Das Heilige Fest. Fritz Steinbock

Das Heilige Fest - Fritz Steinbock


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finden, wissen auch, dass sie von ihrem Land und ihren Göttern abstammen und mit ihnen verwandtschaftlich verbunden sind.

      Heidentum ist also kein Glaube an Götter, sondern eine Verwandtschaftsbeziehung zu ihnen. Das prägt den Charakter des heidnischen Rituals. Es ist kein schwieriger Umgang mit fremden Wesen, wie der christliche Gott ein „ganz anderer“ ist oder wie die Zeremonialmagie komplizierte Verrichtungen braucht, um fremdartige Kräfte zu handhaben. Das tun wir nicht. Wir laden unsere Verwandten ein, mit uns ein Fest zu feiern.

      Wenn wir das heidnische Ritual nicht als Gottesdienst oder magische Handlung definieren, sondern als Fest, so bedeutet das dreierlei.

      Zunächst ist es ein Treffen von Menschen und Göttern als Freunde im altgermanischen Sinn, das heißt als Verwandte, die ihre Zusammengehörigkeit pflegen und einander des Friedens, des Zusammenhalts und der gegenseitigen Treue versichern. Es ist ein Fest, wie es die Menschen aller Zeiten und Völker feiern, wenn sie zusammenkommen: mit Essen und Trinken, ehrenvollen Reden und Geschenken. Im Ritual werden sie zum Opfermahl, dem eigentlichen Blót mit dem kreisenden Trinkhorn, den Gebeten und Anrufungen und den Opfergaben. Alle diese Handlungen sind nicht so mysteriös, wie sie scheinen oder von Esoterikern gedeutet werden, sondern haben einen sehr „normalen“, nämlich sozialen Ursprung. Sie folgen den gemeinschaftsbildenden Bräuchen zwischen den Menschen und haben ihren Sinn in der Gemeinschaft mit den Göttern. Erst wenn die Götter vergessen sind, werden sie zu magischen Praktiken, die man um ihrer selbst willen ausführt, oder brauchen zu ihrer Rechtfertigung weit hergeholte „spirituelle“ Deutungen.

      Das zweite Merkmal des heiligen Festes ist, dass in ihm das Leben auf einer höheren Stufe steht als im Alltag. Nicht der einzelne in seiner Begrenztheit und Endlichkeit ist es, der hier lebt und handelt, sondern die ganze Gemeinschaft, in der die Verwandten und Gefährten, die Ahnen und künftige Generationen, das Land und die Götter und Geister in ihm eine Einheit sind. Sie verbinden sich zu einer Einheit des Heils, das aus Toten, Lebenden und noch nicht Geborenen, aus Gemeinschaft und Heimat, Erde und Göttern zusammenfließt und zu einem Heil wird, das alle erfüllt.

      In der Größe und Weite dieses Heils – dieser Stärke, Macht und gestaltenden Kraft – gewinnt alles, was geschieht, unendlich größere Bedeutung; ist heiliger, machtvoller und bestimmender als jemals sonst. Jede Ehre, die man erweist, ist erhabener, jeder Eid wirksamer und jede Beleidigung tiefer. Deshalb ist der heilige Friede, der auf dem Fest herrschen muss, so wichtig und sein Bruch folgenschwerer als jeder andere Streit. Friedensstörer bei einem Ritual dürfen daher auf keinen Fall geduldet werden. Sie verletzen das Heil der Festgemeinschaft in einer Weise, die alle vernichten kann.

      Denn das ist die dritte Eigenschaft des heiligen Festes, die natürlich auch im Guten wirkt und wirken soll: Es schafft die Bedingungen und Ereignisse der Zukunft. Bei den Jahresfesten danken wir nicht nur für das Erreichte, sondern gestalten durch die Art, wie wir ihn beginnen, auch den kommenden Jahresabschnitt. Bei den Lebenskreisfesten tun wir das noch viel mehr, denn wie ein Kind in die Gemeinschaft aufgenommen wird, so wird sein ganzes Leben sein, und so wie die Hochzeit verläuft, wird sich die ganze Ehe entwickeln. Alles, was wir erreichen, wird durch das Heil bestimmt, und wenn im heiligen Fest das ganze Heil gegenwärtig und wirksam ist, gibt es nichts mehr, was uns sonst noch helfen könnte. Die glückliche Ernte, die Treue der Eheleute, das erfolgreiche Leben des Kindes – all das wird im Ritual nicht nur gewünscht und erbeten, sondern geschaffen und eigentlich schon erreicht: Wenn unser Heil stark genug ist, wird es so eintreten, und alles, was dazu getan werden muss, wird getan werden, mehr noch: auf der höheren Ebene des Heils ist es bereits getan und muss sich im Alltag nur noch manifestieren.

      Um das auszudrücken, was die moderne Sprache unterschiedslos „heilig“ nennt, hatten unsere Vorfahren zwei verschiedene Wortstämme: hail für die uns zugekehrte, Heil wirkende Seite der Götter, in der wir sie als Verwandte und Freunde erfahren, und den Stamm wîh, der in „weihen“ und im nordischen Wort (Heiligtum) erhalten ist. Er bezeichnet die göttliche Eigenschaft des hoch Erhabenen, Unfassbaren oder Numinosen, denn das lateinische numen ist dasselbe wie das germanische guþ oder guð, nach Tacitus „jenes Geheimnis, das sie in einziger Ehrfurcht schauen.“

      Das Ritual spricht beide Pole der Heiligkeit an. Wir rufen die Götter um ihr Heil an, und wir verehren sie für ihre Erhabenheit und Größe, in der sie unabhängig davon, wie heilvoll ihr Wirken für uns ist, heilig im Sinn des altgermanischen wîh sind. Man kann auch sagen, dass hail den nahen und wîh den fernen Aspekt der Götter ausdrückt, hail ihre Gegenwart in Midgard, ihr Natur-Einssein um uns und in uns, und wîh ihre Besonderheit, in der sie in Asgard leben, oder ihre Verwandtschaft mit uns und das Mysterium ihrer Göttlichkeit. Denn obwohl das Heidentum Welt und Götter, Diesseits und Jenseits nicht kategorisch trennt, wie es die dualistischen Religionen tun, weiß es um die Unterschiede: Menschen und Götter gehören derselben Wirklichkeit an, aber sie sind natürlich verschieden. Beide Aspekte, Angehörigkeit und Verschiedenheit, gehören zusammen.

      Beide lässt ein gutes Ritual auch erfahren: Wir spüren das Heil, das von den Göttern kommt, und wir sind ergriffen, von Bewunderung und Ehrfurcht erfüllt und manchmal auch erschreckt von ihrem Geheimnis, dem – wie es der Religionsforscher Rudolf Otto bezeichnete – mysterium fascinosum und mysterium tremendum, dem begeisternden und dem erzittern lassenden Geheimnis des Numinosen.

      Ein heidnisches Ritual auszuüben hieß in altnordischer Sprache blóta und auf Althochdeutsch bluozan oder ploazzan. Der Begriff ist sprachwissenschaftlich nicht ganz geklärt, hat aber sicher nichts mit dem Blut (nordisch blóð) von Opfertieren zu tun, sondern hängt wahrscheinlich mit blotna, nass werden, und eventuell deutsch platschen zusammen, bezieht sicht also ursprünglich auf das Benetzen der Erde oder des Altars beim Trankopfer, das nordisch blót oder althochdeutsch bluostrar heißt. Die schwedische Religionsgeschichtlerin Britt-Mari Näsström zitiert auch eine Ableitung aus der indogermanischen Wurzel *bhle (schwellen) und erklärt diese damit, dass das Opfer etwas vermehrt oder neu schafft, wie es in manchen Schöpfungsmythen – in der Edda beispielsweise das Opfer Ymirs – vorkommt.

      Wie schließlich blót jedes Opfer bezeichnete, wurde auch blóta für jede Opferhandlung verwendet, wobei man nicht sagte, dass man den Göttern Gaben opferte (goðum gjöf), sondern man „blotete“ die Götter mit Gaben (goð gjöfum). Das lässt manche an ein magisches „Stärken“ denken, geht in Wirklichkeit aber auf die allgemeine Bedeutung von blóta zurück, die schon das gotische blotan hatte: „verehren“.

      Bloten heißt im traditionellen Verständnis einfach „die Götter (mit Opfern) verehren“, und das ist auch typisch für das Heidentum. Es ist eine polytheistische Religion, in deren Mittelpunkt nicht magische Kräfte, mystische Einweihungen oder Verheißungen gleich welcher Art stehen, sondern die Götter und ihre Verehrung in kultischen Riten. Was immer sonst noch mit einem Ritual verbunden sein mag – und das kann vieles Verschiedenes sein – immer wendet es sich primär an die Götter und dient dazu, ihnen die gebührende Ehre zu erweisen.

      Diese Ehre ist keine Anbetung, denn das wäre eine Huldigung mit Demutsgesten und der inneren Haltung des Dienens und der Unterwerfung, die nach germanischen Begriffen wertlos wäre. Diener und Kriecher können den Göttern keine Ehre erweisen, denn nur wer Ehre hat, kann welche geben. Mit Würde und Stolz, die uns als ihren Verwandten auch zustehen, müssen wir vor die Götter treten, sonst würden sie uns erst gar nicht beachten. Oder schlimmer: Sich ihnen unwürdig zu nähern, wäre sogar eine Beleidigung.

      Auf dem heiligen Fest sind die Götter die Ehrengäste. Wir geben es ihnen zu Ehren und stellen sie, ihre Würde und ihre ehrenvollen und heilbringenden Taten in


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