Das Lächeln der Freiheit. Paul Linden
aber wehtun, können Sie nicht aufgeben, solange Sie sich weiter machtlos machen. Sie werden dysfunktionale Bewältigungsmuster nur überwinden, wenn Sie durch neue Handlungsmöglichkeiten, die als Werkzeuge des Überlebens deutlich wirksamer und bequemer sind, ersetzt werden.
Es ist notwendig, die Bewältigung realer Missbrauchssituationen zu üben. Wenn Sie angebrüllt werden, müssen Sie lernen, weiterzuatmen. Sie müssen eine zentrierte Haltung bewahren und die Person, die Sie anbrüllt, auffordern, damit aufzuhören. Wenn Sie geschlagen werden, müssen Sie entspannt und wachsam bleiben, den Schlag abwehren und die Erfahrung machen, dass Sie einen Angreifer physisch kontrollieren können. Wenn Sie verlassen werden, müssen Sie Ihre persönliche Wahrheit formulieren und aussprechen. Sie müssen die für das Überwinden der Verlassenheit notwendigen praktischen Schritte unternehmen, neue Bindungen herstellen und etwas finden, das Sie nährt.
Lernen Sie, vollkommen bewusst, entspannt, wachsam und voller Liebe zu bleiben, und üben Sie, aus dieser inneren Verfassung heraus die Herausforderungen der Welt zu meistern. Diese Verbindung innerer Ganzheit und äußerer Meisterschaft wird auch alte, tiefe Wunden schließen und dauerhaft heilen.
Der Bauch
Beginnen Sie Ihren Weg, indem Sie Ihr Bewusstsein für das Zentrum Ihres Körpers entwickeln.
Entspannen Sie Ihren Bauch Experiment / Praxis
Stehen Sie für einen Moment auf und gehen Sie herum. Wie fühlt sich Ihr Bauch an? Ziehen Sie den Bauch ein? Viele Menschen spannen den Bauch an und ziehen ihn ein. Falls auch Sie das tun: Wie beeinflusst es Ihre Atmung? Wie geht es Ihnen mit Ihrem Bauch? Manche Menschen schämen sich für ihn und versuchen, ihn zu verstecken oder kleiner zu machen.
Um Ihre Achtsamkeit dafür zu schärfen, welche Haltung Sie im Zentrum Ihres Körpers einnehmen, spannen Sie gleichzeitig den Bauch, den Schließmuskel und die Genitalien an und gehen Sie wieder ein paar Schritte. Spannen Sie diese Muskeln wirklich fest an. Wie beeinflusst das Ihre Bewegungen? Nehmen Sie wahr, wie steif sich Beine, Hüften und unterer Rücken, wie anstrengend sich alle Bewegungen anfühlen. Nehmen Sie wahr, wie sehr Ihre Atmung eingeschränkt wird.
Nebenbei: Achten Sie, während Sie diese Übung machen, darauf, dass Ihre Kleidung bequem und locker sitzt. Andernfalls wird ein dauernder Druck auf Ihren Körper ausgeübt, auf den Ihre Muskeln unwillkürlich mit Anspannung und Widerstand reagieren. Egal, ob Sie diese Spannung wahrnehmen oder nicht: Es wird schwierig für Sie werden, Ihren Bauch zu entspannen. Nehmen Sie es als eine Grundregel, dass lockere, bequeme Kleidung sowohl zum Entspannen als auch bei den anderen in diesem Buch behandelten Themen hilfreich ist.
Bleiben Sie jetzt stehen. Spannen Sie Ihren Bauch an, entspannen Sie ihn wieder und wiederholen Sie dies einige Male. Beim Entspannen des Bauches lassen Sie ihn nach vorne fallen.
Versuchen Sie als Nächstes, Ihren Bauch loszulassen, ohne ihn vorher anzuspannen. Gan gleich, wie Sie Ihren Bauch normalerweise halten, lassen Sie ihn einfach weit werden und nach vorne plumpsen. Erlauben Sie Ihren Genitalien und Ihrem Schließmuskel bewusst, sich zu entspannen, während Ihr Bauch weich wird. Löst sich die Spannung, obwohl Sie den Bauch vorher nicht gezielt angespannt haben? Wie fühlt es sich an, wenn Sie den Bauch vollkommen loslassen?
Die meisten Menschen empfinden eine deutliche Entspannung, selbst wenn sie ihre Muskeln vorher nicht bewusst anspannen. Sie schließen daraus, dass sie sich unbewusst anspannen und das wahrscheinlich immer.
Versuchen Sie noch einmal, mit einem weichen Bauch herumzugehen. Was empfinden Sie? Die meisten Menschen spüren eine größere Leichtigkeit, flüssigere Bewegungen und deutlicheren Bodenkontakt beim Gehen. Und so sollte Gehen sein – nicht angespannt und beengt. (Gelegentlich fühlen sich besonders steife Menschen unwohl, wenn sie ihre Bauchmuskeln entspannen. Das liegt daran, dass ihre gesamte Haltung und der Rest des Körpers nicht ebenfalls entspannt sind, nachdem sie den Bauch losgelassen haben. Falls Sie ein derartiges Unwohlsein verspüren, geben Sie sich etwas Zeit. Wenn Sie die Übungen dieses Buches machen, werden Sie sich nach und nach deutlich besser fühlen.)
Hat man Ihnen irgendwann einmal gesagt, Sie sollten Ihren Bauch einziehen? Anatomisch ist das Unsinn. Allerdings scheint es sich bei diesem Unsinn um einen kulturellen Imperativ zu handeln. Wenn man den Bauch einzieht, ruft das körperliche und emotionale Anspannung und Beklemmung hervor, selbst wenn es einem ganz normal vorkommt und man so daran gewöhnt ist, dass man es nicht mehr wahrnimmt. Warum ermutigt man uns, etwas zu tun, das steif und schwach macht? Uns allen ist beigebracht worden, es sähe besser, hübscher, gefälliger aus, wenn wir den Bauch einziehen.
Denken Sie einmal kurz darüber nach. Wann ziehen wir natürlicherweise den Bauch ein? Wenn uns etwas erschreckt. Den Bauch anzuspannen und einzuziehen ist Teil einer Angstreaktion, des Schreckreflexes. Kommt es Ihnen nicht auch seltsam vor, dass wir alle fortwährend aufgefordert werden, in einer Haltung der Angst, des Erschreckens zu leben?
Wenn Sie Ihren Körper in einem Bereich anspannen, wird sich das immer auf die gesamte Physis unangenehm auswirken, aber die Bauchmuskeln und die Muskulatur des Beckenbodens mit Genitalien und Anus sind besonders wichtig. Sie sind der Kern des Körpers, das Zentrum von Bewegung und Balance. Sind diese Körperregionen chronisch angespannt, wird es unmöglich, sich zu entspannen und sich frei, stark und bequem zu bewegen.
Möglicherweise wird Ihnen gerade jetzt etwas seltsam zu Mute. Empfehle ich Ihnen tatsächlich, den Bauch entspannt zu lassen? Ja, in der Tat. Ich weiß, dass es vielen Menschen unangenehm ist, über ihren Körper oder ihre Gefühle zu reden. In unserer Kultur wird der (naturgegebene) Körper oft als „schlecht“ angesehen. Bauch zu haben ist schlecht. Jeder will flach sein, um ihn loszuwerden. Noch schlimmer wird es, wenn über das Becken, die Genitalien und die Schließmuskeln geredet wird, unsere „Scham“, es ist unhöflich, sie zu erwähnen.
Es ist in unserer Kultur nicht erwünscht, über den Kern des Körpers zu sprechen. Es ist nicht in Ordnung, einen natürlichen, runden, entspannten Bauch zu haben. Einziehen! Hochziehen!! Aber betrachten Sie einmal kleine Kinder. Deren Bäuche sind weich und frei, und das ist die anatomisch natürliche Seinsweise.
Für Missbrauchsüberlebende ist es ungleich schwieriger, über ihr Körperzentrum zu sprechen. Viele Überlebende eines sexuellen Missbrauchs haben die Erfahrung gemacht, dass in ihren Unterleib eingedrungen wurde, und sie erleben Sexualität und sexuelle Erregung als grenzverletzend und demütigend. Auch Überlebende eines nicht-sexuellen Missbrauchs verschließen oft den Kern ihres Körpers, um Angst und Wut zu unterdrücken. Sie vermeiden es, ihre Achtsamkeit auf einen Ort zu richten, an dem sich viele und starke Emotionen befinden könnten.
Mehr noch als darüber zu reden, vermeiden Missbrauchsüberlebende, ihr Becken zu fühlen. Zu viel Schmerz verbindet sich damit, der einfach nur verschwinden soll. Genitalien und Anus zu entspannen, das Becken zu öffnen und weit zu werden verbindet sich für sie mit dem Gefühl, unerträglich verletzlich und penetrierbar zu sein.
Und trotzdem, Bauch und Becken richtig zu nutzen ist für das Finden Ihrer Ganzheit und Stärke entscheidend. Sie können nicht ganz werden, solange Sie große Bereiche Ihres Körpers ausblenden. Wenn Ihnen das Sprechen über diese Körperregionen unangenehm ist, wird sich dieses gefühlsmäßige Unwohlsein direkt in körperliche Anspannung der Bauch- und Beckenmuskulatur übersetzen, was wiederum sofort Ihre Empfindungsfähigkeit, Bewegungsvermögen und somit Ihre Fähigkeit, einfühlend und kraftvoll zu handeln, beeinträchtigen wird. Das sind lediglich Grundlagen der Anatomie und Pflege des menschlichen Körpers. Wenn die Maschine gut laufen soll, müssen Sie dafür sorgen, dass alle Einstellungen stimmen.
Falls Ihnen die Übung Entspannen Sie Ihren Bauch unangenehm ist (oder diese Übung bei Ihnen zu Angst oder Tränen führt), geben Sie sich Zeit. Wir werden uns zunächst weiter mit der allgemeinen kulturellen Haltung zum Bauch beschäftigen und danach einige Übungen machen, die Ihnen neue Werkzeuge gegen Ihr Unwohlsein an die Hand geben werden.
Viele Menschen finden den Gedanken, ihren Bauch zu entspannen, völlig inakzeptabel. In unserer Kultur herrschen sehr genaue Vorstellungen davon, wie ein Körper zu gebrauchen ist und was jemanden gut aussehen lässt. Den Bauch zu entspannen gehört eindeutig zu den Dingen, die man nicht tut. Aber lassen Sie uns einen Blick auf