Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann

Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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und de­ren Fehl­schla­gen oder Ge­lin­gen ist. Je­des Wort die­ser Rede ist kraft­voll und voll­gül­tig. Sie ge­stal­tet die Spra­che neu und in je­dem Au­gen­blick, wes­halb schon Mar­tin Luther sagt: »Man muss dem ge­mei­nen Mann aufs Maul schau­en, wenn man wis­sen will, was Spra­che ist.« So­kra­tes sagt un­ge­fähr das­sel­be.

      *

      Das Spei­sen am wohl­ge­deck­ten Ti­sche mei­ner El­tern in Num­mer Drei ver­lor für län­ge­re Zeit sei­nen Reiz, als ich ein­mal bei Krau­ses ge­ges­sen hat­te. Ich saß mit Krau­se, sei­ner Frau, Gu­stav und Ida so­wie ei­nem al­ten Knecht um den ge­scheu­er­ten Tisch. In der Mit­te stand eine große, brau­ne, tie­fe Schüs­sel aus Bunz­lau­er Ton, in die wir, je­der mit sei­ner Ga­bel, hin­ein­lang­ten. Wir grif­fen zu den Zinn­löf­feln, als nur noch Brü­he dar­in vor­han­den war. Mes­ser und Tel­ler gab es nicht.

      Es ging bei die­ser schlich­ten Bau­ern­mahl­zeit schweig­sam und ma­nier­lich zu. Dass man mit vol­lem Mun­de nicht spricht, soll­te sich ja von selbst ver­ste­hen. Es kom­men da­bei, selbst in ho­hen und höchs­ten Krei­sen, Spru­de­lei­en und an­de­re un­ap­pe­tit­li­che Din­ge vor. Trotz­dem wir mit aus­ge­streck­tem Arm zu­lan­gen und den Bis­sen durch die Luft füh­ren muss­ten, ehe wir ihn in den Mund steck­ten, wies die Tisch­plat­te am Schluss kei­ne Fle­cken auf. Was Frau Krau­se ge­kocht hat­te, war ein Ge­misch von Klö­ßen und Sau­er­kraut in ei­ner Brü­he aus Schwei­ne­fleisch. Die­ses Ge­richt war de­li­kat. Nie­mals spä­ter ge­noss ich wie­der­um sol­ches Sau­er­kraut. Es wur­de von dem al­ten Knecht und von Krau­se, nach­dem sie be­dacht­sam die Ga­bel dar­in ge­dreht und so die lan­gen, dün­nen Fä­den wie auf einen Wo­cken ge­wi­ckelt hat­ten, aus der Tun­ke her­aus­ge­holt. Dass sie die­sel­be Ga­bel, die sie in den Mund ge­steckt hat­ten, wie­der in die ge­mein­sa­me Schüs­sel tauch­ten, fiel mir nicht auf. Die lang­sa­me Sorg­falt des Vor­gangs ließ den Ge­dan­ken an et­was Unap­pe­tit­li­ches gar nicht auf­kom­men.

      Tisch­ge­be­te sprach man bei den Mahl­zei­ten des Fuhr­herrn nicht. Aber die gan­ze Pro­ze­dur die­ser ge­las­se­nen Nah­rungs­auf­nah­me, bei der nie­mand, auch nicht die Kin­der, im Ge­rings­ten Un­ge­duld, Hast oder Gier zeig­te, war fei­er­lich. Sie war bei­na­he selbst ein Ge­bet. Hier wuss­te man, was das täg­li­che Brot be­deu­te­te, und der In­stinkt ent­schied, wel­che Wür­de ihm zu­zu­spre­chen war.

      Üb­ri­gens war durch die schwe­re, som­mer­spros­si­ge Hand und den he­ra­kli­schen Arm des Fuhr­herrn der Rhyth­mus die­ses Fa­mi­li­en­mah­les an­ge­zeigt. Nie­mand hat­te sich un­ter­fan­gen und sei­ne Ga­bel oder den Löf­fel, wäh­rend er es ein­mal tat, zwei­mal in die Schüs­sel ge­taucht.

      Fuhr­mann Krau­se war eine Art Spe­di­teur. Der Trans­port des Brun­nen­ver­san­des zur Bahn­sta­ti­on lag in sei­ner Hand. Eben­so hol­te er re­gel­mä­ßig mit sei­nem Om­ni­bus von eben­der Bahn­sta­ti­on Frei­burg die an­kom­men­den Frem­den ab und brach­te dort­hin die Abrei­sen­den. Der Om­ni­bus, wenn er nicht un­ter­wegs war, stand in un­serm Hof, wo sei­ne Pols­ter ge­klopft, sei­ne Ach­sen ge­schmiert und das gan­ze Mon­strum mehr­mals die Wo­che von oben bis un­ten ge­putzt und ge­wa­schen wur­de. Das Klir­ren der höl­zer­nen Ei­mer mit den ei­ser­nen Trag­bo­gen, das Lär­men der Pfer­de­knech­te mach­te die Mu­sik dazu.

      Ich den­ke da­bei an die Som­mer­zeit, wo ich über­all und nir­gend zu Hau­se war. Die kur­ze Schul­zeit aus­ge­nom­men, trieb ich mich in den Stäl­len zwi­schen den Pfer­den, in der Kut­scher­stu­be, im Hin­ter­gar­ten, viel­fach auch auf den fla­chen, be­moos­ten Dä­chern der Saal­bau­ten her­um.

      Fast nie er­füll­te ich das Ge­bot mei­nes Va­ters: ohne Kopf­be­de­ckung nicht aus­zu­ge­hen. Da ich also, un­ge­hor­sam, im­mer mit bloßem Kop­fe her­um­rann­te, ver­mied ich nach Mög­lich­keit, von mei­nem Va­ter ge­se­hen zu wer­den. Auch setz­te er ge­wiss nicht vor­aus, bis zu wel­chem Gra­de ich mich in die Ge­pflo­gen­hei­ten der Stra­ßen­jun­gen ein­le­ben wür­de. Ich fing zum Bei­spiel, mit ih­nen in ei­nem Ru­del ver­eint, den Om­ni­bus, wenn er von der Bahn kam, vor dem Zie­le ab und ver­folg­te ihn, eben­falls mit­ten im Ru­del, gehüllt in eine dich­te Staub­wol­ke. Der Zweck war, den an­lan­gen­den Kur­gäs­ten Hand­ge­päck zu ent­rei­ßen, um es ge­gen Ent­gelt hin­ter ih­nen drein in das Lo­gis zu schlep­pen. Ich habe das nur ein­mal ge­tan, denn die Be­hand­lung, die ich da­bei er­fuhr, die Last, die ich zu tra­gen hat­te, und die Ent­loh­nung durch einen Kup­fer­drei­er, den ich emp­fing, all das war an­ge­tan, mich von die­ser Art Brot­er­werb ab­zu­brin­gen.

      Wie furcht­sa­me Scha­fe dräng­ten wir Kin­der uns zu­sam­men: wir hat­ten etwa in Nu­me­ro Neun ein fürch­ter­li­ches Hus­ten ge­hört. Es war das Lo­gier­zim­mer, in dem ein Lun­gen­kran­ker vor Jah­ren ge­stor­ben war. Oder von ir­gend­ei­ner lee­ren Stu­be aus wur­de nachts die Schel­le ge­zo­gen: Furcht und Grau­sen schüt­tel­te uns. Sol­che Vor­fäl­le wur­den meist nicht auf­ge­klärt.

      Mein Va­ter lieb­te Nacht­lich­te. Ein sol­ches klei­nes, knis­tern­des Licht­we­sen, das auf ei­ner Öl­schicht in ei­nem Glas Was­ser schwamm, hat­te die trost­lo­se Auf­ga­be, den Weg durch den ei­si­gen Klei­nen Saal zur Pri­vat­kü­che sicht­bar zu ma­chen. »Ger­hart, geh doch mal! Ger­hart, hole doch mal!« hieß es in den be­hag­lich durch­heiz­ten Wohn­zim­mern. Dann muss­te ich wohl oder übel in den Be­reich des Nacht­lichts hin­aus, der ho­hen Fens­ter, er­blin­det durch Eis­blu­men, des Saals mit den frie­ren­den Rem­brandt­bil­dern an der Wand, muss­te mir Mut ma­chen, muss­te hin­durch­ja­gen, muss­te durch die lee­re Ho­tel­kü­che, die nach ros­ti­gem Ei­sen roch und wo der Wind Häuf­chen Schnee auf den kal­ten Herd­plat­ten jag­te, dreh­te und wir­bel­te.

      Aber wir wä­ren nicht Kin­der ge­we­sen, wenn nicht der Ko­bold in uns auch die­ser Drang­sal eine lus­ti­ge Sei­te ab­ge­won­nen hät­te. Mei­ne Schwes­ter Jo­han­na ging uns hier­in vor­an. Es han­del­te sich um das von Kin­dern so gern ge­üb­te Er­schre­cken. Ei­ner von uns über­wand sei­ne Furcht und ver­steck­te sich in der Fins­ter­nis. Kam der Be­auf­trag­te dann in Sicht, etwa lang­sam oder furcht­sam vor­schrei­tend, so schlug der Ver­steck­te wohl mit ei­nem Stock auf ein Mö­bel­stück, was der Furcht­sa­me mit ei­nem Schrei und Flucht be­ant­wor­te­te. Oder der Be­auf­trag­te flog wie ge­hetzt von Ein­gangs­tür zu Aus­gangs­tür, und die­se wur­de von au­ßen zu­ge­hal­ten. Er rann­te zu­rück, fand, dass auch die Ein­gangs­tür ver­rie­gelt war, und sah sich den grin­sen­den Bild­dä­mo­nen an der Wand und al­len


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