Die große Geldentwertung. Adam Baratta
Amerikas« angepriesen hatte, schlug der Präsident der Vereinigten Staaten vor, dass das Finanzministerium jedem amerikanischen Bürger einen Scheck über 1000 Dollar ausstellen und die Steuertermine auf unbestimmte Zeit verschieben solle. Innerhalb von zwei Wochen wechselte das Land vom Kapitalismus zum Sozialismus. Allein diese Verordnung würde im Fall einer Zustimmung bedeuten, dass die Staatskasse eine Billion Dollar in Form direkter Zahlungen aufbringen musste. Außerdem würden ihr die 400 Milliarden Dollar Steuereinnahmen fehlen, die sie für den Monat April eingeplant hatte, der stärkste Steuermonat des Jahres.
Bis Sonntag, den 22. März war das vorgeschlagene Konjunkturpaket von einer Billion Dollar auf insgesamt vier Billionen Dollar an Notfallliquiditätshilfe angewachsen. Natürlich erforderte jedes Konjunkturpaket die Zustimmung durch den Kongress. Am Sonntagabend, den 22. März wurde der Fed-Gouverneur von Minneapolis, Neil Kaskari, in der ältesten US-Fernsehsendung, 60 Minutes, zur Hauptsendezeit interviewt. In dem inszenierten Interview sendete Kaskari eine Botschaft an die Märkte. Die Fed würde so viel und so lange neues Geld drucken wie nötig. Das war so nahe an Maslows Hammer1, wie Sie es jemals von einem Zentralbanker hören werden. Die Botschaft war klar. Die Notenbank würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Dollar zu schwächen. Bis Dienstag stieg der Goldkurs um über 200 Dollar pro Unze, seine größte Zwei-Tages-Bewegung in der Geschichte.
Die Maßnahmen der Notenbank und anderer Zentralbanken rund um den Globus, gepaart mit den Versprechen von Steuererleichterungen der US-Regierung, stellten eine historische Offensive nie dagewesener monetärer und fiskalischer Impulse dar. Solche Konjunkturpakete wurden überall auf der Welt in Gang gesetzt. Die große Geldentwertung hatte offiziell begonnen.
Während diese Maßnahmen die meisten Anleger auf der Welt schockierten, waren doch manche darauf vorbereitet. Ich gehörte zu Letzteren. Das waren genau die Ereignisse, die ich seit über zwei Jahren vorhergesagt hatte. Ich hatte nicht nur erwartet, was kam, ich hatte sogar einen Spielplan entwickelt, was als Nächstes passieren würde. All das ereignete sich, als ich das fertige Manuskript von Die große Geldentwertung beim Verlag einreichte. Obwohl ich damals nicht sicher war, was kurzfristig passieren würde, war ich doch überzeugt, dass der Weg, der vor uns lag, eine lange und schmerzhafte Depression sein würde und wir dabei den größten Vermögenstransfer in der Geschichte der Menschheit erleben würden. Die große Geldentwertung, die in den 2020er-Jahren kommen wird, könnte sich als schmerzhafter herausstellen als die Große Depression der 1930er-Jahre.
Die wichtigste Frage, die niemand zu stellen schien, war: »Woher sollte all das viele Geld kommen?« Alle Regierungen rund um den Globus waren pleite. Im Verlauf der vorangegangenen 20 Jahre hatten sich die globalen Schulden versiebenfacht. Kein Land auf der ganzen Welt war solvent. Selbst Deutschland, das seit den Tagen der Weimarer Republik ein stoischer Verteidiger soliden Geldes gewesen war, brach ein. Deutschland kündigte an, dass es über 400 Milliarden Dollar neue Schulden machen würde, was sich auf zehn Prozent des gesamten BIP beläuft. Was die Sache noch realistischer machte, war die Ankündigung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag, den 22. März, dass sie sich in eine 14-tägige Eigenquarantäne begeben würde, da Grund zu Sorge bestand, dass sie sich das Virus zugezogen hatte.
Die Kombination aus dem Ölschock und dem Coronavirus stellte einen Schwarzen Schwan dar. Ein Schwarzer Schwan ist ein Ereignis, das so bedeutend ist, dass es die gesamte Perspektive der Menschheit verändert. Diese Ereignisse sind dadurch gekennzeichnet, dass sie äußerst selten sind. Sie richten verheerende Schäden in der Wirtschaft an und können von keinem Prognoseinstrument vorhergesehen werden. Ein Schwarzer Schwan ist per Definition unvorhersehbar. Das Coronavirus ist ein medizinischer Schwarzer Schwan, der sich global ausbreitete. Das Virus greift vor allem das menschliche Atemsystem an und ist hochansteckend. Frühe Berichte besagten, dass die Sterblichkeitsrate fast drei Prozent betrug. Für junge und starke Menschen ist das Virus meist nicht tödlich. Diese Tatsache erhöht die reale Gefahr für die am stärksten gefährdeten Menschen zusätzlich. Die meisten Leute bemerken keine Anzeichen. Viele, die sich infiziert haben, zeigen keinerlei Symptome. Bei vielen dauert es bis zu 14 Tage nach der Ansteckung, bis sie Symptome zeigen. Dadurch wird es viel schwieriger, das Virus einzudämmen, weil die Menschen, die das Virus in sich tragen und weiterverbreiten, oft nicht einmal wissen, dass sie infiziert sind.
Der Präsident bezeichnete das Virus am Anfang als eine »Falschmeldung von den Linken«. Er behauptete, dass das Virus ein politischer Schachzug sei, der von den Demokraten benutzt würde, um die Regierung schlecht aussehen zu lassen. Selbst nach der Notfall-Zinssenkung der Notenbank schien Trump die Schwere der Situation nicht zu erfassen. Er erzählte dem Land weiterhin, dass die Pandemie »unter Kontrolle« sei. Während die Gouverneure von New York, Kalifornien, Illinois, Ohio und Pennsylvania einen Lockdown für ihre Bundesstaaten angeordnet hatten, weigerte sich Trump zuzugeben, dass ein landesweiter Shutdown notwendig wäre. Sein abschätziger Tonfall in den frühen Stadien verstärkte das bevorstehende Chaos. Trump und seine auserkorenen Wissenschaftler hielten fast täglich Pressekonferenzen ab. Während sein Spitzenwissenschaftler Anthony Fauci vor der tatsächlichen Gefahr warnte, bestand Trump darauf, dass das alles schnell vorbei sein würde und die meisten Amerikaner keinen Grund zur Sorge hätten. Er schien sich weitaus mehr Gedanken um den Aktienmarkt zu machen als über die drohende Gesundheitskrise. Bis zum St. Patrick's Day änderte sich seine Tonlage. Es war nicht mehr zu leugnen, dass es eine Gesundheitskrise gab. Die Menschen starben.
Im Lauf von nur zwei Wochen ließ die Federal Reserve eine bunte Mischung geldpolitischer Anreize vom Stapel. Am Dienstag, den 17. März legte die Fed wieder ihre CPFF- und PDCF-Programme auf. Das CPFF oder Commercial Paper Funding Facility versorgt Unternehmen und Haushalte mit Liquidität, während das PDCF Primärhändler unterstützt, die auf großen Beständen von Wertpapieren sitzenbleiben. Am Mittwoch richtete die Fed das MMLF (Money Market Mutual Fund Liquidity Facility) ein, ein Notfall-Liquiditätsprogramm zur Stützung der Geldmärkte. Am Donnerstag schloss die Fed Liquiditäts-Swap-Abkommen mit einer Reihe von Zentralbanken ab. Die Notenbank übernahm in unvorstellbarem Ausmaß die Verantwortung als Kreditgeber der letzten Instanz. Nur wenige Menschen verstanden, dass diese extremen Maßnahmen durch die jahrzehntelange Vorgehensweise der Zentralbanken auf der ganzen Welt notwendig wurden. Die Zentralbanken waren die Brandstifter und wurden jetzt herbeigerufen, um die Brände zu löschen, die sie selbst gelegt hatten.
Bis zum 22. März, nur sechs Wochen nach dem Allzeithoch des Aktienmarkts, hatten die Zentralbanken und Regierungen rund um den Globus zusätzliche drei Billionen Dollar an Liquidität in den Markt gepumpt und kündigten weitere geschätzte sieben Billionen Dollar für die kommenden Wochen an.
Es stellte sich heraus, dass das Coronavirus ein wirtschaftlicher Schwarzer Schwan war. Der Begriff underlying conditions, also Rahmenbedingungen oder Vorerkrankungen2, bezieht sich auf strukturelle Probleme unter der Oberfläche, die sich auf das Fundament auswirken. Der Ausdruck wurde schnell zu einem Teil der Umgangssprache auf der ganzen Welt. Medizinisch betrachtet bezieht er sich auf die Gefahren, die das Virus für schwächere Personen mit gesundheitlichen Problemen darstellt. Während das Virus für die Starken manchmal unangenehm ist, erweist es sich für diejenigen mit hohem Blutdruck, Diabetes, Herzproblemen, Krebs, Asthma und anderen chronischen Krankheiten als tödlich.
Der Begriff Vorerkrankungen passte aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht perfekt. Nichts beschreibt die Weltwirtschaft besser. Die Wahrheit war, dass die Wirtschaft, die als stärkste in der Geschichte Amerikas gepriesen wurde, eine Illusion war – etwas, das von außen stark aussah, aber an ernsten Vorerkrankungen litt. Das gesamte Fundament der globalen Wirtschaft war auf einem Haufen billiger und gehebelter Schulden aufgebaut. Das Coronavirus könnte sich auch für das ganze, seit mehr als 75 Jahren bestehende Geldsystem als tödlich erweisen. Das System war nicht nur alt, es stand auch auf einem brüchigen Fundament und litt an der Vorerkrankung Insolvenz, die zu schlimm war, um sie in den Griff zu bekommen.
Die Probleme, vor denen die Welt stand, waren allerdings viel größer als nur die finanzielle Zahlungsunfähigkeit. Eine Vorerkrankung namens Polarisierung