Das Lächeln der Freiheit. Paul Linden

Das Lächeln der Freiheit - Paul Linden


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Anzeigen lassen sich vorherrschende kulturelle Werte gut untersuchen. Die Darstellung des Körpers in der Werbung ist beispielhaft für unsere kulturellen Idealvorstellungen von Schönheit und Stärke. Ich vermute, dass Werbung langfristig sehr großen Einfluss auf die Entwicklung unserer Ideale hat. Werbung wirkt, wenn sie sich an unsere Werte und Vorstellungen ankoppeln kann, und sie stellt gleichzeitig die Rollenvorbilder zur Verfügung, die diese Vorstellungswelt formen.

      Die erste Zeichnung stammt von einer Kekspackung, sie ist ein gutes Beispiel für unsere Auffassung vom Körper. Die meisten Teilnehmer meiner Workshops sind sich darin einig, dass die linke, „richtige“ Figur tatsächlich wesentlich besser aussieht als die „schlechte“ Figur rechts. Wenn ich dann aber nachfrage, welcher Mann besser einem Auto ausweichen könnte, das direkt auf ihn zufährt, wählen fast alle die „schlechte“ Figur. Man kann leicht erkennen, dass die rechte, so genannte schlechte Figur entspannter und balancierter ist und sich deshalb jederzeit frei bewegen kann. Wir haben aber gelernt, dass die angespannte, zusammengezogene, kopflastige, unbewegliche Figur gut ist.

      Die Gleichsetzung von Anspannung mit Schönheit und Stärke ist auch in der zweiten Zeichnung zu sehen. Das Gesicht, die Hüfthaltung, der breitbeinige Stand sind deutlich angespannt. Der Anzeigentext lautet: „Nur für die coolsten Typen, tough new urban hardwear: alles, was du für eine selbstbewusste Haltung brauchst“. Die Sprache verstärkt die Gleichsetzung von Kraft und Spannung, indem „cool“ und „selbstbewusst“ als hart und in Härte gründend definiert werden. Ein Anflug von herausfordernder, wütender Sexualität spricht aus der Anzeige. Die Ironie daran ist, dass der angespannte und unbewegliche Stand des Mannes ihn gerade daran hindern würde, sich leicht und kraftvoll zu bewegen, falls er einen Angreifer abwehren oder fliehen müsste. Und gerade das Becken ist so angespannt, dass freie und angenehme Bewegungen kaum möglich sind.

      Frauen haben ebenfalls stilisierte Formen, Anspannung herzustellen. Sehen Sie sich die nächste Zeichnung an. Der Werbetexter fragt: „Was macht einen Badeanzug sexy?“, und die in der Anzeige gegebene Antwort lautet: „Viele schöne Formen“. Was geht hier als schöne Form durch? Auf hohen Absätzen stehend, haben die Füße der Frau keinen Bodenkontakt. Ihre Knie, Hüften und der untere Rücken sind durchgedrückt und steif. Der linke Arm wird in einer unbeholfenen Haltung angespannt nach hinten gestreckt (versuchen Sie einmal, so zu stehen, und beobachten Sie, wie sich das anfühlt). Nacken und Gesicht stehen unter Spannung. Die Frau wirkt fest und rigide, es fehlt als Basis für Anmut und Kraft die Weichheit, die es ihr erlauben würde, sich elastisch und balanciert zu bewegen. Trotzdem halten viele Leute, denen ich dieses Bild zeige, diese Frau für schön. Vielleicht bin ich nicht normal, aber ich genieße den Anblick von Menschen, die sich frei, entspannt, kraftvoll und anmutig bewegen. Anspannung, Schwäche, Unbeholfenheit empfinde ich nicht im Geringsten als schön.

      Viele Werbeanzeigen, auf denen Frauen zu sehen sind, setzen Schönheit und Kraft, ebenso wie bei Männern, mit Anspannung gleich. Es gibt aber noch eine zweite stereotype Pose, in der Frauen gezeigt werden. In Ermangelung einer besseren Formulierung nenne ich sie das Sexspielzeug. Frauen nehmen hier schwache, verdrehte Körperhaltungen ein und strahlen gleichzeitig Hilflosigkeit und Verführung aus. Und wirklich halten die meisten Menschen, denen ich dieses Bild zeige, die abgebildete Frau für attraktiv und verführerisch. Mein erster Gedanke beim Anblick dieser Anzeige war, dass diese Frau Rückenschmerzen haben muss. Beachten Sie, wie Kopf, Nacken, Rücken, Hüften und Beine Kurven beschreiben, die jede Unterstützung durch die natürliche Struktur des Körpers unterminieren. Kein Teil sitzt richtig auf dem anderen. Nichts gibt eine Grundlage für Stabilität oder Stärke.

      Betrachten Sie als Vergleich dieses Bild meines Sohnes, er war ungefähr vier Jahre alt, als ich ihn fotografierte. Sie sehen ihn in einer für Kinder typischen Haltung. Das Foto entstand spontan, ohne Pose. Es zeigt das anatomisch normale Sitzen, das die meisten Erwachsenen verlernt haben. Beachten Sie, wie mühelos mein Sohn seinen Körper gerade hält. Statt sich beim Lesen über das Buch zu beugen, bewegt er den Kopf am Ende der Wirbelsäule und behält so eine effiziente Gewichtsunterstützung, während seine Augen nach unten gehen. Beachten Sie, dass seine Schultern entspannt und rund sind, seine Brust weich und sein Bauch gelöst ist – so ziemlich alles, was auf der Kekspackung als „schlecht proportioniert“ tituliert wurde, dabei ist es biegsam, anmutig, stark und balanciert.

      Unsere Kultur führt uns Geformtheit als Ideal der Schönheit vor Augen, aber wenn Sie diesem Ideal unter die Haut sehen, stellen Sie fest, dass Geformtheit lediglich ein weiterer Name für Anspannung ist. Wenn Sie trainieren und sich körperlich in Form bringen, so ist das sicherlich gut für Sie und trägt dazu bei, dass Sie gut aussehen. Ihr Bauch und auch der Rest Ihres Körpers werden einen gesunden Muskeltonus entwickeln. Nur ist dieser gesunde Tonus etwas grundlegend anderes als eine künstlich angespannte Körperhaltung mit eingezogenem Bauch, die eben nicht gut ist für Sie.

      Wenn Sie Ihren Bauch einziehen, bewirkt das im gesamten Körper Spannung und Schwäche. Bringen Sie diese Fixierung auf Angespanntheit mit, wenn es darum geht, Ihre Stärke und Ganzheit wiederherzustellen, werden Sie dauernd einen Schritt vor und zwei zurückgehen. Um ganz heil zu werden, müssen Sie zu fühlen bereit sein, wie Ihr Körper arbeitet, und das tun, was Sie tatsächlich entspannt und Ihnen angenehm ist.

      Fast immer, wenn ich unterrichte, wie man den Bauch entspannen und loslassen kann, habe ich mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass ein eingezogener Bauch besser aussieht. Menschen, die ihren Bauch hängen lassen, merken schnell selbst, dass sie besser atmen und sich bewegen können, aber selbst dann fühlen sie sich leicht zu fett, aufgeblasen und schlaff. Sie schämen sich, entspannt und balanciert in die Öffentlichkeit zu treten.

      Die andere Frage, die mir immer im Zusammenhang mit Entspannung gestellt wird, ist die nach dem Verhältnis von Entspannung und Schlaffheit. Entspannung ist nicht einfach Schlaffheit, selbst wenn diese Meinung weit verbreitet ist. Für mich besteht Entspannung darin, nur die Anstrengung aufzuwenden, die zum Lösen einer Aufgabe tatsächlich notwendig ist.

      Wenn Sie zum Anheben eines 25 kg schweren Gewichts so viel Kraft aufwenden, dass Sie damit ein doppelt so schweres Gewicht heben könnten, dann ist das angespannt und nicht entspannt. Entwickeln Sie nur einen Kraftaufwand für 25 kg, um ein 25 kg schweres Gewicht anzuheben, dann sind Sie so entspannt, wie Sie es unter den gegebenen Umständen bei der Lösung dieser Aufgabe nur sein können. Wenn Sie mit geschlossenen Augen in der Sonne liegen, den Vögeln lauschen, sich ausruhen und vor sich hinträumen – und ihre Muskeln so viel Spannung haben, als würden sie gerade zentnerschwer tragen –, dann ist das nicht entspannt: Es ist mehr Arbeit, als die Situation verlangt.

      Viele Menschen achten nicht auf innere Prozesse, wenn sie anstreben, sich effizient, kraftvoll und graziös zu bewegen und zu handeln. Souveränität, nicht Schlaffheit, ist das Ziel des Entspannungstrainings, mit dem dieses Buch Sie vertraut macht.

      Atmung

      Ein entscheidender Bestandteil der Fähigkeit zu achtsamer Entspannung ist unsere Atmung. Atmen ist eine seltsame Tätigkeit. Normalerweise atmen wir unwillkürlich und automatisch, gleichwohl können wir unser Atmen verhältnismäßig leicht bewusst kontrollieren. Atmen ist, sowohl in Ruhephasen unseres Körpers als auch bei Kampf-oder-Flucht-Handlungen, existenziell. Wenn Sie während einer Kampf-oder-Flucht-Handlung so atmen, wie Sie es in einer Ruhephase ihres Organismus tun, können Sie in sich ein Gleichgewicht zwischen der Stabilität des Ruhezustands einerseits und der einer Notfallsituation angemessenen aufmerksamen Reaktionsbereitschaft andererseits herstellen. Ihr Geist und Ihr Körper können gleichzeitig entspannt und handlungsbereit sein, während Sie sich den Problemen stellen, mit denen Sie konfrontiert sind.

      Sollten die bisherigen Erörterungen und die Übungen für Ihren Bauch und Ihr Becken Sie unruhig gemacht haben – entspannen Sie den Atem, das wird Ihnen helfen, die Unruhe gehen zu lassen. Nebenbei: Sie haben Ihren Bauch vor allem losgelassen, damit Sie Ihren Atem wirklich entspannen können.

      Bewusst


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