Er, Sie und Es. Marge Piercy

Er, Sie und Es - Marge Piercy


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Ausdruck seines Schmerzes war. Es war nicht so, dass Josh sie leidenschaftlich geliebt hatte, obwohl er das bestimmt behauptet hätte. Er hatte vielmehr eine konventionelle Anhänglichkeit entwickelt, jedoch eine, die für sein Überleben von zentraler Bedeutung war. Er verließ sich einfach darauf, dass sie da war.

      Keine weiteren Obduktionen. Ihr größter Wunsch war, Ari einen vollkommenen Tag zu bereiten. Hoffentlich mochte er immer noch luftige Omeletts, bei denen das Eiweiß getrennt geschlagen wurde. Sie hatte es geschafft, drei echte Eier aufzutreiben. Sie würde ihn fragen, ob er Lust hatte, eine Wolke zu essen. Leider war der Tag dunkel, das künstliche Licht schmutzig orange. Wahrscheinlich tobte außerhalb des Kuppeldoms ein Sandsturm. Sie plante, mit ihm in den Park zu gehen. Ein wenig Spielzeug hatte sie zwar, aber da sie ihren ganzen Kredit für Gerichtskosten ausgab, konnte sie sich nicht viel leisten.

      Sie eilte durch die gepflegte, stets neue und stets saubere City der Enklave. Über den gezackten Reihen der Silos für Unterschichttechnos dehnte sich der silberne Kuppeldom. Dreihunderttausend Menschen lebten hier; noch einmal so viele wurden täglich aus dem Glop herein- und wieder hinausgeschleust. Unter dem Kuppeldom herrschte Frühling, und das Klima war so eingestellt, wie es hier vor fünfzig Jahren gewesen sein mochte, aber die Straßenbeleuchtung brannte.

      In Zweierreihen marschierten Kinder in ihren blauen Sonntagsuniformen mit dem Y-S-Logo vorbei. Sie erkannte, dass es Kinder von Leitenden und nicht von Technos waren, denn sie hatten schon chirurgische Eingriffe hinter sich, um sie dem Y-S-Ideal in Gesicht und Körper anzupassen. Sie sangen eine der Konzernhymnen, ein Sicherheitsaffe führte sie an, ein zweiter bildete den Abschluss. Die Affen bewegten sich schwerfällig wie Roboter, obwohl es seit den Cyberkrawallen verboten war, Robotern menschliche Gestalt zu geben. Affen waren einfach chemisch und chirurgisch veränderte Menschen mit besonderen Implantaten für übermenschliche Kräfte und Schnelligkeit. Die Oberschichtkinder wurden durch das Einkaufsviertel der Mittelschichttechnos wohl zu einer Sonderveranstaltung geleitet. Denn normalerweise wagten sie sich nicht aus dem Paradiespark, einer Enklave innerhalb der Enklave hinter hohen Mauern um einen Teich mit richtigem Wasser. Eine hochgewachsene, elegante Frau auf einem Pferdobil – einem goldglänzenden Pferderoboter, der in zierlicher Gangart jeden Kobalthuf hoch in die Luft hob – ritt neben ihnen. Lehrerin? In Anbetracht des Pferdobils – das ein Vermögen kostete – und ihres Haars, in das Juwelen geflochten waren, wohl eher eine der Mütter.

      Sie dachte an ihre eigene Mutter, Riva, wie sie es seit Jahren nicht getan hatte. Sie war Riva selten begegnet. Beim letzten Mal war sie siebzehn gewesen und hatte kurz vor der Abreise zur Universität gestanden. Ihre Mutter war eine unscheinbare, vorzeitig in die Jahre gekommene Frau, eine typische Bürokratin oder Mittelschichtsanalytikerin – Shira hatte nie ganz kapiert, was ihre Mutter tat, aber offensichtlich nichts Wichtiges. Die Begabung, die Malkah weltweite Anerkennung als Genie gebracht und die bis vor kurzem noch Shira die Auswahl ihrer Schulen und Projekte ermöglicht hatte, schien Riva übersprungen zu haben. Hatte Riva sie jemals so vermisst, wie sie Ari jetzt schon vermisste? Sie bezweifelte es. Soweit Shira sie sich ins Gedächtnis zu rufen vermochte, sah sie eine hektische Frau, die sich nervös die Hände rieb. Riva hatte sie mit offenkundiger Erleichterung Malkah übergeben, Malkah hatte sie großgezogen, und alle waren glücklich. Nein, Shira hatte die Familientradition, ihr Kind der Mutter zu übergeben, gar nicht ernst nehmen können. Riva wäre schon mit der Aufzucht einer Springmaus überfordert gewesen.

      Shira war mit Katzen und Vögeln aufgewachsen, aber hier waren richtige Tiere nur Oberschichttechnos und Leitenden erlaubt. Alle anderen behalfen sich mit Robotern, aber die guten waren für sie viel zu teuer. Aris kleiner Koala war das Äußerste, was sie und Josh sich leisten konnten. Ari war ganz verrückt danach, seinem Wawabär, aber Josh hatte verboten, dass Ari ihn mit zu ihr nahm, er sei viel zu teuer, um ihn durch die Gegend zu schleifen.

      Ihre Straße war wie hundert andere, ihr Haus einer von den vier Prototypen für Joshs Dienstgrad. Shira zog ein Gesicht, sie stand vor der Tür, die sich auf ihre Berührung nicht mehr auftat. Der Hauscomputer war neu programmiert, sie zu behandeln wie eine Fremde. In letzter Zeit wartete sie draußen, wenn sie Ari abholte. Als sie das Haus, das einmal ihr gemeinsames gewesen war, zuletzt betreten hatte, fand sie Wohnzimmer und Küche demonstrativ verdreckt, überall Essensbehälter und schmutziges Geschirr. Das Haus schrie ihr entgegen: Da, sieh, was du uns angetan hast! Josh hätte nur den Reinigungsroboter an die Arbeit zu lassen brauchen. Aber er hatte es vorgezogen, mit dem Dreck zu sagen: Dazu bin ich verkümmert. Seine Verbitterung stank ihr entgegen. Sie hatte den Vorfall in ihrer letzten Eingabe beschrieben und die Atmosphäre in seinem Haushalt als unzuträglich und ungesund für ein Kleinkind bezeichnet. Vergammeltes Essen konnten zwei als Waffe benutzen.

      Das Haus öffnete die Tür. »Treten Sie ein. Für Sie ist eine Nachricht da.« Die Stimme war umprogrammiert worden. Ja sie hörte sich sogar an, als sei das Haus neutral gestellt, als wohne niemand darin. Die Stimme war deutlich eine Maschinenstimme, nicht mehr weiblich, nicht mehr vertraut.

      »Ist Josh nicht zu Hause? Wo ist Ari?«

      »Josh ist nicht da. Ari ist nicht da. Bitte empfangen Sie die Nachricht für Shira Shipman.«

      Sie ging durch die Diele. Die meisten Möbel standen an ihrem Platz, aber die persönlichen Dinge waren verschwunden, die Fotos von Joshs Familie. Er würde nie die Bilder seiner hingemordeten Eltern und Brüder entfernen, solange er dies Haus bewohnte. Offiziell wurden sie als Seuchenopfer geführt, aber sie waren im Kampf gefallen. Die verbogene und halb geschmolzene Menora, die er aus den Trümmern gerettet hatte, war nicht mehr da. Sie eilte rasch zum Terminal. Es war nicht das erweiterte, das sie immer benutzt hatten. Es war das simpelste Modell, darauf eingestellt, das Haus instand zu halten, Nachrichten entgegenzunehmen, einfache Fragen zu beantworten, einen Reinigungsroboter zu beaufsichtigen. Das Hausmeister-Modell. Sie hatte das Gefühl, ihre Brust fülle sich mit kaltem Schlamm. Sie fühlte sich schwer, formlos, durchgefroren. Was ging hier vor? Sie sank vor dem Terminal auf einen Stuhl und identifizierte sich.

      Joshs Gesicht erschien auf dem Bildschirm, die Lippen schmal gespannt. »Ich nehme an, du bist hergekommen, um dich mit mir zu streiten. Jeder weitere Einspruch ist sinnlos. Du hast uns verlassen, und jetzt haben wir die Erde verlassen. Yakamura-Stichen hat mich auf die Pazifika-Plattform versetzt. Ich nehme meine Assistentin Barbra mit und Ari. Ich habe die uneingeschränkte Berechtigung von Y-S, Ari mitzunehmen. Wenn du keine Starterlaubnis für Pazifika erhältst, wirst du warten müssen, bis wir nach Ablauf unserer Pflichtdienstzeit zur Erde zurückkehren. Die üblichen zwei Jahre. Josh Rogovin Ende.«

      Sie saß da wie betäubt. Dann rannte sie hoch in Aris Zimmer. Es war leergeräumt. Y-S musste Josh gestattet haben, Aris Bettchen mitzunehmen, seinen Spieltisch, seine Spielsachen, seinen Koalaroboter. Sie lief durchs Haus und rief nach ihm, hoffnungslos, unnütz. Dann warf sie sich an das Terminal und spielte noch einmal Joshs Nachricht ab.

      »Du hast dich gründlich an mir gerächt. Das hast du geschafft«, sagte sie zu seinem Gesicht, das am Ende der Nachricht auf dem Bildschirm eingefroren war. Sie blieb sitzen, während es dunkler im Zimmer wurde. Das Licht ging hier nicht an, außer sie befahl es ausdrücklich, was sie nicht tat. Wie schäbig und klein das Haus um sie herum anmutete, bar aller Spuren ihrer Ehe bis auf die Abnutzungserscheinungen an den Möbeln und hier und da einen noch nicht entfernten Fleck an der Wand. Ari war fort. Er war nicht einmal mehr auf der Erde.

      Alles ließ sich auf die simple Tatsache zurückführen, dass Joshs Fähigkeiten für Y-S wertvoller waren als ihre. Sie hatten versucht, Plasmaphysiker auf die Pazifika-Plattform zu versetzen, aber gemäß den Rechten der Y-S-Bürger durfte niemand ohne Einwilligung in den Weltraum umgesiedelt werden. Jeder hatte den Verdacht, dass Pazifika sehr viel mehr harter Strahlung ausgesetzt war, als der Multi zugab. Josh hatte sich nie dafür interessiert, im Weltraum zu arbeiten. Das Leben auf einer Plattform war die vollständig verwirklichte Klaustrophobie. Josh hatte nicht das Recht, Ari eine Kindheit in solcher Umgebung zuzumuten. Er hatte es getan, um sie zu bestrafen. Sie konnte nichts tun, absolut gar nichts.

      Sie hasste Y-S. Ihr Chef hatte nicht hart genug für sie gekämpft. Sie war geopfert worden, für den Bedarf des Multis an Wissenschaftlern, die bereit waren, zwei Jahre in einer großen Blechbüchse zuzubringen. Zwei Jahre. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Sie wollte nicht in diesem verlassenen Haus weinen,


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