Schuld ohne Reue. Günther Drutschmann
hatte. Dieser nahm ihn auf das Geschäftszimmer und machte ihn auf seine Fähigkeiten aufmerksam. Gerne hätten sein Hauptmann und der Spieß ihn beim Regiment behalten, Michael stellte ob seiner stattlichen Statur etwas dar, war der Flügelmann der Kompanie und bei allen gut gelitten. Er war gerne Soldat und ein ausgezeichneter dazu. Wenn sich Michael auch beim Militär wohlfühlte, als guter Deutscher musste er gedient haben, er wollte aufsteigen. Und so liebte er es doch nicht so sehr, um dort zu bleiben. Der Spieß gab ihm aber den Tipp, sich nach der Dienstzeit bei einer Behörde zu bewerben und schlug ihm den Postdienst vor. Dort wurden Briefträger gesucht und er hatte die Chance, beruflich aufzusteigen, wenn er ehrgeizig und fleißig war. Michael nahm diese Gelegenheit wahr und bewarb sich zum Ende seiner Militärzeit. Aufgrund der hervorragenden Dienstzeugnisse, das ihm sein Kompaniechef ausstellte, wurde er sofort angenommen. Jetzt versah er seit vier Jahren diesen Dienst und seine Vorgesetzten hielten ihm alle Aufstiegsoptionen offen. Da er aber ein ausgezeichneter Arbeiter war, wollte ihn sein Chef nicht so schnell verlieren und vertröstete ihn immer wieder, um ihn so lange wie möglich halten zu können.
Nachdem Michael seine Posttasche sortiert hatte, schwatzte er noch etwas mit einem Kollegen, mit dem er zusammen im Postmännerchor war und zog dann los. Unterwegs kam er ins Grübeln, der Hauptmann von Köpenick beschäftigte ihn immer noch und was er mit Anna geredet hatte. Dieser komische Hauptmann untergräbt die Säulen der Gesellschaft, ging es ihm durch den Kopf, ein vaterlandsloser Geselle, der seinen Platz nicht kennt. Ich kenne den meinen und werde ihn ausbauen. Der Staat und seine Grundsätze sind mir heilig. Ich habe in den letzten Jahren viel erreicht und das ist noch nicht das Ende. Ich komme doch aus ganz kleinen bäuerlichen Verhältnissen, meine Eltern waren gottesfürchtig und streng katholisch, mein Vater hart und unbarmherzig. Aber große Rosinen im Kopf hatten sie nicht. Bauer sollte ich werden, obwohl der Lehrer in der Schule meinen Eltern sagte, ich habe einen guten Kopf zum Studieren. Undenkbar für meinen Vater, ein Studierter in der Familie, das ging über seinen Horizont, außerdem waren wir viel zu arm, um es bezahlten zu können.
Nach vielen hin und her und einiger Tracht Prügel erreichte ich immerhin, nicht Bauer werden zu müssen, sondern eine Lehre bei der Unionbrauerei als Küfer machen zu dürfen. Eigentlich bin ich handwerklich eine Niete, aber mein Fleiß und die Gewissenhaftigkeit meiner Arbeit verdeckten dieses Defizit. Natürlich hätte ich viel lieber eine kaufmännische Lehre gemacht, aber Vater lehnte das entschieden ab. Sein Wort war Gesetz für uns.
Wie erging es meinem jüngeren Bruder Johann? Er war sehr musikalisch und was musste er werden? Bauer! Obwohl er noch mehr zwei linke Hände hat wie ich. Immerhin erbarmte sich der Organist unserer Kirche und brachte ihm das Notenlesen und Orgelspielen bei. Jetzt ist er Aushilfsorganist und macht das lieber als die Landwirtschaft.
Michael verteilte einige Briefe und redete mit den Leuten, die ihn gerne mochten. Sie schätzten seine Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit. Zwar flößte er in der Uniform den Leuten Respekt ein und das gerade war es, was seine Ausstrahlung ausmachte, die imposante Gestalt und der freundliche Charakter.
Ich habe es richtig gemacht, auf den Spieß zu hören. Und mit Anna habe ich eine gute Frau gefunden, mit ihr kann man ein Leben aufbauen. Nur ihre Ideen zur Kindererziehung passen mir nicht. Das sind die Stadtleute mit ihren Idees. Aber hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Von den Kindern verlange ich das, was der Staat auch von mir verlangt, Gehorsam und Disziplin. Ich werde wie mein Vater sein, streng und unerbittlich, keinen Widerspruch duldend. Ein Kind hat keinen eigenen Willen zu haben, es muss das tun, was die Eltern von ihm verlangen. Das werde ich meinen Kindern einbläuen und wenn es sein muss auch einprügeln. Außerdem Respekt vor meiner Person. Das werde ich von ihnen und meinem Umfeld einfordern. Trotz meiner an sich großen Gutmütigkeit bin ich ein harter Mann. Es verhindert, im Leben für dumm verkauft zu werden. Gutheit wird immer als Schwäche ausgelegt. Was ich erreicht habe, lasse ich mir nicht mehr nehmen, von niemandem. Wir haben eine schöne Drei-Zimmer-Wohnung, die Anna tipp topp hält. Natürlich verdiene ich als Briefträger nicht die Welt, als Bierbrauer hätte ich mehr verdient. Aber ich denke an die Zukunft. Mit tausendfünfhundert Mark im Jahr muss man haushalten, und das kann meine Anna. Als Schneiderin verdient sie noch etwas dazu, so dass wir gut über die Runden kommen. Große Sprünge sind nicht drin, es reicht für ein bescheidenes Glück.
2.
Albert arbeitete den ganzen Nachmittag in Graf Galens Studierzimmer an den Bücherregalen. Dieses Zimmer war recht groß, die Regale gingen bis zur Decke und waren mit Büchern bestückt. Albert liebte Bücher und schaute ab und zu in eines hinein, wenn er eine kleine Pause machte. In der Mitte des Raumes stand ein großer Schreibtisch nebst Stühlen. An einer Wandseite sah man ein Sofa mit einem kleinen Tisch und zwei schönen Sesseln. Das gab dem Raum eine gewisse Gemütlichkeit und nahm ihm die Strenge. Neben dem Sofa korrespondierte ein großer Ofen, der den Raum im Winter schön heizte. Der Boden war mit Teppichen ausgelegt. Auf dem kleinen Tisch gruppierte sich ein großer Aschenbecher und eine Zigarrentasche, der Graf rauchte leidenschaftlich gerne. Auf einer kleiner Kredenze daneben fand sich eine Karaffe mit Cognac nebst einiger Flaschen Weins und Gläsern.
Nach dem Abendessen und der Abendandacht ging Albert wieder in das Studierzimmer, um seine Arbeit zu vollenden. Er war ein sehr gewissenhafter Arbeiter, der nichts unverrichtet hinterließ. Er hasste es, halbe Sachen zu machen und war ein Ästhet der Perfektion. Seine Arbeitgeber und Graf Galen schätzten seine hervorragende Schreinerarbeit und so hatte er immer genug zu tun. Mit den anderen Kolpingbrüdern hielt er nur losen Kontakt. Er hasste das Herumlungern in Kneipen und den Alkohol. Er ließ sich dort so gut wie nie sehen. Natürlich trank er auch gerne einmal ein Glas Wein oder Bier, aber immer sehr mäßig, ja fast schon spartanisch. Überhaupt lebte er sehr genügsam, war äußerst sparsam in allen Bereichen, bescheiden und bedürfnislos.
Graf Galen betrat plötzlich den Raum und sah verwundert, dass er noch arbeitete.
»Albert, immer noch an der Arbeit«, fragte er. »Das hat doch noch bis morgen Zeit.«
»Ich lasse ungern eine Arbeit unvollendet zurück«, entgegnete dieser. »Aber ich bin jetzt fast fertig. Ich habe die Stützen verstärkt, jetzt kann nur ein Erdbeben die Regale umwerfen.«
»Was bin ich dir schuldig, mein Freund«, meinte Galen.
»Nichts«, entgegnete Albert ruhig.
»Das geht so nicht Albert. Du hast den ganzen Nachmittag hier gearbeitet und verdienst einen Lohn.«
»Ich möchte aber nichts haben«, behaarte dieser.« Sie helfen mir immer bei meinen Studien und verlangen auch nichts dafür. Die Arbeit ist meine Gegenleistung.«
Galen lächelte, er konnte Albert wirklich sehr gut leiden. »Dann setz dich wenigsten hier auf das Sofa und wir unterhalten uns ein bisschen bei einem guten Tropfen. Ich unterhalte mich gerne mit dir. Du bist ein wirklich intelligenter Mensch, es ist ein Jammer, dass du nicht studieren konntest.«
Galen schenkte Albert und sich ein Glas guten Moselweins ein, für den er eine besondere Vorliebe hatte. Dann nahm er eine Zigarre und begann umständlich, sie anzuzünden und zu rauchen. Genüsslich blies er den Rauch in die Luft.
Albert lächelte und trank einen Schluck Wein, nachdem er sich bedankt und mit dem Grafen angestoßen hatte.
»Ich wäre gerne Lehrer geworden, aber das war in meiner Familie nicht möglich. Ich komme aus einem kleinen Nest in Schlesien. Mein Vater war ein harter Mann, wir wurden sehr streng erzogen. Widerspruch duldete er nicht und Prügel gab es reichlich, mehr als zu Essen. Wir waren sechs Geschwister, als 1893 mein Vater starb und zu dieser Zeit war die Mutter auch schon krank. Unsere kleine Landwirtschaft war hochverschuldet. Der Vater war nämlich Handelsjuden in die Hände gefallen, die Geld zu Wucherzinsen verliehen. So kam er aus den Schulden nicht heraus.«
Galen nickte und meinte: »Es war eine arme und schlimme Zeit. Diese Juden haben viele ins Unglück gebracht.«
Albert lächelte und meinte: »Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, Sie sind ein guter Mensch und schauen nicht herablassend auf uns arme Leute. Aber Sie tragen einen feinen Rock und kennen die Armut nicht wirklich. Und diese Handelsjuden sind Halsabschneider, außerdem haben die Juden unseren Herrn