Achtsamkeit für alle. Jon Kabat-Zinn

Achtsamkeit für alle - Jon Kabat-Zinn


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und sozialen Netzwerken, zu denen böswillige Aktivitäten im Internet gehören, oft Bots, sowie die übermächtige Tendenz auf allen Seiten, echte Beweise zu missachten – dass diese verzerrende Optik eine ungeheure Falle ist, die uns hindert, neue Lichtblicke und Chancen zu sehen.

      Das soll nicht heißen, dass es keinen Platz gibt für Meinungen und leidenschaftlich vertretene Ansichten. Es ist nur so: Je mehr diese Ansichten die gegenseitige Durchdringung der Dinge auf der Mikro- und auf der Makro-Ebene berücksichtigen, desto größer wird auch unsere Fähigkeit, mit der Welt, mit unserer Arbeit, unserer Sehnsucht und unserer Berufung auf eine Art und Weise umzugehen, die zu mehr Weisheit und Harmonie beiträgt, nicht zu mehr Streit, Elend und Unsicherheit.

      Heute haben wir, mehr als jemals zuvor, praktisch an allen Fronten sowohl individuell als auch kollektiv die unschätzbar wertvolle Gelegenheit wie auch die Werkzeuge, uns nicht in gedankenlosem Egoismus und destruktiven Gefühlen zu verrennen und uns von ihnen blenden zu lassen, sondern buchstäblich zur »Be-Sinnung« zu kommen. Wenn wir das tun, werden wir vielleicht aufwachen und das tiefe Unbehagen erkennen, das während der vergangenen zehntausend Jahre Menschheitsgeschichte zum chronischen (Krankheits-)Zustand der Welt und unserer Spezies geworden ist. Wir werden praktische Schritte unternehmen, um neue Wege des Gleichgewichts und der Harmonie in der Art und Weise, wie wir unser Leben als Individuen führen und die Beziehungen zwischen den Nationen gestalten, ins Auge zu fassen und aufzubauen: Wege, die dazu beitragen, unsere destruktiven Tendenzen und gelegentlich schiere Widerwärtigkeit (Geisteszustände, die nur Unwohlsein und Entfremdung im Inneren und im Äußeren stärken) zu erkennen und zu reduzieren, und die andererseits unsere Fähigkeit zur Mobilisierung und Verkörperung von Weisheit und Mitgefühl in den Entscheidungen, die wir von Moment zu Moment darüber treffen, wie wir leben müssen und was wir mit unseren kreativen Energien zur Heilung des politischen Gemeinwesens tun könnten, vergrößern.

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      Wir haben in diesen vier Bänden die Metaphern von Krankheit und »Un-Wohlsein« erforscht, in dem Versuch, die tiefere Natur unserer Beunruhigung über dieses Menschendasein aus verschiedenen Blickwinkeln zu definieren und zu verstehen und warum wir uns so oft dermaßen »daneben« fühlen, so voller Verlangen nach etwas, das uns zu unserer Ganzheit und Erfüllung zu fehlen scheint, obwohl es uns in den entwickelten Ländern (und was das angeht, auch in denen, die einmal »Entwicklungsländer« genannt wurden) doch materiell und in Bezug auf Bildung und viele andere Faktoren wesentlich besser geht, als es der überwiegenden Mehrheit der Menschheit in den Generationen vor uns jemals gegangen ist.17 Wenn ein relativ hoher Lebensstandard, materieller Reichtum und Überfluss und selbst bessere Gesundheit und Gesundheitsfürsorge als je zuvor in der Geschichte uns nicht genügen, um glücklich, zufrieden und innerlich mit uns im Reinen zu sein, was könnte es dann sein, was uns noch fehlt? Und was müssten wir tun, damit wir schätzen lernen, wer wir sind und was wir bereits haben? Und was sagt unsere Unzufriedenheit über uns selbst als Land, als Welt, als Spezies aus, das zu wissen uns helfen könnte? Wie könnten wir aufhören, uns selber fremd zu sein, und heimkommen in das, was wir in all unserer Fülle eigentlich sind? Wie könnten wir unsere wahre Natur und unser wahres Potenzial als menschliche Wesen erkennen und lebendig verkörpern?

      Wir könnten für einen Moment nach innen schauen und uns fragen, was nötig wäre, damit wir uns als Individuen innerhalb des politischen Gemeinwesens genau jetzt vollständig ganz und glücklich fühlen könnten, wo wir doch, wie wir durch die Schulung in Achtsamkeit immer wieder gesehen haben, genau in diesem Moment schon unleugbar ganz und vollständig sind? Eines, das nötig sein könnte, ist, herauszutreten aus diesem Leben, das wir die meiste Zeit im Kopf führen, wo wir in Gedanken und Wünschen und die Turbulenzen reaktiver Gefühle und Abhängigkeiten verstrickt sind, sei es nun Abhängigkeit vom Essen (die Fettleibigkeits-Epidemie) oder von Schmerzbetäubung (die Opioid-Epidemie) oder von irgendetwas anderem. Letzten Endes scheinen wir gefangen in unseren endlosen und oft verzweifelten Versuchen, die äußeren Umstände, Ursachen und Bedingungen so zu arrangieren, dass sie, wie wir immer hoffen, schließlich zu einer besseren Situation führen werden, in der wir, wie wir glauben, endlich allen Schmerz werden auslöschen und glücklich und in Frieden werden leben können.

      Hinter all dem erkennen wir vielleicht unsere gewohnheitsmäßige, verführerische, aber letztlich deplatzierte Besessenheit von der bemerkenswert dauerhaften Idee eines seltsam ungreifbaren, festen, beständigen, unveränderlichen persönlichen Ichs. Dieses nebulose Gefühl eines festgefügten Ichs wird, wenn es mit der Lupe der Achtsamkeit untersucht wird, leicht als ziemlich illusionär erkannt. Im tiefsten Herzen wissen wir das alle, glaube ich. Und doch scheint uns diese fixe Idee eines beständigen, festen Ichs (und die daraus resultierende Ichbezogenheit) ständig in Bann zu schlagen und auf der Suche nach Erfüllung seiner anscheinend endlosen Bedürfnisse und Wünsche zu allen möglich Dingen zu treiben. Wenn wir, und sei es nur für einen Augenblick, zum Mysterium unseres Da-Seins erwachen, dann zeigt sich, dass dieses Ich-Konstrukt so sehr viel kleiner ist als das volle Ausmaß unseres Seins. Und das ist für unser Land und für die Welt genauso wahr wie für uns als Individuen.

      Am Ende entspringen diese Einsichten (und die Lichtblicke, die sie begleiten können) aus der Kultivierung einer größeren Nähe und Vertrautheit mit Geist und Körper, Moment für Moment; aus dem Erkennen der wechselseitigen Verbundenheit der Dinge jenseits unseres Eindrucks, sie seien isoliert und unverbunden, und jenseits unserer Verblendung erzeugenden Fixierung auf die Vorstellung, sie zum eigenen engstirnigen Vorteil unter Kontrolle halten zu können.

      Unsere Ganzheit und wechselseitige Verbundenheit lässt sich in der Tat hier und jetzt, in ein und jedem Moment, dadurch verifizieren, dass wir aufwachen und erkennen: Wir und die Welt, die wir bewohnen, sind im tiefsten vorstellbaren Sinne nicht getrennt. Wie wir gesehen haben, gibt es viele Wege, diese Wachheit durch die systematische Übung der Achtsamkeit zu kultivieren und zu fördern. Alle eignen sich gut, uns zu einem umfassenderen Bewusstsein zu führen, was – in jedem Sinne dieses Begriffs – »Gesundheit des politischen Gemeinwesens« heißt, und dafür Verantwortung zu übernehmen.

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      Durch die Praxis der Achtsamkeit, in der wir üben, tief in uns selbst hineinzuschauen, haben wir eine größere Vertrautheit und Intimität mit dem entwickelt, was möglicherweise letzten Endes die Wurzel unseres Unbehagens und Leidens ist: die Dynamik der Geisteszustände von Gier, Hass und Ignoranz und wie sie sich auf unterschiedlichste Weise in der Welt manifestieren. Vielleicht sind wir auch so weit gelangt, dass wir ansatzweise sehen und spüren, wie jede(r) Einzelne auf eigene Weise wirksam dazu beitragen könnte, Leid zu verringern, Leid zu mildern, Leid zu transzendieren – das eigene und das von anderen – und dazu, die menschengemachten Leidens-Ursachen, wo immer möglich, innerlich und äußerlich mit der Wurzel auszureißen.

      Vielleicht ist uns inzwischen auch aufgegangen, dass wir kein vollkommen gesundes und friedliches Privatleben führen können, wenn wir in einer Welt leben, die selber krank und so unfriedlich ist; in der die Menschen einander und der Erde direkt und indirekt so viel Leid zufügen, vor allem aus Mangel an Verständnis für unsere wechselseitige Verbundenheit und oft, wie es scheint, aus Gleichgültigkeit, auch wenn wir es »eigentlich besser wissen«. Dies ist natürlich eine zutiefst menschliche Verhaltensweise, aber auch damit können wir arbeiten, wenn wir bereit sind, als Individuen und als Gesellschaft eine bestimmte Art von innerer Arbeit zu leisten. Selbst epidemische Engstirnigkeit ist veränderbar, wenn es uns zu erkennen gelingt, welchen potenziellen Wert es hat, anders leben und handeln zu lernen: mit größerem Bewusstsein für die wechselseitige Abhängigkeit und das Ineinander-Eingebettet-Sein von »Ich« und »den anderen«; für die wahren Bedürfnisse und die wahre Natur dieses »Ich« und dieser »anderen«; mit anderen Worten: wenn wir lernen können, die verzerrende Optik der eigenen Gier, der Angst, des Hasses und der Unbewusstheit schon zu erkennen, wenn sie ins Spiel kommt, und wir nicht zulassen, dass sie die tieferen und gesünderen Elemente unseres Wesens überschatten. All das kann sich ergeben, wenn wir bereit sind, unseren Schmerz und unser Leid als Individuen, als Nation und als Spezies mit Bewusstheit, Mitgefühl und einem gewissen Grad an Gelassenheit anzuschauen und auszuhalten; bereit, sie sprechen und neue Dimensionen wechselseitiger Verbundenheit offenbaren zu lassen, die unsere Einsicht in die Wurzeln des Leidens vertiefen und uns dazu drängen, unsere Empathie nicht zu beschränken auf die, die uns am


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