Schuld ohne Reue. Günther Drutschmann

Schuld ohne Reue - Günther Drutschmann


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saßen sie auf verschiedenen Stufen und waren zufrieden mit ihrem Los. Dass sie politisch nichts zu sagen hatten, störte sie nicht. Sie sahen diese Ordnung als gottgegeben an und lebten in der Überzeugung, dass in Berlin schon das Richtige gemacht werde. Der Politik, die das Kaiserreich in den letzten Jahren steuerte, stimmten sie zu. Auf die Arbeiterschaft und die Sozialdemokratie sahen sie herablassend, diese standen außerhalb des Gesellschaftssystems. Der Glanz und das Gloria des preußischen Militärsystem, dieses absoluten Obrigkeitssystem, das keinen Widerspruch duldete, wurde von ihnen mitgetragen, kritiklos hingenommen. Sie gehorchten gerne, war dieser Gehorsam doch mit solch schönen Attributen wie Ehre und Vaterland, mit blinkenden Uniformen und schillernder Wehr, mit schönen Orden, Fahnen und Glockenklang versüßt. Jeder hatte seinen Platz und so gut es geht auszufüllen. Sie hielten diese Ordnung für unerschütterlich und sie selbst Garanten dieser Stabilität. Das diese Ordnung im Inneren brüchig war, sahen sie nicht, dass in Berlin ein gefährlicher außenpolitischer Kurs der Isolation gesteuert wurde, bemerkten sie ebenfalls nicht.

      Alle Reformversuche der letzten Jahre wurden von einer ultrakonservativen Adelskaste verhindert. Reichskanzler von Bethmann-Holweg hatte ernsthaft versucht, liberalere Töne in die Gesellschaft zu bringen, so zum Beispiel die Abschaffung des Drei-Klassenwahlrechts in Preußen. Alles vergebens, die ultrakonservativen Kräfte wussten jeden noch so kleinen Absatz zu verhindern.

      Es gibt ein schönes Bild aus jenen Tagen. Es zeigt den Kaiser mit seinen Söhnen auf dem Weg zum Kirchgang. Es liegt so viel Aufgeblasenheit und Arroganz in diesem Bild, schaut, uns gehört Deutschland, wir haben hier das Sagen und können machen was wir wollen. Unsere Postler an den Tischen an jenem Abend trugen dieses System mit und gaben ihm Halt und Stabilität. Um welchen Preis, das sollte sich noch zeigen.

      Worüber sprechen Männer am Stammtisch. Natürlich über Politik und nachdem Michaels Postkarriere abgehandelt war, widmete sie sich diesem Thema.

      »Hast du das in der Zeitung über Zabern gelesen«, fügte Michaels Tischnachbar Karl an. »Merkwürdige Geschichte, ein junger Leutnant macht jagt auf die Elsässer und das Militär deckt das.«

      »Bei uns steht das Militär über allem«, erwiderte Michael, »da gibt es nichts zu deuteln. Wo kommen wir dahin, wenn wir uns von den Wackesen beleidigen lassen.«

      Die anderen nickten.

      »Das Ganze wird von der Linkspresse aufgebauscht, so wie damals die Geschichte dieses ulkigen Hauptmannes von Köpenick«, warf Bernhard in die Runde. »Elsass-Lothringen ist Reichsland und die Wackesen haben sich unseren Gebräuchen zu fügen.«

      »Jetzt wollen sie auch noch dem Reichskanzler ans Zeug«, meinte Sangesbruder Paul.« Das sind alles diese Sozis. Was heißt hier das zivile Rechte verletzt wurden. Dieser Schuster beleidigte das Militär und da mussten die draufschlagen. Soll ja auch der Kronprinz in einem Telegramm gesagt haben.«

      »Dafür bekommen aber jetzt einige Postler Schwierigkeiten, die das an die Presse weitergegeben haben. Ein unerhörter Vorgang, wo bleibt das Amtsgeheimnis«, ereiferte sich Karl.

      »Ich sagte doch, es ist eine Hetzkampagne der Linkspresse«, meinte Bernhard.

      »Der Reichskanzler ist mir sowieso viel zu weich, zu liberal«, sagte Michael und zog an seiner Zigarre, »will Reformen und das Ständerecht in Preußen ändern. Was soll das. Jeder auf seinem Platz, das ist meine Meinung. Und ansonsten, jeder der gedient hat weiß, dass ein Befehl vor Gewehr absoluten Vorrang hat. Wenn dieser Wackes den Leutnant auslachte, beleidigte er unseren Kaiser und da war es nur richtig, dass er eines aufs Maul bekam. Wer sich jetzt aufregt sind die Hungerleider und vaterlandslosen Gesellen.«

      Die Runde nickte zustimmend. Der Wirt brachte frisches Bier und Viez.

      Michael ergriff wieder das Wort.

      »Was heißt hier, wir haben nichts zu sagen. Was soll das. Schaut euch Frankreich an, eine sogenannte Republik. Haben da die kleinen Leute mehr zu sagen? Dort wird auch alles von oben entscheiden. Und was für Entscheidungen, denkt mal an die Gesetze der Trennung von Kirche und Staat oder die Dreyfuss-Affäre[5]. Hier wurde vom Militär, also von den eigenen Leuten, ein Hauptmann verleumdet. Dieses Unrecht wurde bis in die höchsten Kreise gedeckt. Das ist für mich Anarchie.«

      »Der Mann war zudem Jude«, warf ein Sangesbruder ein.

      »Jude oder nicht«, konterte Michael, »das ist nicht das Hauptproblem. Sondern die offensichtliche Deckung eines Justizskandals. Bei uns in Preußen gibt es gar kein Unrecht, hier geht alles seinen ordentlichen Gang. Und diese Wackesen haben unseren Leutnant beleidigt und bekamen eines aufs Maul.«

      »Aber auch in großbürgerlichen Kreisen regt sich Widerstand«, bemerkte Bernhard.

      »Diese Geldsäcke glauben, mitreden zu müssen, nur weil sie so viel Geld haben. Bei uns regiert die durch Tradition und Stand gewachsene Obrigkeit, es zählt nicht der Reichtum, sondern die gesellschaftliche Stellung. Und das ist gut so, nur weil einer Geld hat, hat er noch lange keinen Anspruch auf politische Macht«, erhitzte sich Michael.

      »Rege dich nicht auf Michel«, nahm Friedrich das Wort. »du hast ja Recht. Das sind Wichtigtuer, die glauben, jetzt draufschlagen zu können und dem Kaiser und der Regierung zu schaden. Das sind diese Zeitungsfritzen, die immer Stimmung machen wollen.«

      Sangesbruder Friedrich war ein schweigsamer Mensch und da er jetzt sprach, hörten ihm alle mit großer Aufmerksamkeit zu. Zudem hatte er eine höhere Stellung, war Oberpostsekretär und das zählte etwas in der Runde.

      »Richtig Friedrich«, pflichtete Michael ihm bei. »Ich lasse auf unseren Kaiser nichts kommen. Er ist mein Vorbild und was er sagt, ist für mich Gesetzt. Für uns alle, die dem Staat dienen. Wir alle haben gedient und beim Militär Disziplin und Gehorsam gelernt. Das hat Preußen großgemacht. Und wenn es mal losgeht, werden wir es ihnen allen zeigen, vor allem wegen unserer Disziplin. So erziehe ich auch meine Kinder. In der Kinderstube muss die gleiche Ordnung herrschen wie auf dem Kasernenhof.«

      »Das es in Preußen kein Unrecht gibt, ich weiß nicht, gerade du Michael müsstest das doch wissen, als Mitglied der Marianischen Bürgersolidarität[6]. Diese Schikanen der protestantischen Obrigkeit gegen uns katholische Rheinländer. Denk mal an die Fronleichnamsprozessionen, die immer wieder von der Stadtverwaltung schikaniert werden«, nahm Karl das Wort.

      »Das sind alte Kulturkampfgeschichten, heute ist das anders. Ich kann Glaube und Staat sehr gut miteinander vereinbaren. Ich gehorche Gott und der gottgegebenen Obrigkeit, und Kaiser wie Papst repräsentieren diese für mich. Aber ich sage es noch einmal, auf den Kaiser lasse ich nichts kommen«, entgegnete Michael.

      »Leute, trinken wir aus, es ist schon spät«, mahnte Bernhard.

      »Diese Pensionäre«, lachte Karl, »haben die meiste Zeit und mahnen zur Eile.«

      »Ein Pensionär lieber Karl, hat niemals Zeit«, schmunzelte Bernhard.

      »Aber du hast Recht«, meinte Karl,« es wird Zeit, morgen ist wieder früh Tag.«

      Wir wollen uns nun einem Ereignis zuwenden, dass die Trierer 1913 beschäftigte. Die Stadt entschloss sich zum Bau einer zweiten Moselbrücke, die Ende Oktober fertiggestellt wurde. Die Stadtverordneten einigten sich auf den Namen »Kaiser-Wilhelm-Brücke«. Nicht zuletzt sah man darin eine Möglichkeit, den Kaiser zu einem offiziellen Besuch nach Trier zu locken.

      Und tatsächlich: Am vierzehnten Oktober 1913 gab sich Wilhelm II. die Ehre und weihte die nach ihm benannte Brücke ein. Es war ein außerordentlicher Tag für die ganze Stadt. "Die Simeonstraße und der Hauptmarkt waren eine einzige via triumphales", notierte ein euphorisch gestimmter Zeitzeuge. "Die Häuser im Girlandenschmuck, mit Teppichen, Wappen, Kränzen, Blumen reich geschmückt, mit Fahnen und Wimpeln geziert, vollendeten ein Bild, wie es schöner und erhebender wohl selten dem kaiserlichen Herrn geboten wird."

      Als der Zug Wilhelms um halbzehn Uhr eintraf, läuteten in der ganzen Stadt die Kirchenglocken. Nachdem er das Band durchschnitten hatte, schritt der Kaiser zusammen mit Oberbürgermeister Albert von Bruchhausen und umrahmt von einem Spalier zylinderschwenkender Honoratioren


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