Schuld ohne Reue. Günther Drutschmann

Schuld ohne Reue - Günther Drutschmann


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Murren ins Bett. Minchen war inzwischen eingeschlafen, ihre geschlagenen Wangen glühten.

      Anna schaute noch einmal nach dem kleinen Franz und kehrte in die Küche zurück.

      Michael hatte es sich auf dem kleinen Küchensofa bequem gemacht und rauchte eine Zigarre. Er sah in die Zeitung, las aber nicht. Er wusste, dass Anna mit dem Geschehenen nicht einverstanden war.

      Diese begann abzuwaschen. Er hörte das Geräusch von klappernder, im Wasser versinkender, blubbernder Tellern und Schüsseln.

      »Nun Anna«, sagte er plötzlich, »was war heute Abend wieder hier los. Keine Disziplin, mein Vater hätte solch ein Verhalten bei uns Kindern nicht geduldet. Was Minchen da sagte ist Meuterei. Wo kommen wir da hin, wenn wir solch ein Verhalten durchgehen lassen.«

      »Du hast ja Recht«, sagte Anna, »aber musst du das Kind derart durchprügeln. Glaubst du, damit ihren Trotz zu brechen?«

      »Mein Vater«, begann Michael wieder, wurde aber von Anna sofort unterbrochen. »Dein Vater war ein Bauer und drosch mit dem Dreschflegel auf euch Kinder. Ihr habt zu sechsen oder achten um den Tisch gesessen und aus einer Schüssel gegessen, während die Hühner unter dem Tisch herumliefen. Hier und heute ist das anders. Wir sind in der Stadt und da herrschen andere Regeln. Wir wohnen in einem gutbürgerlichen Haus. Was denken Silberseins unten von uns, wenn sie die Kinder schreien hören.«

      »Die schlagen auch ihre Kinder«, entgegnete Michael trotzig.

      »Das tun sie nicht«, erwiderte Anna. »Erst kürzlich sprach ich mit Frau Silberstein über das Thema. Ihr Mann schlägt die Kinder nicht und ist gegen Prügel in der Kindererziehung.«

      »Das können sich bessere Leute leisten, einen gewissen Liberalismus«, sagte Michael trotzig.

      »Wir sind auch keine Muschkoten oder Bauerntrottel. Du bist königlich preußischer Beamtenanwärter, steht kurz vor dem Aufstieg in eine gesicherte Beamtenkarriere. Außerdem bist du kein gefühlloser Mensch, aber ihr Männer mit eurer Ehre. Ich will nicht, das unsere Kinder zu hirnlosen Untertanen des Kaisers erzogen werden.«

      »Hast du das auch von dieser Silberstein. Wir sind eine christliche Familie und ich behandele meine Kinder in der christlichen Tradition meiner Familie. Diese Juden können sich ein Außenseitertum leisten, wir nicht.«

      »Was hat das Judentum mit der Erziehung zu tun?«, fragte Anna, »Sie sind gute Deutsche wie wir auch. Er ist Rechtsanwalt und Oberleutnant der Reserve. Worin unterscheidet sich seine Bürgerlichkeit von der Unseren?«

      »Eben das es Juden sind, die sich immer abgegrenzt haben. Ihnen fehlen unsere christlichen Werte und daher können sie sich manches leisten, was wir nicht können. Außerdem sind sie steinreich.«

      Michael zog erregt an seiner Zigarre.

      »Eine Frau hat zu gehorchen und keine eigene Meinung zu haben. Dein Platz ist in der Küche, der Kirche und bei den Kindern. Diese hast du im christlichen Geist zu erziehen nach den Prinzipien, die in Preußen Gültigkeit haben und nicht in Jerusalem. Unser Staat ist aufgebaut auf Befehl und Gehorsam, wie beim Militär. Wir alle haben zu gehorchen, und der Gehorsam beginnt in der kleinsten Zelle der Gesellschaft, in der Familie. Wir haben zu gehorchen und nicht zu fragen. Und das hast du unseren Kindern beizubringen, damit sie gute Untertanen des Kaisers werden und den Platz in der Gesellschaft einnehmen, der ihnen von Gott zugewiesen ist.«

      Anna hielt einen Augenblick innen, dann meinte sie.

      »Ich kenne meinen Platz und habe auch nichts dagegen. Ich kümmere mich gerne um die Kinder, die Küche und gehe gerne in die Kirche. Dein Vater hat deine Mutter noch durchgeprügelt, wenn sie nicht gehorchte. Aber das, lieber Michael, ist bei uns vorbei. Deine Mutter hatte keine eigene Meinung, ich habe sie schon und ich vertrete sie auch. Da lasse ich mir von dir nicht den Mund verbieten. Und solltest du mich einmal schlagen, verlasse ich sofort mit den Kindern die Wohnung.«

      Michael merkte, dass Anna nun wirklich böse war. Auch wenn er ein harter Bauernschädel war, er liebte seine Frau und wollte sie nicht verlieren. Außerdem hatte er sich nach Trotzen Art schon wieder beruhigt.

      »Reg dich nicht auf«, Anna, meinte er begütigend, »natürlich werde ich dich nie schlagen. Wo denkst du hin.«

      »Das will ich auch hoffen«, entgegnete sie nun etwas milder gestimmt. Michael stand auf und gab ihr einen Kuss. »Lassen wir es erst einmal dabei bewenden. Ich springe schnell zum Alex herüber und hole mir einen Krug Viez (Apfelwein) und wir machen uns einen gemütlichen Abend.«

      Anna nickte.

      Als Michael nach kurzer Zeit von der winzig kleinen Kneipe ihrem Haus gegenüber zurückkehrte, saß sie schon im Wohnzimmer, einem mittelgroßen Raum. Als Tempel der Bürgerlichkeit war hier alle Anstrengung in der Einrichtung konzentriert worden. Ein längliches niederes Buffet stand an einer Wand, ein Esstisch mit den entsprechenden Stühlen, ein schönbezogenes Sofa mit einem kleinen Tisch davor und zwei Sesseln mit einer Stehlampe. Das Haus war seit einiger Zeit mit elektrischem Strom ausgestattet. Eine Nähmaschine stand am Fenster, das mit sehr schönen Gardinen ausgestattet war. Am Boden ein hübscher Teppich. Alles sehr sauber und mit viel Geschmack eingerichtet. An einer Wand hing ein Bild des Kaisers in großer Uniform mit Helm, daneben ein Bild, das einen schönen Sonnenblumenstrauß darstellte. An der anderen Wandseite tickte eine schöne Wanduhr. Auf dem Wohnzimmertisch lag eine schöne Decke und in der Mitte ein schöner Blumenstrauß.

      Michael stellte den kleinen Krug auf den Beitisch und schenkte sich ein Glas Viez ein. Dann setzte er sich auf das Sofa direkt unter seinem obersten Kriegsherrn und zündete sich eine Zigarre an. Genüsslich zog er daran und trank einen Schluck Viez dazu. Die Nähmaschine ratterte. Anna nähte alles für die ganze Familie, sie kleidete alle sehr gut ein. Sie nähte auch für andere Leute, Silbersteins unten zum Beispiel und alle lobten ihre ausgezeichnete Arbeit.

      Sie ist eine gute Frau, dachte Michael, wenn auch etwas aufmüpfig. Aber da werde ich sie nicht mehr ändern können. Trotzdem bin ich sehr zufrieden, eine bessere hätte ich nicht bekommen können.

      Er ist ein guter Mann, trotz seines Temperaments und Dickkopfs, dachte Anna, meines ist auch nicht ohne. Und schlagen würde er mich nie, das weiß ich. Da ist er anders wie sein Vater. Einen besseren Mann als ihn hätte ich nicht bekommen können. Er sorgt für die Familie und treibt sich nicht in Kneipen herum, wie das bei vielen der Fall ist. Außerdem ist er ehrgeizig, er wird es noch zu etwas bringen.

      Michael nahm den Paulinus, das Bistumsblatt der Diözese und begann, darin zu lesen. Die Nähmaschine ratterte fröhlich, der Zigarrenrauch stieg an die Decke und die Atmosphäre wurde friedlich und entspannt. Ein schönes Bild zum Ausklang des Tages.

      Am nächsten Morgen musste Michael früh zum Dienst. Anna wartete mit den Kindern, bis Michael fertig war und in seiner schmucken Postuniform von dannen zog. Danach machte sie die Kinder fertig und unter Führung von Peter wanderten sie in den nahegelegenen Kindergarten. Solche Aufgaben konnte man dem fünfjährigen Jungen mit ruhigem Gewissen anvertrauen. Mine hatte sich wieder beruhigt und folgte willig ihrem Bruder. Anna ermahnte sie nochmals, recht brav zu sein. »Ob es viel helfen wird?«, sagte Anna.

      Anschließend kümmerte sie sich um den kleinen Franz, danach räumte sie die Wohnung auf. Es klingelte und Annas jüngere Schwester trat ein. Anna hatte noch zwei Schwestern und bei der Namensgebung wendeten die Eltern ein einfaches Prinzip an: die Älteste hieß Maria, die Mittlere unsere Anna, und die Jüngste Anna-Maria. So mussten sich die Eltern nicht viele Namen merken.

      Anna-Maria war noch unverheiratet und unterstützte ihre Schwester etwas im Haushalt. Anna nahm den Korb und machte sich auf ihre Einkaufstour. Alle Geschäfte, die sie täglich aufsuchte, lagen im Viertel und nicht weit von der Wohnung entfernt. Zudem lag die Metzelstraße ganz nahe am Stadtzentrum.

      Zuerst zum Bäcker Becker am Kirchenplatz, der sehr gutes Brot und Brötchen buk. Sie überquerte den Justizplatz, auf der rechten Seite lag das Verlagsgebäude der Trierischen Zeitung, ihm gegenüber das Justizgebäude. Das Schwarzbrot des Bäckers war stadtbekannt und er hütete das Rezept wie sein Augapfel. Anna schwatze etwas


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