Glücksregeln für die Liebe. Pierre Franckh
Einsammelns von sexuellen Beziehungen, von Macht und Prestige, von Geld und Anerkennung, unendlich weit entfernt von meinem wahren Glück war.
Das einzig Positive an dieser Situation war, dass ich es zum ersten Mal mit aller Deutlichkeit erkennen konnte und dass ich mich nicht mehr von den Schmeicheleien des Ruhmes täuschen ließ.
Ich erkannte klar, dass es keinen Sinn mehr hatte, zu kämpfen oder sich abzustrampeln. Ich ergab mich völlig. Ich ergab mich meinem Schicksal und bat darum, die tief liegende Wahrheit, die mein Lebensweg für mich bereithielt, endlich erfahren zu dürfen. Ich war überzeugt davon, dass das Leben noch mehr zu bieten haben musste als nur berühmt zu sein und sich selbst toll zu finden.
Ich war überzeugt davon, dass es eine tiefere Aufgabe, einen tieferen Sinn in meinem Leben geben musste. Es konnte nicht sein, dass ich einfach nur auf die Welt kam, um mich zu vergnügen und dann irgendwann wieder zu sterben.
Was immer der tiefere Sinn sein mochte, ich war bereit, ihn zu leben. Ich war bereit, meine wahre Aufgabe zu übernehmen.
Da geschah das Wunder. Über ein Gebet, in völliger Hingabe, tat sich plötzlich ein Vorhang in andere Dimensionen auf.
Für einige Zeit zog ich mich danach völlig von der Außenwelt zurück. Ein Engagement in Berlin half mir dabei. Etliche Monate spielte ich nur abends zwei Stunden Theater, die restliche Zeit verbrachte ich in Klausur und Meditation. Extrem wie ich war, stellte ich den Strom ab, warf alles, was meine Gedanken stören konnte, aus der Wohnung, ernährte mich nur noch von Obst und Wasser und beschäftigte mich mit dem Gedanken nach dem tieferen Sinn in meinem Leben und der Frage, wie ich zu einer wahren, echten Liebesbeziehung kommen kann. Wie sich später herausstellen sollte, hing in meinem Fall beides intensiv miteinander zusammen.
Ich machte mir eine Liste, wie meine künftige Beziehung aussehen sollte und stellte mit Entsetzen fest, dass ich zu all dem, was ich forderte, selbst gar nicht bereit war. All das, was ich mir so sehnlichst wünschte, konnte ich selbst gar nicht geben. Entweder weil ich es nicht besaß oder aber nicht fähig dazu war. Ich hatte nie gelernt, mich fallen zu lassen, mich bedingungslos hinzugeben, mich einzulassen und vor allem, mich zu entscheiden: für eine einzige Person; für diese und für keine andere auf der Welt; bedingungslos – aber was ist, wenn man sich der Falschen hingibt?
Da waren sie wieder, die Zweifel, die eine wahrhaft tiefe Liebesbeziehung stets zu verhindern wussten. Nein, ich war nicht mehr bereit, erneut die alten Wege zu beschreiten. Wohin diese führten wusste ich schon. Ich war auch nicht bereit, den ewigen Kreislauf weiter fortzuführen: verlieben – trennen, verlieben – trennen, verlieben – trennen, verlieben – trennen, verlieben – trennen, verlieben – trennen, verlieben – trennen…
Das klingt nach vielen Wiederholungen. Im Leben tun wir dies noch öfter.
Was geschieht in dem Zeitraum zwischen diesem Verlieben und diesem Trennen? In diesem Zwischenraum liegt das Scheitern.
Jedenfalls war ich nicht mehr bereit, mich mit Halbheiten zufrieden zu geben. All das, was ich forderte, wollte ich auch geben. Und was war mit dem, wozu ich noch nicht fähig war? (Das war übrigens erstaunlich viel.) Das wollte ich wenigstens offen legen. Ich wollte mitteilen: »Ja, meine Sehnsucht geht in diese Richtung, aber ich weiß nicht, wie ich da hinkomme. Mir fehlt völlig die Erfahrung.« Ich war auf jeden Fall hundert Prozent bereit es zu lernen und zu leben, egal wie schmerzhaft das auch sein würde.
Als diese Entscheidung gefallen war, geschah etwas Wunderbares. Der Druck war von mir genommen. Es gab nichts mehr, was ich tun musste, ich durfte so sein, wie ich war. Es würde das Richtige geschehen. Das Einzige, was es zu tun galt, war, stets wahrhaftig zu sein. Und ehrlich. Stets alles mitzuteilen, keine Geheimnisse oder Heimlichkeiten, kein Hintergehen, kein Vortäuschen falscher Tatsachen, kein Betrügen oder insgeheimes Vergleichen.
Die Theorie war klar, aber war das überhaupt lebbar? Und vor allem: mit wem?
Die Entscheidung war jedenfalls gefallen. Und weil ich mich entschieden hatte, gab es auch nichts mehr zu suchen. Denn zuvor war es gerade die Suche gewesen, die mich nie mit dem zufrieden sein ließ, was ich hatte. Ich wollte nicht mehr suchen. Ich war bereit, alles einfach nur zuzulassen.
In diesem Moment beschenkte mich das Schicksal mit der größten Lehre, die man sich vorstellen kann.
Ich, der zum Einsiedler geworden war, wurde von den Kollegen überredet, wenigstens einmal nach der Vorstellung mit zum Abendessen zu gehen. Nicht wirklich redselig ließ ich mich mitschleifen, lernte neue Menschen kennen, redete über Dinge, die ich noch nie mitgeteilt hatte, stellte verwundert fest, dass dies meine Gesprächspartner berührte und verschwand wieder in meine Zurückgezogenheit.
Drei Wochen später läutete das Telefon. Es war eine Frau, der ich an diesem Abend meine Nummer gegeben hatte. Ich konnte mich daran erinnern, wusste aber nicht mehr genau, wie sie aussah. Doch, sie war blond, schlank und hatte eine große, dicke Brille.
Wir telefonierten also und plötzlich waren daraus vier Stunden geworden. Ich musste ins Theater. Am nächsten Tag sprachen wir erneut, diesmal sieben Stunden. Und da sich jeder von uns sicher war, dass wir uns nie begegnen würden, erzählten wir einander alles, gaben Geheimnisse preis, die man seltsamerweise nur Unbekannten erzählt.
Es war wunderbar. In dieser Offenheit gab es eine Tiefe und Vertrautheit, die ich bis dahin nicht kannte. Zwei Seelen tauschten sich aus, trotz aller Ferne so nah und ohne all die gewohnten Schutzmäntel, in berührender Ehrlichkeit.
Und bereits nach der dritten Nacht, nach weiteren sieben Stunden, als es langsam hell wurde, fühlten wir uns so nah und verbunden, dass wir beschlossen, einen gemeinsamen Urlaub zu verbringen. Einen Liebesurlaub auf einer kleinen Insel. Da wir uns nicht sehen konnten, ich spielte jeden Abend in Berlin Theater und sie in Bonn, blieb es beim Telefonieren. Am nächsten Tag, nach einer weiteren intensiven Nacht mit ihr am Telefon, beschlossen wir – da wir uns so gut verstanden – nach Beendigung unserer Engagements zusammenzuziehen. Sie kündigte ihren Job und ihre Wohnung. Sie war zu wahrer Hingabe fähig. In sechs Wochen wollten wir in München eine gemeinsame Wohnung beziehen.
Am nächsten Tag gingen wir noch einen Schritt weiter. Wir wollten unser Geld zusammenwerfen. Und nach einer weiteren Nacht beschlossen wir zu heiraten und Kinder zu kriegen.
Die wenigen, denen ich davon erzählte, hielten mich für vollständig verrückt. Aber war ich das wirklich?
In meinen Augen war das scheinbare Risiko überhaupt nicht vorhanden. Würde ich dieser Tiefe und Nähe, die ich mit dieser Frau empfand, keine Chance geben, würde ich mein ganzes Leben damit verbringen, mir vorzuwerfen, meine wahre, große Liebe nicht gelebt zu haben.
»Aber was ist, wenn ihr euch nicht riechen könnt? Wenn ihr körperlich nicht zusammenpasst?«
Dann würden wir Freunde werden. Denn seelisch bestand ein tiefes, untrennbares Band. Die beste Voraussetzung für bedingungslose Liebe.
Normalerweise war ich den umgekehrten Weg gegangen. Ich hatte mich körperlich mit einer Frau verbunden und erst dann genauer betrachtet, ob sie überhaupt zu mir passt.
Das Schicksal hatte mich lustigerweise diesmal gezwungen vollkommen anders vorzugehen. Erst nachdem das seelische Band geknüpft war, erst nachdem klare Entscheidungen gefällt worden waren, sollte es zu der körperlichen Vereinigung kommen. Als Krönung für zwei Menschen, die zueinander gefunden haben.
Aber noch hieß es zu warten.
Sechs Wochen, bis man sich endlich sehen kann, sechs Wochen ständiger Telefonate, tiefer Gespräche, des Austauschs von Gefühlen und Sehnsüchten und natürlich der Angst, der andere könnte doch noch einen Rückzieher machen.
Ich hatte die größte Chance das zu leben, wonach ich mich so sehnte: Liebe zu geben ohne Bedingungen, ohne einen Handel daraus zu machen, ohne Geheimnisse, alles zuzulassen. Ich war authentisch und dieses Gefühl befreite unendlich.
Nach sechs Wochen kam der große Moment. Ich mietete einen LKW und fuhr nach Bremen, wo sie wohnte, um sie abzuholen.
Ich