Das Heilige Fest. Fritz Steinbock
Mahl und Geschenken zu ehren, und genauso verfuhren sie mit den Göttern.
Ihre Verehrung war nicht anders als die eines Helden oder erfolgreichen Königs, und wie von ihm erwartete man von den Göttern ebenfalls eine Gegenleistung. Und dazu hatte man auch das Recht.
Die Gabe will stets Vergeltung
Neben bluostrar gab es im Althochdeutschen für ein heidnisches Opfer auch das Wort gelt oder gilt, das manchmal davon unterschieden wurde: Die Franken mussten bei der christlichen Taufe allem them bluostrum indi den gelton, allen Blótar und Opfern, abschwören – sie dürften genau zwischen bluostrar für Trank- und gelt für Speise- und Sachopfer unterschieden haben. Im sächsischen Taufgelöbnis ist dagegen mit nur einem Wort von allum diobolgeldae, allen „Teufelsopfern“, die Rede.
Gelt, gotisch gild, hängt mit vergelten zusammen, die nordische Form gildi bedeutet direkt „Rückzahlung, Vergeltung“. Ein Opfer an die Götter wurde von den germanischen Völkern als eine Vergeltung für ihre Wohltaten aufgefasst und unterscheidet sich vom römischen Brauch nach der Formel do ut des – „Ich gebe, damit du gibst“ – wohl darin, dass im Vordergrund nicht die Bitte um kommende, sondern der Dank um erwiesene Segnungen steht, folgt ansonsten aber derselben Logik. Opfern unterliegt den Regeln des Gabentauschs, die auch innerhalb der menschlichen Gesellschaft gelten. Die Edda bestätigt dies durch den Vers: „Die Gabe will stets Vergeltung.“
Der vorangehende Satz „Besser nicht gebetet als zuviel geboten“ ist vordergründig eine Warnung. Man soll die Götter nicht durch übertriebenen Dank beschämen und bei Bitten nicht versuchen, sie durch große Opfer ungebührlich in die Pflicht zu nehmen. Der Hintergrund ist, dass das Opfer genauso gesehen wurde wie das Geschenk unter Menschen, das in der germanischen Kultur mehr als nur ein Dank für erbrachte Leistungen, Zeichen der Wertschätzung oder wie auch bei den Indianern ein Maß für die Ehre der Edelmänner war, die an ihrer Freigiebigkeit gemessen wurden.
Geschenke und Gegengeschenke wurden auch bewusst eingesetzt, um gegenseitige Bindungen herzustellen und zu festigen. Ein Gefolgsherr band seine Männer nicht nur durch einen Treueeid an sich, sondern auch durch reichliche Geschenke. Ebenso wurden Ehen durch Mitgift und Morgengabe und Bündnisse zwischen Sippen und Stämmen durch den Austausch von Geschenken besiegelt. Verwandte brachten bei Besuchen Geschenke mit und erhielten welche, Freunde, die nicht verwandt waren, tauschten Geschenke aus, und Blutsbrüder festigten ihren Bund auch durch ein Geschenk.
Die Bedeutung von Geschenken ging so weit, dass Männer, die sie einander gegeben hatten, zueinander nicht mehr „frei“ standen, das heißt sie durften einander nicht mehr schaden. Der Gabentausch hatte zwischen ihnen Frieden geschaffen, denn mit dem Geschenk geht vom einen zum anderen auch das Heil über, das jemand hat und das allen Dingen anhaftet, die von ihm kommen, zumindest allen bedeutenden. Man gibt damit nicht bloße Gegenstände, sondern einen Teil von sich selbst, ja sogar vom Wichtigsten, das man hat.
Deshalb hat es eine tiefe Bedeutung, wenn man das Opfer als ein Geschenk an die Götter definiert. Aus dem Geist der germanischen Kultur verstanden, bedeutet das sehr viel mehr als alle denkbaren anderen Deutungen. Es ist eine Bindung zwischen Göttern und Menschen, die unsere Verwandtschaft und Freundschaft immer wieder erneuert und mehr und mehr stärkt, und es ist ein Fluss des Heils, der ihres und unseres zu einem Heil zusammenschweißt.
Êwa – der heilige Vertrag
Dies alles mündet in einer klaren und für unsere Ahnen selbstverständlichen, in allen ihren Erfahrungen auf der Hand liegenden Regel: Götter und Menschen sind durch eine Art von „Recht“ und „Sitte“ verbunden, die auf
Althochdeutsch êwa heißt, ein Begriff, der heute nur noch im Wort „Ehe“ erhalten ist: durch ein Treuebündnis oder, in juristischer Nüchternheit gesagt, einen Vertrag auf Gegenseitigkeit – Gabe und Vergeltung, göttliche Segnungen gegen Opferpflicht. Ja, richtig: Pflicht.
Das wird nicht immer gern gehört. Viele, die mit der Zuwendung zum Heidentum auch das befreiende Gefühl verbinden, den Geboten und Verboten einer autoritären Religion entronnen zu sein, wollen es lieber als unverbindliches Angebot sehen, in dem man Rituale aus vielerlei Gründen durchführen kann, aber nicht muss. Alle diese Gründe haben ihre Berechtigung und machen einen wichtigen Teil des Werts aus, den Rituale für den einzelnen haben. Wenn wir die Religion unserer Ahnen aber wirklich seriös und authentisch in ihrem Geist wiederbeleben möchten, muss uns klar sein, dass für sie die Verehrung der Götter neben allen Erfahrungen, Reifungsprozessen und handfesten Vorteilen, die sie bringt, auch und vor allem eine heilige Pflicht war.
Die Götter haben unsere Welt geordnet und uns mit Leben und Geist erfüllt, sie schützen und leiten uns, geben uns Wachstum und Fruchtbarkeit, Erfolg und viele andere Segnungen. Es ist nur recht und billig, sie dafür zu ehren und ihnen mit Gebeten und Opfern Dankbarkeit und Treue zu zeigen – für germanisches Denken Ehrensache: Man opfert den Göttern auch, um sich ihnen als ehrenhafter Mensch und als eine Gemeinschaft zu zeigen, die Ehre besitzt und des Heils, das sie gewähren, würdig ist.
Die êwa erfordert es, dass die Gemeinschaft als Ganzes und jeder nach seinen Möglichkeiten den Göttern die Ehre erweist, die ihnen gebührt. Das ist der heilige Vertrag, der zwischen ihnen und unseren Ahnen bestand und den jeder, der sich dem germanischen Heidentum zuwendet, von Neuem schließt. Es ist auch alles, was die Götter von uns verbindlich erwarten. Sie fordern weder, dass wir bestimmte Dinge über sie glauben, noch dass wir ihnen gehorchen und unser Leben in ihren Dienst stellen. Was wir von ihnen lernen, wie wir uns spirituell und persönlich entwickeln, wie tief wir in ihre Geheimnisse eindringen, welche Fertigkeiten und Kräfte wir entfalten und manches andere, was für den einzelnen in seiner heidnischen Praxis noch alles Bedeutung hat, ist seine eigene Sache. Die Götter selbst verlangen nur, dass wir sie gebührend verehren.
Der heilige Platz
Tacitus rühmt an den Germanen seiner Zeit, dass sie es „unter der Würde der Himmlischen finden, sie in Wänden einzuschließen“, und nennt als Kultplätze luca ac nemora, Wälder und Haine. Zahlreiche Ortsnamen in Deutschland, England und Skandinavien, die auf -loh, -low, -lund oder ähnlich enden, lassen sich auf sie zurückführen. Archäologisch sind Kulthaine schwer auszumachen. Viel besser erforscht sind Opfermoore wie das berühmte Thorsberger Moor bei Schleswig oder Oberdorla in Thüringen. Feste Kultgebäude gab es aber ebenfalls. Schon für das dritte Jahrhundert ist in der Siedlung auf der Feddersen Wierde in Niedersachsen eine Halle nachweisbar, die auch für Kultversammlungen diente. In Skandinavien entwickelte sich daraus der als hof (mit sächlichem Geschlecht) bekannte „Tempel“-Typ der Wikingerzeit, der aus einer Blóthalle mit angebautem Altarraum bestand.
Wenn historische Quellen, teilweise sogar Tacitus selbst, von germanischen Tempeln berichten, konnte es sich allenfalls um solche Hallen, aber nicht um Götterschreine im römischen Sinn handeln, obwohl es in römisch beherrschten Gebieten auch das gab. Das Wort templum muss ja nicht immer ein Gebäude bezeichnen. Rudolf Simek stellt fest, dass es vielfach „wohl ganz allgemein für Heiligtum“ stand, denn noch im 8. und 9. Jahrhundert wurden entsprechende germanischen Wörter wechselnd als „heilige Stätte, heiliger Hain“ oder „Tempel“ glossiert: gotisch alhs, angelsächsisch alh oder ealh und althochdeutsch und altsächsisch alah („geschützter Ort“), das gleichbedeutende angelsächsische bearo und althochdeutsche baro oder paro sowie angelsächsisch heargh und althochdeutsch harug, das dem nordischen hörgr (Altar) entspricht und eine Stätte mit einem Altar beschreibt.
Eine vielsagende