Stress-Familie Robinson. Adrian Plass
Seit ich sie kenne, haben sie diesen regelmäßig stattfindenden Streit nie um mehr als ein oder zwei Worte variiert, und er endet stets auf genau dieselbe Weise. Ich habe beide sehr lieb, aber beim Streiten zeigen Mike und Kathy ein erschreckend leicht voraussagbares Verhalten.
Zum ersten Mal erlebte ich dieses besondere Stück unbewusst eingeübten Rollenspiels an einem Samstag, als die Familie vorhatte, in einen langen Urlaub über die Osterzeit zu verschwinden. Da ich wusste, dass das Packen für Amerika immer wieder hinausgeschoben worden war und nun unvorstellbarerweise noch irgendwie vor dem Mittagessen eingeschoben werden musste, erbot ich mich, nach dem Frühstück vorbeizukommen und zu sehen, ob ich helfen könnte. Als ich gegen neun an der hohen, schmalen, viktorianischen Doppelhaushälfte der Robinsons eintraf, sah ich die sechsjährige Felicity, die, hübsch von der Frühlingssonne beschienen, auf einer Ziegelsteinsäule am Gartentor saß und zu einem unsichtbaren Kreis von Bewunderern sprach.
„Ihr seid alle meine besten Freunde“, sagte sie lächelnd, als ich aus Daffodil stieg und die Tür hinter mir verschloss, „und ich liebe jeden von euch genau gleich viel. Ihr seid alle zu meiner nächsten Geburtstagsfeier eingeladen, wo wir reiten, schwimmen, sackhüpfen, kegeln und Pizza essen werden.“
„Darf ich auch kommen?“, fragte ich.
„Nein, Dip“, sagte Felicity, „du darfst zu meiner echten Feier kommen, wo Daddy Tricks vorführt, die nicht funktionieren, und Mami sauer wird, weil die Leute nicht richtig bei den Spielen mitmachen - und einen guten Tee gibt es auch“, fügte sie in dem Bestreben, absolut fair zu sein, hinzu.
„Sind Mami und Daddy schon auf?“
„Sie sitzen in der Küche und trinken Kaffee und seufzen und machen Listen. Jack hat sich den Kopfhörer aufgesetzt und ist wieder nach oben gegangen, weil Mami gesagt hat, dass sein Zimmer aussieht, als ob da etwas Trauriges und Schreckliches passiert sei.“
„Ach du meine Güte! Und Mark?“
„Mark ist stinkig geworden, weil er meint, ihm hätte niemand gesagt, dass wir heute nach Amerika fahren, und er sei mit seinen Freunden verabredet. Mami sagte, nur ein stocktauber Schwachsinniger hätte nicht wissen können, dass wir verreisen, und wenn Mark sich für seine Familie ebenso interessieren würde wie für seine dämlichen Freunde, dann hätte er vielleicht mehr Ahnung, was dort vor sich geht. Dann sagte Mark, das nächste Mal, wenn langweilige Gäste zu Besuch kommen, würde er sich nicht die Mühe machen, höflich zu ihnen zu sein, und stampfte mit nach außen gestellten Füßen davon wie eine beleidigte Ente. Und Mami sagte, sie hätte nie für möglich gehalten, dass der Hinterkopf von jemandem einen so zur Weißglut bringen könnte.“ Felicity seufzte. „Ehrlich gesagt, der Morgen lief nicht besonders gut.“
„Klingt auch nicht sehr gut“, stimmte ich zu, „aber ich bin sicher, es wird besser werden. Es ist immer schwierig, wenn man verreist. Ich bin gekommen, um ein bisschen zu helfen.“
„Da wirst du warten müssen, bis sie mit ihrem Packstreit fertig sind“, sagte Felicity ernst, „vorher wird hier nichts passieren. Später haben wir eine geheime Überraschung für dich“, fügte sie geheimnisvoll hinzu.
„Ooooh, na ja, darauf freue ich mich, ich liebe Überraschungen!“
Ich traf Mike und Kathy, über Kaffeebechern und Zetteln am Küchentisch kauernd, an. Sie sahen abgehärmt und niedergeschlagen aus, gar nicht wie Leute, die in ein paar Stunden mit der Familie in Urlaub nach Amerika fliegen wollten. Die Küche sah aus, als hätte sie am Vorabend zu viel getrunken und wäre voller Reue darüber aufgewacht.
„Hallo, Dip“, sagte Mike und stand auf. „Ich fürchte, mit uns ist heute Morgen nicht allzu viel los - wir sind noch nicht richtig in Gang gekommen. Setz dich, ich mache dir einen Kaffee. Ein Stück Zucker zurzeit, nicht wahr? Wir waren gerade dabei, eine Liste aufzustellen, was wir noch erledigen müssen, und dann …“
„Und dann“, unterbrach Kathy, die sich die dunklen Haare raufte, „packen wir unsere Sachen für drei Wochen, die wir schon vor einer Woche hätten packen sollen, kratzen das Fett von diesem Höllenloch …“
„Wir haben über dieser Küche gebetet, als wir einzogen, Kath“, unterbrach Mike sanft, während er mir einen Kaffee von typisch Robinsonscher Finsternis vorsetzte. „Ich finde es nicht richtig, sie ein Höllenloch zu nennen. Was meinst du, Dip?“
„Ich glaube nicht, dass …“
„Und dann“, fuhr Kathy fort, „werden wir eine lange theologische Diskussion darüber führen, wie wir vermeiden können, die Gefühle dieser geheiligten Küche zu verletzen, gefolgt von einem schwächlichen Versuch, unsere zerrüttete häusliche Situation zu verbessern. Danach werden wir das Haus sauber machen - das dürfte nur ungefähr vier Stunden dauern; dann werden wir alles erledigen, was wir zweifellos vergessen haben, und dann, vorausgesetzt, unsere lieben Söhne sind so großzügig, uns zu begleiten, werden wir mit der Absicht aufbrechen, zum Flughafen zu fahren. Doch innerlich werden wir genau wissen, dass wir in Wirklichkeit einem vorausbestimmten Ort mitten in der Pampa zusteuern, meilenweit von der nächsten Werkstatt entfernt, wo unser armseliges Vehikel liegen bleiben und den Geist aufgeben wird. Und damit ist“, schloss Kathy, ließ ihre Haare los und ließ die Fäuste mit einem dumpfen Schlag auf die Tischplatte niederfallen, „abgesehen von meiner Absicht, der tauben, schwachsinnigen Ente, falls und wenn sie zurückkommt, ernsthafte Verletzungen zuzufügen, unsere Reiseroute für heute beendet.“
„Kathy fällt es immer ein bisschen schwer, abzureisen“, sagte Mike ziemlich überflüssigerweise. „Du hast ja noch gar nichts von deinem Kaffee getrunken, Dip. Ist er in Ordnung?“
Ich zuckte nichts sagend die Achseln. „Er ist, äh … . er ist immer noch ein winziges bisschen zu stark für mich, Mike. Gut, aber etwas stark. Schaut mal, darf ich euch vielleicht helfen?“
Ich legte meine Hand auf Kathys Arm. „Ich würde wirklich gern hier bleiben, wenn ihr weg seid, und mich um die Küche und den Rest des Hauses kümmern. Ich bin gern in Häusern anderer Leute - ehrlich.“
Kathy gab ein erschöpftes, leises Wimmern von sich, während in ihr Hoffnung und Höflichkeit miteinander rangen. „Oh Dip, du brauchst nicht …“
„Abgesehen von allem anderen“, fuhr ich überzeugend fort, „gibt mir das die Chance, all eure privaten Papiere zu durchsuchen und meine Nase in Dinge zu stecken, die mich nichts angehen. Bitte bringt mich nicht um diese Gelegenheit. Die Leute in der Gemeinde würden zu gern mal ein paar blamable Geschichten über euch hören - ganz im Vertrauen und nur fürs Gebet, versteht sich.“
Kathys Stimmungswechsel haben mich schon immer an das Wetter in Melbourne erinnert, wo ich während meiner Ausbildung lebte. Plötzlich kam die Sonne zum Vorschein, als sie den Kopf zurückwarf und lauthals lachte. „Abgemacht! Aber sieh zu, dass du Mikes Pornoheftchen wieder dahin zurücklegst, wo du sie gefunden hast, ja?“
„Kath!“ Mike war fast beleidigt. „Ich nehme solche Zeitschriften niemals in die Hand - ich würde nicht im Traum daran denken, so etwas im Haus zu haben. Ich kann mich nicht erinnern, jemals auch nur einen Blick - na ja, ich glaube, wenn ich ganz ehrlich sein soll, als ich jung war …“ Mikes frische Gesichtshaut nahm eine kräftige, tiefrote Farbe an. „Vielleicht habe ich mir gelegentlich - nun ja … ein Bild angeschaut, das ein Freund bei sich hatte oder so, aber ganz bestimmt nicht mehr … jetzt. Ganz bestimmt nicht.“
„Du brauchst hier nicht das Riesenradieschen zu spielen, Mike. Dip weiß, dass ich nur Spaß gemacht habe, stimmt's, Dip?“
„Schon“, antwortete ich, „aber mir kam gerade der Gedanke, dass ich selber jede Menge Pornografie habe.“
Sie starrten mich überrascht an. „Wirklich?“, fragte Mike ganz erstaunt.
„Klar - hier oben.“ Ich tippte mir an den Kopf. „Da drin ist ein ganzer Haufen davon. Es werden nicht alle Schalter auf, Aus‘ gestellt, nur weil man die Fünfzig überschritten hat, wisst ihr. Manchmal ist es richtig lästig. Ach was, wie auch immer - der Punkt ist, ich darf hier bleiben und für euch aufräumen, ja? Dadurch habt ihr genügend Zeit, zu packen und alles andere