ACT leicht gemacht. Russ Harris

ACT leicht gemacht - Russ Harris


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auch nicht allzu gut. Das Problem war, dass ich nicht authentisch war. Ich war einfach eine schlechte Kopie von Steve.

      Eines Tages hörte ich dann dieses Zitat von Oscar Wilde: »Sei du selbst. Alle anderen Rollen sind bereits besetzt.« Und da hatte ich eine Eingebung. Ich ließ die Vorlagen liegen, hörte auf, ACT-Gurus nachzumachen, und fand meine eigene Weise, mit ACT zu arbeiten. Ich entwickelte meinen eigenen Stil und meine eigene Weise zu reden, eine Art, die sich natürlich anfühlte und auch den KlientInnen entgegenkam, mit denen ich arbeitete. Da wurde ACT für mich wahrhaft lebendig. Ich empfehle Ihnen also nachdrücklich, es genauso zu machen. Seien Sie sie selbst. Lassen Sie beim Durcharbeiten dieses Buches Ihre Kreativität spielen. Fühlen Sie sich frei, die hier vorgestellten Werkzeuge und Techniken anzupassen, zu modifizieren und neu zu erfinden (solange Sie dem ACT-Modell treu bleiben), damit sie Ihrem persönlichen Stil entsprechen. Wandeln Sie Metaphern, Texte, Arbeitsblätter oder Übungen so ab, dass die Worte für Sie stimmen. Und wenn Sie bessere oder andere Metaphern kennen, die denselben Zweck erfüllen, dann können Sie selbstverständlich auch diese verwenden. Das ACT-Modell bietet einen enormen Spielraum für Kreativität und Innovation, den Sie voll und ganz ausschöpfen dürfen.

      TEIL I

      Was ist ACT?

      1 Die Herausforderung des Menschen

       Wenn Sie durch die Hölle gehen, gehen Sie einfach weiter!

      WINSTON CHURCHILL

      ES IST WAHRLICH NICHT LEICHT, GLÜCKLICH ZU SEIN

      Das Leben ist sowohl erstaunlich als auch schrecklich. Wenn man lange genug lebt, erlebt man Erfolg, der Freude bringt, und spektakuläres Versagen, große Liebe und Verlust, der sich vernichtend anfühlt. Man erlebt Augenblicke von Staunen und Glück und Momente der Dunkelheit und Verzweiflung. Die unbequeme Wahrheit ist, dass fast alles, was unser Leben reich, erfüllt und sinnvoll macht, eine schmerzliche Schattenseite hat. Und unglücklicherweise bedeutet das, dass es schwer ist, lange glücklich zu sein. Es ist sogar schwer, auch nur für eine kurze Zeit glücklich zu sein. Tatsache ist, das Leben ist hart, und jede und jeder von uns bekommt eine Menge Leid zu spüren. Und einer der Hauptgründe, weshalb das so ist (wie wir gleich untersuchen werden), besteht darin, dass der menschliche Verstand sich so entwickelt hat, dass er von Natur aus psychisches Leiden hervorbringt. Im Grunde erleben wir also alle, wenn wir lange genug leben, sehr viel Schmerz.

      Hmm. Ich schätze, das ist nicht die optimistischste Eröffnung eines Buches. Ist es wirklich so düster? Gibt es nichts, was wir an dieser Lage der Dinge ändern können? Sollten wir das Leben aufgeben und uns in eine Grube nihilistischer Verzweiflung stürzen?

      Wie Sie wahrscheinlich vermutet haben, lautet die Antwort auf diese Fragen: »Nein.« Glücklicherweise haben wir die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT), die uns angesichts der vielen Schwierigkeiten des Lebens einen Weg nach vorn zeigen kann. ACT hat diesen Namen, weil sie uns lehrt, die Wirkung und den Einfluss schmerzhafter Gedanken und Gefühle zu reduzieren (Akzeptanz), während wir zugleich handeln, um ein Leben aufzubauen, das reich, erfüllt und sinnvoll ist (Commitment). Und auf den Seiten, die folgen, habe ich ein Hauptziel: die komplexe Theorie und Praxis von ACT so darzustellen, dass sie für den Leser bzw. die Leserin einfach, zugänglich und unterhaltsam wird.

      WAS IST ACT?

      ACT wird nicht als A-C-T gesprochen, sondern wie das englische Wort act (handeln) ausgesprochen. Und das hat seinen guten Grund. Immerhin basiert ACT auf der Verhaltenstherapie. Es geht ums Handeln, aber nicht um irgendein Handeln im »alten« Sinne. Es geht um ein Handeln, das von Ihren zentralen Werten geleitet ist – um das Verhalten entsprechend der Art von Mensch, die Sie sein wollen. Wofür wollen Sie im Leben eintreten? Was ist Ihnen in der Tiefe Ihres Herzens wirklich wichtig? Wie möchten Sie sich selbst, andere und die Welt um Sie herum behandeln? Woran sollen sich die Menschen erinnern, wenn Sie gestorben sind?

      Durch ACT kommen Sie mit dem in Berührung, was wirklich zählt: wie Sie sich während Ihres kurzen Aufenthalts auf diesem Planeten verhalten wollen und was Sie tun wollen. Von diesen Werten lassen Sie sich dann leiten, motivieren und zu dem inspirieren, was Sie tun.

      Zum anderen geht es um »achtsames« Handeln: ein Handeln mit vollem Gewahrsein, das bewusst und offen für Ihre Erfahrungen ist und sich ganz auf alles einlässt, was Sie tun. Das Ziel von ACT ist es, die eigene Fähigkeit für achtsames, wertegeleitetes Handel zu steigern. Die technische Bezeichnung für diese Fähigkeit ist psychische Flexibilität. Wir werden diesen Begriff bald gründlicher untersuchen. Betrachten wir aber erst das Ziel von ACT in allgemeinverständlicher Form.

      WIE IST ACT ENTSTANDEN?

      ACT wurde von Steven Hayes Mitte der 80er-Jahre geschaffen. Stevens Kollegen Kelly Wilson und Kirk Strosahl entwickelten sie weiter. Sie entstand auf einem Gebiet der Psychologie, der Verhaltensanalyse, und beruht auf einer Verhaltenstheorie der Kognition, die Bezugsrahmentheorie (englisch Relational Frame Theory – RFT) heißt. Nun weiß ich nicht, wie es Ihnen ergeht, aber als ich zum ersten Mal der ACT begegnet bin, fiel es mir schwer zu glauben, dass so ein spirituelles, humanistisches Modell aus der frühen Verhaltenstheorie (Behaviorismus) entstanden sein sollte. Ich dachte, Behavioristen behandelten Menschen wie Roboter oder Ratten und dass sie kein Interesse an Gedanken und Gefühlen hätten. Wie falsch ich damit lag! Ich entdeckte bald, dass es eine ganze Reihe von Schulen der Verhaltenstherapie gibt, und dass ACT einer Richtung entstammt, die als funktionaler Kontextualismus bekannt ist. (Das geht einem doch leicht über die Zunge, oder?) Und beim funktionalen Kontextualismus (Versuchen Sie einmal, das zehnmal schnell hintereinander zu sagen!) ist man sehr an Gedanken und Gefühlen von Menschen interessiert!

      ACT gehört zur sogenannten »dritten Welle« verhaltensorientierter Therapien – neben der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), der Achtsamkeitsbasierten Kognitiven Therapie (MBCT), der Compassion Focused Therapy (CFT), der Funktional Analytischen Psychotherapie (FAP) und einigen anderen –, die alle neben den traditionellen Verhaltensinterventionen ein besonderes Gewicht auf Akzeptanz, Achtsamkeit und Mitgefühl legen.

      WAS IST DAS ZIEL VON ACT?

      Allgemeinverständlich ausgedrückt besteht das Ziel von ACT darin, menschliches Potenzial für ein reiches und sinnvolles Leben zu maximieren, während zugleich mit Leid, das das Leben unvermeidlich begleitet, effektiv umgegangen wird.

      Sie fragen sich vielleicht: Gehört zum Leben unvermeidlich auch Leiden? Bei der ACT gehen wir davon aus. Gleich wie wunderbar ein Leben ist, wir alle erleben eine Menge Frustration, Enttäuschung, Ablehnung, Verlust und Scheitern. Und wenn wir lange genug leben, gibt es Krankheit, Verletzungen und Altern. Schließlich müssen wir uns unserem eigenen Tod stellen, und bevor dieser Tag kommt, sind wir Zeuginnen des Todes vieler geliebter Menschen. Und als wäre das nicht genug, ist es eine Tatsache, dass viele grundlegende menschliche Emotionen – normale Gefühle, die wir alle im Laufe unseres Lebens immer wieder erleben – an sich schmerzhaft sind: Angst, Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut und Ärger, Schock, Ekel und so weiter.

      Aber das ist noch nicht alles. Denn obendrein haben wir alle einen Verstand, der in jedem Moment Leiden heraufbeschwören kann. Wohin wir auch gehen, was immer wir tun, wir können sofort Leiden empfinden. In jedem Moment kann man eine schmerzhafte Erinnerung wieder erleben oder sich in ängstlichen Vorahnungen der Zukunft verlieren. Oder man kann sich in ungünstigen Vergleichen (Ihr Job ist besser als meiner) oder negativen Selbstbewertungen (Ich bin zu dick, Ich bin nicht intelligent genug und so weiter) verfangen.

      Aufgrund unseres Verstandes können wir an den glücklichsten Tagen unseres Lebens Schmerz empfinden. Angenommen zum Beispiel, Susanne heiratet, und alle ihre Freunde und ihre Familie sind versammelt, um diese freudvolle Verbindung zu feiern. Sie ist einfach glücklich. Und dann kommt ihr der Gedanke: Ich wünschte, mein Vater wäre hier – und sie denkt daran, wie er sich das Leben genommen hat, als sie erst sechzehn Jahre alt war. An einem der glücklichsten Tage ihres Lebens empfindet sie nun Schmerz.

      Und wir sitzen alle im gleichen Boot wie Susanne. Gleich wie hoch unsere Lebensqualität, gleich wie privilegiert unsere Situation ist, wir brauchen uns nur an einen Moment zu erinnern, als etwas Schlimmes passiert ist,


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