ACT leicht gemacht. Russ Harris

ACT leicht gemacht - Russ Harris


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taugen.

      In ACT geht es also nicht darum, ob ein Gedanke richtig oder falsch ist, sondern darum, ob er hilfreich (workable) ist. Mit anderen Worten: Wir wollen wissen, ob ein Gedanke unserer Klientin nützlich ist, ein reicheres, sinnvolleres und erfüllteres Leben zu leben. Dies lässt sich anhand folgender und ähnlicher Fragen feststellen: »Hilft es Ihnen, ein reicheres, sinnvolleres und erfüllteres Leben zu leben, wenn Sie Ihr Verhalten von diesem Gedanken bestimmen lassen?« oder »Hilft es Ihnen, der Mensch zu sein, der Sie sein möchten, und das zu tun, was Sie tun wollen, wenn Sie ganz fest an diesem Gedanken festhalten?«

      Untersuchung von Nützlichkeit (workability) in einer Sitzung

      Hier ist ein Transkript, das diesen Ansatz veranschaulicht:

      Klient: Aber es ist wahr. Ich bin wirklich dick. Sehen Sie mich an. (Der Klient fasst zwei dicke Falten Fett an seinem Unterbauch und drückt sie zusammen, um zu unterstreichen, was er sagt.)

      Therapeutin: Okay. Kann ich Ihnen etwas Wichtiges sagen? In diesem Raum werden wir nie diskutieren, ob Ihre Gedanken wahr oder falsch sind. Woran wir hier interessiert sind, ist, ob Ihre Gedanken nützlich oder hilfreich sind – ob sie Ihnen helfen, ein besseres Leben zu leben. Wenn Ihr Verstand Ihnen also sagt Ich bin dick, dann nehmen diese Gedanken Sie ganz in Beschlag, stimmt’s? Und wenn sie Sie einmal im Griff haben, was passiert dann?

      Klient: Ich ekle mich vor mir selbst.

      Therapeutin: Okay. Und was geschieht dann?

      Klient: Dann werde ich depressiv.

      Therapeutin: Die Wirkung verstärkt sich also ziemlich schnell. Alle diese schwierigen Gedanken und Gefühle steigen in Ihnen auf: Depression, Ekel, »Ich bin dick« und so weiter. Und wenn Sie davon nicht mehr loskommen, was machen Sie dann?

      Klient: Was meinen Sie?

      Therapeutin: Also, was würde ich sehen, wenn Sie alle diese schwierigen Gedanken und Gefühlen im Griff haben, und wenn ich ein Video von Ihnen sähe, wie Sie bei sich zu Hause sind? Was würde ich Sie tun sehen oder hören, das mir zeigen würde: »Aha! Dieses Zeug hat Stefan grade richtig im Griff«?

      Klient: Ich würde wahrscheinlich vor dem Fernseher sitzen und Schokolade oder Pizza essen.

      Therapeutin: Und das ist nicht das, was Sie gern tun würden.

      Klient: Natürlich nicht! Ich versuche abzunehmen! Schauen Sie sich das an. (Er klopft auf seinen Unterbauch.) Es ist scheußlich.

      Therapeutin: Wenn Sie also an dem Satz »Ich bin dick« hängen, dann machen Sie Dinge, die Sie von der Art Leben, das Sie leben wollen, wegbringen?

      Klient: Ja, aber es ist wahr: Ich bin dick!

      Therapeutin: Also, wie gesagt, bei dieser Art Therapie befassen wir uns nicht damit, ob ein Gedanke wahr oder falsch ist. Wir wollen nur wissen, hilft er Ihnen, auf das Leben zuzugehen, das Sie leben möchten? Mit anderen Worten, wenn diese Gedanken Sie im Griff haben, hilft das Ihnen dann, Sport zu treiben oder gut zu essen oder Zeit mit den Dingen zu verbringen, die das Leben reich und lohnend machen?

      Klient: Nein. Natürlich nicht. Aber ich kann es nicht ändern!

      Therapeutin: Das stimmt. Zu diesem Zeitpunkt können Sie es nicht ändern. Diese Gedanken und Gefühle tauchen auf und sie packen Sie sofort, bevor Sie es auch nur merken. Wie wäre es, wenn wir also etwas tun könnten, um das zu ändern? Möchten Sie eine neue Kompetenz erlernen? – eine Fähigkeit zum Lösen aus diesem Griff –, sodass Sie sich das nächste Mal, wenn Ihr Verstand Sie mit Gedanken wie »Ich bin dick« niedermacht, davon frei machen können?

      —

      Wenn wir vom Konzept der Nützlichkeit (workability) ausgehen, müssen wir das Verhalten eines Klienten weder als »gut« oder »schlecht« noch als »falsch« oder »richtig« bewerten. Stattdessen können wir urteilsfrei und mitfühlend fragen, ob es dazu beiträgt, das Leben zu leben, das sich der Klient wünscht. Dasselbe gilt für seine Gedanken. Wir müssen sie weder als irrational noch als dysfunktional oder negativ bezeichnen und brauchen nicht darüber zu diskutieren, ob sie wahr oder falsch sind. Wir können stattdessen einfach eine der folgenden Fragen stellen:

      • Wie geht es auf lange Sicht, wenn Sie Ihr Leben von diesem Glauben /dieser Überzeugung /dieser Vorstellung /dieser Regel leiten oder diktieren lassen? Wenn Sie sie das, was Sie tun, bestimmen lassen?

      • Hilft es Ihnen, die Dinge zu tun, die Sie tun möchten, wenn Sie in diese Gedanken ganz verstrickt sind, oder wenn sie Sie im Griff haben?

      • Hilft es Ihnen, die Person zu sein, die Sie sein möchten, wenn Sie sich von diesen Gedanken leiten lassen?

      In obigem Beispiel macht der Therapeut keinen Versuch, den Inhalt der Gedanken zu verändern. In der ACT wird der Inhalt eines Gedankens selten als problematisch angesehen. Problematisch ist gewöhnlich das Verschmelzen (Fusion) mit dem Gedanken. In zahlreichen Psychologiebüchern findet sich folgendes Zitat von William Shakespeare: »Denn es ist nichts entweder gut oder böse; das Denken macht es erst dazu.« In der ACT nehmen wir an dieser Stelle eine grundlegend andere Haltung ein: »Durch das Denken wird nichts gut oder schlecht, sondern das Verschmelzen mit Ihren Gedanken macht Probleme.«

      Anders gewendet: Haben Sie bemerkt, wie die Therapeutin reagiert hat, als der Klient sagte: »Aber ich kann es nicht ändern!«? Unsere Klientinnen sagen häufig solche Dinge, besonders, wenn es um impulsives, abhängiges oder aggressives Verhalten geht. Und wenn sie das tun, sollten wir es anerkennen und etwa Folgendes sagen: »Das stimmt. In diesem Moment können Sie es nicht ändern. Diese Gedanken und Gefühle haben Sie sofort im Griff und zerren Sie hierhin und dahin wie eine Marionette.« Wir können dann die Frage stellen: »Würden Sie es denn gern ändern?« Wenn der Klient mit Ja antwortet, können wir ihn einladen, ein paar neue Kompetenzen zu lernen, wie am Ende des obigen Transkripts. (»Das ist alles gut und schön, Russ,« höre ich Sie sagen, »aber was, wenn die Klientin mit Nein antwortet oder sagt ›Das ist nicht möglich‹?« Wir kommen in späteren Kapiteln auf diese Fragen zurück.)

      Nützlichkeit und der Punkt der Entscheidung

      Wie Sie wissen (außer Sie haben Kapitel 1 übersprungen, in welchem Fall unsere besonders ausgebildeten Spürhunde Sie aufspüren und dann gnadenlos kitzeln werden, bis Sie versprechen, nie wieder ein Kapitel auszulassen), bin ich ein großer Fan des Punktes der Entscheidung. Einer der Gründe dafür ist, dass er es erleichtert, das Konzept der Nützlichkeit mit Klienten zu verwenden. Kommen wir noch einmal auf die oben wiedergegebene Sitzung zurück und schauen wir, wie sie verlaufen würde, wenn die Therapeutin zur Veranschaulichung den Punkt der Entscheidung verwenden würde. Wir gehen davon aus, dass der Therapeut den Punkt der Entscheidung schon eingeführt hat, wie er in Kapitel 1 besprochen wurde, und wir setzen etwa in der Mitte des Transkripts ein.

      Klientin: Dann werde ich depressiv.

      Therapeut: Okay. Es sieht also so aus, als würde das ganz schnell gehen. Wäre es okay, wenn ich etwas aufschreibe, damit wir es besser in den Griff bekommen? (Der Therapeut kann auf den von Hand gezeichneten Punkt der Entscheidung schreiben, oder, wenn er das vorzieht, ein ausgedrucktes Arbeitsblatt verwenden, wie auf den Abbildungen unten.) Sie haben also alle diese schwierigen Gedanken und Gefühle: »Ich bin dick«, Ekel, Depression und so weiter. (Während er dies sagt, schreibt der Therapeut Schlüsselworte unten an den Punkt der Entscheidung, wie die Abbildung zeigt.)

      Therapeut: Und diese Dinge haben Sie sofort im Griff, richtig?

      Klientin: Und wie!

      Therapeut: Wenn ich ein Video von Ihnen zu Hause sähe, was würde ich Sie also tun sehen oder hören, das mir zeigen würde: »Aha! Dieses Zeug hat Stefanie grade richtig im Griff?«

      Klientin: Ich würde wahrscheinlich vor dem Fernseher sitzen und Schokolade oder Pizza essen.

      Therapeut: Okay. Und wäre das eine Hinbewegung oder eine Wegbewegung?

      Klientin: Hmm, sagen Sie mir noch einmal, was diese Worte bedeuten?


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