielte gern damit. Sie fühlte sich dann wie geschmolzen, als ob das Gewicht sich in ihr nach unten verlagerte. Küssen war früher immer Teil der Phantasievorstellungen, Teil der Spiele, doch in letzter Zeit wurde es etwas Eigenes.
Er ließ von ihr ab und lehnte sich lächelnd zurück. »Mach die Augen zu, Shira. Ganz fest zu. Ich mache meine auch zu. Jetzt taste. Wir sind blind. Wir sind ohne Augen. Wir sind zwei blinde Geschöpfe, die sich begegnen, um einander zu erforschen. Und wir sprechen verschiedene Sprachen, also können wir nicht reden. Wir können uns nur berühren und Geräusche machen.«
Langsam, langsam erbaute sie sich seinen Körper aus der rötlichen Dunkelheit ihrer zusammengekniffenen Lider. Seine Hemdknöpfe fühlten sich riesengroß an. Der Verschluss an seiner Hose war stachlig und rau unter ihren tastenden Fingern. Sie brauchten Stunden, so kam es ihnen vor, um sich gegenseitig auszuziehen, bis sie zusammen glatt, heiß, nackt waren. Sie spürte sein Herz an ihrer Wange rasen. Heiß und kalt, lockig und glatt, fest und seidig, drahtig, metallisch. Sein Körper war eine weitläufige Stadt, sie füllte ihren Kopf.
Seine Hand glitt zwischen ihre Beine, berührte sie an der gleichen Stelle wie vor einer Woche, als sie im warmen, seichten Wasser der Bucht waren und den Haien zum Trotz schwammen, den Haien mit Flossen und den Menschenhaien, die nach Fleisch jagten. Trotzig schwammen sie ohne Schutzfett, nackt unter der giftigen Sonne und der giftigen Luft. Damals hatte sie ihn überrascht weggestoßen. Jetzt brannte sie und ihr Fleisch toste um ihn wie ein Feuer im Wind. Sie drückte sich an seine Hand. Er machte ihre Finger von seinem Penis los und ließ ihn an ihr entlanggleiten. Anfangs konnte er nicht hinein. Sie hatte Angst, aber sie konnte das Spiel nicht brechen, sie fragte nicht, was er tat, sie protestierte nicht. Nie brach sie das Spiel. Es war ein Bann. Es war das, worauf sie sich zubewegt hatten, das wussten sie beide.
Er stöhnte. Es tat beiden weh. Sie stießen ihre Körper ineinander in verbissener Konzentration. Schließlich schaffte er es, ziemlich weit einzudringen, aber dann schrie sie vor Schmerz auf und er erschlaffte in ihr. Er glitt hinaus. Beide lachten und hielten einander.
»Es ist nicht so leicht, wie es sich in den Stimmies anfühlt.«
Sie prustete abfällig. »Woher willst du das wissen? Deine Eltern haben deine verschlüsselt, genau wie Malkah meine.«
»Ich habe sie rückprogrammiert. Ich kann jeden Abdruck haben, den ich will.«
»Fühle ich so gut wie die Schauspielerinnen?«
Er lachte. »Nur du weißt, wie du fühlst. Ich wollte dir nicht wehtun.«
»Es tut nicht echt weh. Willst du es noch mal versuchen?«
Er war ungefähr halb eingedrungen und sie küssten sich leidenschaftlich, da schreckte sie ein lautes Geräusch auseinander. »Was ist das?«, fragte sie leise.
»Psst! Jemand auf dem Flur?« Er sprang auf und zog sich an. Nachdem sie angespannt gelauscht hatte – niemand schien oben zu sein, das war es nicht, was sie erschreckt hatte –, sprang sie aus dem Bett und griff sich ihre Sachen.
Dann hörten sie es wieder, jemand schrie unten. Ein lautes Krachen und dann, unverkennbar, das Geräusch einer verbotenen Laserwaffe. Gadi riss die Tür auf und lief zur Treppe, Versteck hin, Versteck her. Sie blieb nur stehen, um sich die Schuhe anzuziehen, dann jagte sie ihm nach, knöpfte sich im Laufen das Hemd zu und die Hose.
Niemand war auf dem Flur, als Gadi die Tür der Mansarde aufmachte. Während