Schuld ohne Reue. Günther Drutschmann

Schuld ohne Reue - Günther Drutschmann


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weißt du das Peter«, fragte Michael erstaunt.

      »Von Hahns Bub, ein Reporter hat es gesehen und es kommt morgen auch in die Zeitung«, antwortete er stolz. Alle hier im Viertel reden davon.

      »Du lieber Himmel«, seufzte Michael und setzte sich auf einen Küchenstuhl.

      »Was ist daran so schlimm«, fragte Anna, »es ist eine große Auszeichnung und du hast die verdient. Wir sind alle stolz auf dich.«

      »Ja schön«, lächelte er müde, »aber so viel Aufwand braucht trotzdem darum nicht gemacht zu werden. Weiß Gott, wer mir heute schon alles die Hand gedrückt oder auf die Schulter geklopft hat.«

      »Es ist eine große Auszeichnung und sicher hilft es dir auch beruflich.«

      »Papa ist der Kaiser ein großer Mann«, fragte Peter neugierig. »Wir haben im Kindergarten ein Lied gelernt. Der Kaiser ist ein großer Mann und wohnet in Berlin.« Er sang einige Noten dazu.

      »Natürlich ist er das, eine imposante Erscheinung, ein wichtiger Mann, er kommt gleich hinter Gott«, mahnte der Vater.« Und wir müssen ihm immer gehorchen.«

      Anna trug das Abendessen auf. Michael hatte nicht mehr viel Hunger, das Bankett lag noch hinter ihm. Er aß nur eine Kleinigkeit und unterhielt sich in sehr entspannter Art und Weise mit Anna und den Kindern. Solch eine entspannte Atmosphäre herrschte selten bei Tisch. Heute kam er sogar mit Minchen gut aus und hatte nichts an ihr und auch den anderen Kindern auszusetzen. Die Kinder genossen es und wurden ganz fröhlich dabei.

      Später brachte Anna sie ins Bett und danach saß sie mit Michael noch einige Zeit im Wohnzimmer. Sie ließen die Bilder des Tages an sich vorbei ziehen, Michael erzählte intensiv die ganze Geschichte aufs Neue und zum Schluss freuten sie sich über den schönen und gelungenen Tag.

      Der nächste Tag brachte weitere Aufregungen. Im Treppenhaus traf Michael seinen Nachbar Silberstein. Dieser grüßte wie immer sehr freundlich, und nachdem sie ihre Hüte gelüftet hatten meinte dieser.

      »Was hört man da, Sie sind gestern dem Kaiser vorgestellt worden. Kolossal, gratuliere.«

      »Das stimmt Herr Dr. Silberstein, der Kaiser geruhte, mir die Hand zu geben. Das freute mich, denn ich verehre ihn sehr. Aber mehr ist es auch nicht, ich hebe dafür nicht von der Erde ab.«

      »Das glaube ich Ihnen, und so schätze ich Sie auch nicht ein«, lachte Silberstein, «aber vielleicht hilft es Ihrer Postkarriere.«

      »Möglich«, meinte Michael, »möglich ist alles. Ich muss leider weiter Herr Nachbar, die Pflicht ruft, bin schon etwas spät dran.« Und beide verabschiedeten sich sehr artig voneinander. Michael schaute ihm nach. Dieser Winkeladvokat, dieser alte Jud, steht so weit in der Hierarchie über mir, der hat gut reden von Karriere und so. Aber ich habe jetzt keinen Sinn, weiter darüber nachzudenken.

      Dieser Postfritze, sinnierte Silberstein, wurde so geehrt und spielt jetzt den Bescheidenen. Dabei ist so ein Ereignis in seinen Kreisen doch das höchste Glück, diese Kleinbürger und Philister[7].

      Sobald unser Sänger das Postgebäude betrat, wurde er von verschiedenen Kollegen angesprochen, auf die Schulter geklopft und Hände geschüttelt.

      »Mensch Michael, Mensch Trotz hieß es, was für eine Ehre.«

      Kaum hatte er seinen Arbeitsplatz eingenommen, musste er zum Vorsteher, dem gestrengen Postrat. Dieser beglückwünschte und eröffnete ihm zugleich, dass sie beide sofort beim Präsidenten erwartet wurden. Verwirrt folgte er seinem Vorgesetzten in den Olymp der Post. Michael war hier noch nie gewesen und ein Postler seiner Klasse hatte normalerweise auch keinen Zutritt zu diesen heiligen Hallen.

      Der Präsident empfing ihn jovial, schüttelte ihm die Hand und meinte.

      »Das ist eine große Ehre für uns, der Kaiser zeichnete durch Sie auch unsere Postverwaltung aus. Wie lange sind Sie schon dabei und welche Stellung begleiten sie derzeit?«

      »Seit 1904 Herr Präsident«, erwiderte Michael in strammer Haltung, »bisher war ich Postbote, seit zwei Monaten arbeite ich als Praktikant mit dem Ziel des unteren Postdienstes in der Verwaltung.«

      »Herr Trotz ist ein ausgezeichneter Mitarbeiter«, ergänzte der Postrat und der Präsident nickte, »wir beabsichtigen, ihn zum ersten April nächsten Jahren zur Laufbahn zuzulassen und in das Beamtenverhältnis zu übernehmen.«

      »Sehr gut, sehr gut der Mann«, nickte der Präsident noch einmal zustimmend, »tun Sie das und halten Sie mich auf dem laufenden. Unsere Mitarbeiter sind das Aushängeschild der Post. Es ist sehr wichtig, nach außen ein tadelloses Bild abzugeben. Das taten Sie, Herr Trotz, gestern in vorbildlicher Weise. Ich bin sehr stolz auf Sie. Ich denke, Herr Postrat, wir werden die Beförderung unseres Kollegen ins Beamtenverhältnis als Postschaffner etwas beschleunigen. Bitte veranlassen Sie das Notwenige.«

      »Sehr wohl Herr Präsident.«

      Dieser drückte Michael noch einmal die Hand, bot ihm und seinem Postrat eine gute Zigarre an. Danach waren beide entlassen. Stolz und glücklich schritten sie in das Büro des Chefs zurück.

      »Also mein Lieber«, meinte der Postrat, »ich nehme Sie sofort aus dem Telegraphendienst heraus. Sie werden ab heute im Postinnendienst eingesetzt. Wir beginnen mit dem Schalterdienst, Sie werden dort hospitieren und nach einem genau festgelegten Plan verschiedene Stadien durchlaufen. Die Einzelheiten besprechen Sie mit ihrem nächsten Vorgesetzten. Ich führe Sie jetzt zu ihm und werde Sie vorstellen.«

      Wir wollen hier anmerken, dass Michael einen Monat später zum Postschaffner befördert und in das Beamtenverhältnis übernommen wurde.

      Nachdem Michael aus dem Haus war, ordnete Anna wie gewohnt die Wohnung und den Tagesablauf, die Kinder versorgt, die Betten gemacht, auf Anna-Maria gewartet und ihr täglicher Gang in die Geschäfte konnte beginnen.

      Beim Milchmann fiel es Anna zuerst auf. Dieses breite, überfreundliche Lachen, mit dem sie begrüßt wurde. Und alle versuchten, mit ihr in ein Gespräch zu kommen.

      Beim Metzger Werland war es nicht anderes. Man betrachtete sie mit Blicken, als sei sie ein Kalb mit zwei Köpfen. Und wieder dieses vertrauliche Lachen und Zunicken! Irrte sie sich, oder tuschelten die Leute, wenn sie den Laden wieder verließ? Komisch!

      Ach ja, natürlich, die Kaisergeschichte. Es stand in der Zeitung und heute wissen es schon alle Leute in der Straße und im Viertel. Frau Effertz, die Kolonialwarenhändlerin schwatzte sogar, sie hätte gehört, dass große Glück wäre jetzt bei ihnen eingekehrt.

      »Sicher«, antwortete Anna trocken, »es war eine große Ehre für meinen Mann. Aber das ist auch schon alles.« Und machte, dass sie schnell aus dem Laden kam.

      »Mensch Anna-Maria«, seufzte Anna später in der Wohnung, »was hat mein Michael nur da angerichtet. Überall wurde ich darauf angesprochen oder angeschaut. Als ob wir Gold gefunden hätten.«

      »Papa redete gestern Abend auch von nichts anderem mehr. Es traf sie halt hart und die Ehre machte sie fertig.«

      »So sind die Männer«, seufzte Anna noch einmal, »habens immer mit ihrer Ehre. Und gerade mein Michael und sein geliebter Kaiser. Und nun gab der ihm auch noch die Hand. Das verkraftet er kaum. Andererseits wird es ihm bei der Post von Nutzen sein, da bin ich mir sicher.«

      »Eben«, bestätigte die Schwester, »und das ist doch das Wichtigste.«

      »Anna, du bist am gleichen Tag geboren wie der Kaiser, am siebenundzwanzigsten Januar. Vielleicht hat Michael dich nur deshalb geheiratet«, scherzte Anna-Maria.

      »Er vergisst auf jeden Fall nie meinen Geburtstag«, lachte Anna, »aber er heiratete mich schon aus Liebe, auch wenn die Männer über diese Gefühle nicht reden.«

      »Liebst du ihn immer noch«, fragte Anna-Maria spontan.

      »Natürlich, er ist ein guter Mann, auch wenn er ein Hautkopf ist, einen besseren hätte ich nicht finden können.«

      2.


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