Buddhas Tausend Gesichter. Fred von Allmen
beschäftigt, um die Verbindung zuzulassen.« Diese Verbindung können wir aufnehmen – durch Vertrauen!
In der buddhistischen Praxis sind Vertrauen und Hingabe unverzichtbar. Vertrauen in die Belehrungen, in die Methoden der Praxis und in die Lehrenden. Unter Letzteren kann der Buddha als der ursprüngliche Lehrer und Archetyp des Erwachens zu Weisheit und Mitgefühl verstanden werden – oder auch die eigenen Lehrer, Lehrerinnen, die Lamas, Sayadaws, Ajahns, Shifus oder Roshis – oder die gesamte Übertragungslinie großer Meister und Meisterinnen, von Buddha bis zu uns heute.
Der bekannte amerikanische spirituelle Lehrer Ram Dass wurde einmal gefragt, was für ihn beim Übermitteln der Lehre das Wichtigste sei. Er antwortete, es sei die in der eigenen Erfahrung wurzelnde Überzeugung und das daraus entstandene Vertrauen, das in den Schülern und Schülerinnen große Inspiration und Hingabe wecke.
Die tibetischen Praktiken der »Hingabe an die Lehrenden«, das sogenannte Guru-Yoga, betonen, diese Hingabe ermögliche den schnellsten und mühelosesten Zugang zu den Verwirklichungen. Sie öffne einen Kanal für Segensströme, die durch die Übertragungslinie der Meister und Meisterinnen in unseren Geist und unser Herz fließen. Hingabe sehen sie als das Herzstück der Methoden zur eigenen Verwirklichung.
Weises Vertrauen
Wir brauchen auf unserem Weg tiefes Vertrauen und Hingabe, aber natürlich brauchen wir auch Weisheit, eine Art von gesundem Menschenverstand, mit dem wir die Dinge unvoreingenommen und mit Scharfsinn überprüfen.
In den Anfängen meiner Praxis besuchte ich ein Meditationszentrum, in dem zwei Retreats in zwei unterschiedlichen buddhistischen Traditionen stattfanden. Beide Traditionen lehrten die Hingabe an den Meister, die Meisterin als wichtigen Verstärker für die eigene Praxis. Als die Teilnehmenden Gelegenheit hatten, den beiden Retreat-Leitern Fragen zu stellen, war ihre brennendste Frage die nach der Hingabe an die Lehrenden. Worauf der aus der einen Tradition stammende Lehrer betonte: »Wenn dein Meister sagt, Schwarz ist Weiß, dann ist Schwarz für dich Weiß!« Der zweite, einer anderen Tradition angehörende Lehrer unterstrich hingegen: »Leute, überprüft es besser selbst!«
In seiner berühmten Lehrrede an die Kalamer ermutigt der Buddha seine Zuhörerschaft, selbst herauszufinden, was für ihr Leben und ihre spirituelle Praxis wertvoll und hilfreich sei:
Aus diesem Grunde eben, Kalamer, haben wir es gesagt: Geht nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters. Wenn ihr aber, Kalamer, selbst erkennt: »Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl«, dann oh Kalamer, möget ihr sie euch zu eigen machen.3
Wir sind auf dem Weg zur Befreiung voll und ganz auf authentische Belehrungen und weise Unterstützung durch erfahrene und qualifizierte Lehrende angewiesen, wollen wir uns nicht auf endlosen Umwegen oder gar in Sackgassen wiederfinden. Dazu brauchen wir nicht nur irgendwelche guten Ratschläge, sondern die über Jahrhunderte erprobten Belehrungen von Menschen, die in einer ungebrochenen Übertragungslinie stehen.
Es gibt aber auch immer wieder Menschen, die – ohne in eine Übertragungslinie eingebunden zu sein – echte befreiende Erfahrungen gemacht haben. Sie können oft auch mit großer Überzeugungskraft ihre Erkenntnisse weitergeben. In der Regel genügt dies den Ansprüchen der Mehrzahl ihrer Schülerinnen und Schüler. Es besteht aber die Gefahr, dass die so Erleuchteten auf die von ihnen gemachten Erfahrungen beschränkt bleiben und den meist noch viel weiter führenden Weg nicht sehen, der in einer authentischen Übertragungslinie klar dargelegt würde – selbst von Lehrenden die weniger »erleuchtet« sind.
Die authentischen Belehrungen sollten wir mit wacher Hingabe aufnehmen, kontemplieren und in die Meditation und den Alltag integrieren. Andererseits müssen wir die Gesetzmäßigkeiten des Lebens und die Natur unseres Geistes aber auch selbst erforschen, um schließlich zu erkennen, was zu mehr Leiden führt und was befreiend ist. Beides ist also wichtig: Vertrauen und Weisheit.
Übertragungslinien
Die Dharma-Lehre beinhaltet im Wesentlichen achtsames Gewahrsein, gepaart mit einer inneren Haltung der liebevollen Gelassenheit; ein Gewahrsein, in dem wir mehr und mehr verweilen und das Erkenntnis und befreiende Weisheit ermöglicht. Zugleich sind es Qualitäten wie Güte, Mitfreude und Großzügigkeit, die uns zu einer Lebenshaltung der mitfühlenden Verbundenheit führen. Befreiende Weisheit und Großes Mitgefühl, das ist und bleibt die Essenz der Lehre des Buddha seit zweieinhalbtausend Jahren.
Eben diese Essenz und die Methoden, sie im eigenen Leben zu verwirklichen, haben zahllose Menschen in den verschiedensten Kulturkreisen über Jahrtausende praktiziert, verkörpert und weitergegeben. Ob in der indischen Antike, im tibetischen Mittelalter, im modernen China, in Japan oder im heutigen Westen – die äußere Form hat sich immer wieder gewandelt. Und die lebendige Essenz der Übertragungslinie wurde immer wieder neu entdeckt, verwirklicht und weitervermittelt. Was auf diese Weise weitergegeben wird, ist aber stets mehr als die Lehren und das Wissen: Es sind auch Inspiration, Vertrauen und Hingabe, die der gelebten Praxis und Verwirklichung entspringen. Es ist das Feuer der Begeisterung für die uns innewohnende Weisheit und Verbundenheit. Ich empfinde es als ein großes Privileg, als einen Glücksfall und eine tiefe Inspiration, Empfänger zu sein, Teil zu sein dieser befreienden Lehren und dieser segensreichen Energien, hier und heute.
Lebensläufe buddhistischer Erwachter
Um diese Übertragungslinien für uns lebendig werden zu lassen, ist es hilfreich, einzelne, außergewöhnliche Menschen aus diesen Linien oder Begründer neuer Äste und Zweige dieses großen Baumes kennenzulernen. In vielen asiatischen Traditionen ist dies ein wichtiger Aspekt der Belehrungen: Biografisches dieser Meister und Meisterinnen wird vermittelt, Geschichten über sie werden erzählt und markante Zitate vorgetragen. Diese Erzählungen und Legenden sind dabei auch stets ein Anlass, Dharma-Belehrungen darin einzuflechten. Genau dies ist auch mein Bestreben in diesem Buch.
Anders als in unserer westlichen Kultur, in der man von Biografien erwartet, dass sie spannend, persönlich und möglichst intim sind, enthalten diese Geschichten meist wenig genaue Lebensdaten oder Charakterschilderungen. Es sind vielmehr Legenden, die in ihrer archetypischen Darstellung auf unseren Geist, unser Herz und unsere Praxis bis hinein in unseren Alltag wirken, indem sie uns durch symbolische und urbildliche Begebenheiten berühren.4 Sind wir bereit, uns diesen Geschichten zu öffnen, können wir daraus großen Nutzen ziehen.
Auch wenn die meisten von uns nicht in Höhlen leben oder einen Großteil ihres Lebens im Kloster verbringen – die Leid schaffenden Emotionen wie Hass, Begehren oder Verblendung und die daraus entstehenden Probleme (Frustration, Einsamkeit, Suchtverhalten, Stress, Ängste, Sorgen, Depression) sind die Gleichen geblieben. Und auch der Weg, der aus diesem Leiden heraus zu Freiheit, Freude und Gelassenheit führt, ist heute genauso begehbar wie in alten Zeiten.
Die Menschen, deren Leben hier erzählt wird, kommen aus dem indischen, südostasiatischen und tibetischen buddhistischen Kulturkreis. Obwohl die meisten von ihnen in fernen Zeiten lebten, obwohl sie manchmal durch die Lüfte fliegen oder Dämonen begegnen, sind sie in ihrem Menschsein nicht so sehr anders als wir, im Gegenteil: Vieles verbindet uns mit ihnen. In diesem Sinne habe ich diese Sammlung außergewöhnlicher Lebensläufe, Geschichten und Zitate – eine Auslese aus der Fülle der überlieferten Legenden – zusammengestellt.
Diese Menschen können Vorbild für uns sein:
Wir begegnen Siddhartha Gautama, wie er mutig und unbeirrt auf seinem Weg zum vollständigen Erwachen voranschreitet und weise und mitfühlend in den darauffolgenden Jahrzehnten seines Lebens agiert. Wir lernen die Hauptschüler des Buddha kennen: Sariputta, den gelehrten Weisen, und Mogallana, den tiefgründigen Mystiker. Wir begegnen Mahakassapa, dem strengen Asketen, und Ananda, dem liebenswürdigen und selbstlosen Diener