ACT leicht gemacht. Russ Harris

ACT leicht gemacht - Russ Harris


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beobachtbares Verhalten) als auch psychisches Handeln (was wir in unserer inneren Welt tun). Es ist gut und schön, unsere Werte zu kennen, aber nur dadurch, dass wir sie in Handeln umsetzen, wird dieses Leben reich, erfüllt und sinnvoll.

      Und wenn wir so handeln, werden eine weite Bandbreite an Gedanken und Gefühlen auftauchen, einige angenehme und andere sehr schmerzhafte. Engagiertes Handeln oder Commitment bedeutet also, »tun, was nötig ist«, um im Einklang mit unseren Werten zu leben, auch dann, wenn das zu schwierigen Gedanken und Gefühlen führt. Zu engagiertem Handeln oder Commitment gehört Zielfestlegung, Handlungsplanung, Problemlösung, Kompetenztraining, Verhaltensaktivierung und Exposition. Es kann auch dazu gehören, dass man Kompetenzen lernt und anwendet, die zu einem besseren und reichhaltigeren Leben führen – von Verhandlungskompetenz, Kompetenzen für Kommunikation und Selbstbehauptung bis zu solchen für Selbstberuhigung, Bewältigung von Krisen und Achtsamkeit.

      Psychische Flexibilität: ein Diamant mit sechs Facetten

      Die sechs Kernprozesse von ACT sind nicht getrennt. Sie sind wie sechs Facetten eines Diamanten, und der Diamant selbst ist psychische Flexibilität: die Fähigkeit, achtsam und von unseren Werten geleitet zu handeln. Je größer unsere psychische Flexibilität – unsere Fähigkeit, ganz bewusst zu sein, uns für unsere Erfahrung zu öffnen und von unseren Werten geleitet zu handeln –, umso größer unsere Lebensqualität.

      Wie das? Weil wir weit effektiver auf die Probleme und Herausforderungen, die das Leben unvermeidlich mit sich bringt, reagieren können. Ferner entwickeln wir ein tiefes Gefühl von Sinn und fühlen uns lebendig, wenn wir uns ganz im Leben engagieren und uns von unseren Werte leiten lassen.

      Der Begriff »Lebendigkeit« wird in der ACT häufig gebraucht. Lebendigkeit ist kein Gefühl, sondern das Empfinden, voll und ganz im Hier und Jetzt zu leben, wie auch immer wir uns gerade fühlen mögen. Wir können uns sogar auf unserem Sterbebett oder in tiefster Trauer als lebendig erleben, denn: »In einem Augenblick des Schmerzes steckt so viel Leben wie in einem Augenblick der Freude« (Strosahl et al., 2004).

      Das ACT-Triflex

      Die sechs Kernprozesse kann man zu dem zusammenfassen, was ich das Triflex nenne (weil es eindrücklicher als Dreieck klingt). Das Triflex umfasst drei funktionale Einheiten, wie die folgende Abbildung zeigt:

      Selbst als Kontext (auch als »beobachtendes Selbst« bezeichnet) wie auch »Kontakt mit dem jetzigen Moment« (Gegenwärtigkeit) beinhalten beide, mit den verbalen und nicht-verbalen Aspekten Ihrer Erfahrung des Hier und Jetzt in Kontakt zu treten (mit anderen Worten: Seien Sie präsent).

      Bei der Defusion wie auch bei der Akzeptanz geht es darum, einen Abstand zu Gedanken und Gefühlen herzustellen, sie als das zu betrachten, was sie wirklich sind, ihnen Raum zu geben und sie nach Belieben kommen und gehen zu lassen (mit anderen Worten: Öffnen Sie sich).

      Werte und Engagiertes Handeln beinhaltet, lebensbereicherndes Handeln einzuleiten und beizubehalten (mit anderen Worten: Tun Sie, was wichtig ist).

      Wir können psychische Flexibilität also als die Fähigkeit beschreiben, »präsent zu sein, sich zu öffnen und das zu tun, was wichtig ist.«

      Da Sie jetzt einen Eindruck von den sechs Kernprozessen haben, und wie man sie zu drei größeren Einheiten zusammenfassen kann, möchte ich Ihnen vorstellen, was in ACT mein absolutes Lieblingsinstrument ist. Es bringt sie alle in einer leicht verständlichen und leicht anwendbaren Form zusammen.

      WILLKOMMEN AM PUNKT DER ENTSCHEIDUNG

      Als ich im Jahr 2009 die erste Auflage von ACT leicht gemacht schrieb, gab es den Punkt der Entscheidung noch nicht. Erst im Jahr 2013 erfand ich dieses Instrument zusammen mit meinen Kollegen Joe Ciarrochi und Ann Bailey (für das Buch, das wir über einen Ansatz der ACT zur Gewichtsabnahme schrieben: The Weight Escape [Ciarrochi, Bailey & Harris, 2014]). Seit damals habe ich mich in den Punkt der Entscheidung verliebt und mache ihn jetzt zum zentralen Instrument in allen meinen Programmen. Warum? Weil er Ihnen und Ihren Klientinnen einen einfachen Plan an die Hand gibt, dem Sie folgen können, während die große Flexibilität des ACT-Modells beibehalten wird.

      Sie werden im Verlauf dieses Buches sehen, dass es viele Möglichkeiten gibt, wie Sie den Punkt der Entscheidung verwenden können, im Moment aber möchte ich Ihnen eine kurze Einführung geben. Eine der Schönheiten des Punktes der Entscheidung ist, dass er eine klare Übersicht über das ACT-Modell liefert. (Anmerkung: Der Punkt der Entscheidung hat Ähnlichkeiten mit einem beliebten ACT-Instrument, das Matrix [Polk & Schoendorff, 2014] heißt, unterscheidet sich andererseits aber auch sehr von ihm. Wenn ich Sie bei dieser Einführung begleite, werde ich die gleiche nicht-technische Sprache verwenden wie bei Klienten, denn ich möchte zwei Dinge zugleich erreichen: (a) Ihnen das ACTModell auf eine einfache Weise erklären und (b) Ihnen ein Beispiel dafür geben, wie Sie Klientinnen ACT erklären können.

      Der Punkt der Entscheidung ist ein Hilfsmittel, das schnell Übersicht über unsere Probleme verschafft, Quellen des Leidens identifiziert und formuliert, wie wir sie mit ACT behandeln können. Wir können ihn an jedem Punkt der Therapie einbringen und ihn in vielen verschiedenen Zusammenhängen verwenden. Ich führe ihn häufig etwa in der Mitte meiner ersten Sitzung mit einer neuen Klientin als Teil des informierten Konsenses (Kapitel 5) ein. Typischerweise geht das etwa so:

      Therapeut: Wäre es für Sie okay, wenn ich kurz etwas zeichne? Es ist eine Art Plan, der uns hilft, effektiv miteinander zu arbeiten. (Der Therapeut holt einen Stift und ein Blatt Papier.) Sie und ich und alle Menschen auf diesem Planeten machen immer irgendetwas. Wir essen, trinken, gehen, sprechen, schlafen, spielen – immerzu machen wir etwas. Auch wenn wir einfach die Wand anstarren, ist das auch etwas, was wir tun, oder? Und manche dieser Dinge, die wir tun, sind ziemlich nützlich; sie helfen uns, weiter zu einem besseren Leben fortzuschreiten. Ich nenne sie also »Hinbewegungen«. Hinbewegungen sind im Grunde die Dinge, die Sie anfangen möchten zu tun, oder von denen Sie mehr machen möchten, wenn unsere Arbeit, die wir hier tun, Erfolg hat.

       Während er dies sagt, zeichnet der Therapeut einen Pfeil und schreibt:

      Der Therapeut fährt fort: Wenn wir also Hinbewegungen machen, bedeutet das, dass wir effektiv handeln und uns wie der Mensch verhalten, der wir sein möchten. Wir tun Dinge, die das Leben wahrscheinlich sinnvoller und erfüllender machen. Das Problem ist, dass das nicht alles ist, was wir machen. Es gibt andere Dinge, die wir machen, die die entgegensetzte Wirkung haben: Sie bringen uns von dem Leben, das wir in Wirklichkeit aufbauen wollen, weg. Dies nenne ich daher ›Wegbewegungen‹. Wenn man Wegbewegungen macht, bedeutet das, dass man ineffektiv handelt und sich nicht wie die Art Person verhält, die man sein möchte, und Dinge tut, die das Leben auf lange Sicht eher schlechter machen. Im Grunde sind Wegbewegungen also alles das, womit Sie aufhören oder was Sie zumindest weniger machen werden, wenn unsere Arbeit hier erfolgreich ist.

       Während er dies sagt, zeichnet der Therapeut einen zweiten Pfeil und schreibt:

      Der Therapeut fährt jetzt fort: Und dies gilt für uns alle, oder? Den ganzen Tag machen wir Hinbewegungen und Wegbewegungen und es verändert sich von Moment zu Moment. Und wenn das Leben nicht zu schwer ist, wenn die Dinge gut laufen und wenn wir bekommen, was wir im Leben wollen, ist es viel leichter, sich für diese Hinbewegungen zu entscheiden. Aber wie Sie wissen, ist das Leben selten so. Das Leben ist hart, und sehr oft bekommen wir nicht das, was wir wollen. Im Laufe des Tages begegnen wir also allen möglichen schwierigen Situationen und schwierige Gedanken und Gefühlen tauchen auf.

      Unten an den Fuß des Diagramms schreibt der Therapeut jetzt »Situation(en), Gedanken und Gefühle«. (Anmerkung: Im Verlaufe dieses ganzen Buches wird der Ausdruck »Gedanken und Gefühle« als Kurzformel für Gedanken, Gefühle, Emotionen, Erinnerungen, dringende Bedürfnisse, Impulse, Bilder und Sinnesempfindungen


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