Dein Leben liegt in deiner Hand. Dzigar Kongtrul

Dein Leben liegt in deiner Hand - Dzigar Kongtrul


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wenn wir danach suchen! Das Ich ist schlau, verschlagen und nicht zu fassen. Wenn ich sage „Ich bin alt“, beziehe ich mich auf meinen Körper als „Ich“. Wenn ich von „meinem Körper“ spreche, mache ich das Ich zum Inhaber meines Körpers. Wenn ich sage „Ich bin müde“, setze ich das Ich mit körperlichen oder seelischen Empfindungen gleich. Das Ich wird zu meiner Wahrnehmung, wenn ich sage „Ich sehe“, und zu meinen Gedanken, wenn ich sage „Ich denke“. Wenn wir das Ich weder innerhalb noch außerhalb dieser Aspekte finden können, schließen wir daraus vielleicht, dass das Ich dasjenige ist, was sich all dieser Dinge bewusst ist – also das Bewusstsein oder der Geist.

      Wenn wir aber nach diesem Geist suchen, dann sind wir nicht in der Lage, eine Gestalt ausfindig zu machen, eine Farbe oder eine Form. Wir könnten ihn als „Ego-Geist“ bezeichnen. Dieser Geist, den wir mit dem Selbst gleichsetzen, steuert all unsere Handlungen, aber wir können ihn nicht wirklich ausfindig machen: Es ist geradezu gespenstisch, als herrschte in unserem Zuhause ein Gespenst. Das Haus sieht leer aus, aber die ganze Hausarbeit ist getan. Das Bett ist gemacht, der Tee eingeschenkt, und das Frühstück ist angerichtet.

      Das Merkwürdige ist, dass wir nie in Frage stellen, ob ein Hausbewohner da ist. Wir gehen einfach davon aus, dass jemand oder etwas da ist. Aber die ganze Zeit über wurde unser Leben von einem Gespenst gelenkt, und jetzt ist es an der Zeit, dem Spuk ein Ende zu setzen. Unser Ego-Geist hat uns zwar gedient – aber nicht wirklich genutzt. Er hat uns in den Leidensbereich von Samsara gelockt und uns versklavt. Wenn der Ego-Geist sagt: „Ärgere dich!“, dann werden wir wütend. Wenn er sagt: „Klammere dich fest!“, dann leben wir unsere Anhaftungen aus. Wenn wir das Kleingedruckte in dem Sklavenvertrag lesen, den wir mit dem Ego-Geist geschlossen haben, dann erkennen wir, wie er uns unter Druck setzt, uns austrickst und zu Unternehmungen mit unerwünschten Folgen verleitet.

      Wenn wir aufhören wollen, der Sklave dieses Gespenstes zu sein, müssen wir vom Ego-Geist verlangen, sein Gesicht zu zeigen. Kein echter Geist wird sich zeigen, wenn er das hört! Wir können diese einfache Meditation den ganzen Tag über praktizieren. Immer, wenn wir nicht recht wissen, was wir mit uns anfangen sollen, verlangen wir von unserem Ego-Geist, sein Gesicht zu zeigen. Während wir unser Abendessen kochen oder auf den Bus warten, fordern wir den Ego-Geist heraus, sein Gesicht zu zeigen.

      Macht das vor allem, wenn der Ego-Geist euch zu überwältigen droht, wenn ihr euch von ihm bedroht, eingeschüchtert, oder versklavt fühlt. Nehmt eine aufrechte Haltung ein und fordert den Ego-Geist heraus. Zeigt Rückgrat, schwankt nicht und lasst euch nicht reinlegen. Wenn ihr den Ego-Geist herausfordert, seid standhaft, und dabei sanft, eindringlich, aber nie aggressiv. Sagt einfach zum Ego-Geist: „Zeig mir dein Gesicht!“ Wenn sich kein Geist zeigt, der sagt: „Hier bin ich!“, dann wird der Ego-Geist langsam seine Kontrolle über euch verlieren und ihr müsst weniger kämpfen. Seht selbst, ob das stimmt.

      Es kann natürlich sein, dass euer Geist ein Gesicht hat und ihr eine andere Erfahrung macht. Aber wenn ihr keinen Geist mit einem Gesicht zu sehen bekommt, dann werdet ihr euer Ringen nicht mehr so ernst nehmen, und all eure Qualen und Probleme werden weniger.

      Wenn wir den Ego-Geist direkt hinterfragen, wird er entblößt: Da gibt es dann nichts mehr von dem, für das wir ihn gehalten haben! Wir können tatsächlich durch diesen scheinbar so massiven Ego-Geist oder das Selbst hindurchblicken. Aber was bleibt uns dann? Uns bleibt ein offenes, kluges Bewusstsein, ungetrübt von einem Selbst, das es zu hegen oder beschützen gilt. Dies ist der ursprüngliche Weisheitsgeist aller Wesen. In dieser Entdeckung zu ruhen, ist wahre Meditation – und wahre Meditation führt uns zu endgültiger Erkenntnis und zu Freiheit von Leid.

      Die Lebenseinstellung eines Praktizierenden

      Es ist ausgesprochen wichtig, tatsächlich nach dem Ego-Geist zu suchen. Nur so finden wir heraus, dass er nicht zu finden ist. Und wenn wir keinen Ego-Geist finden können, können wir auch kein Selbst ausfindig machen – warum also nehmen wir dann all unsere Gedanken, Gefühle und Erfahrungen so persönlich?

      Ich erinnere mich an meine erste Erfahrung von Selbstlosigkeit. Ich erlebte ein starkes Freiheitsgefühl und eine tiefe Wertschätzung dafür, wie vollkommen die Dinge im Grunde sind, wenn ich meine Selbstsucht nicht dazwischen funken und alles durcheinander bringen lasse. Ich fühlte mich erleichtert, als ich mir darüber klar wurde, wie sinnlos all meine Anstrengungen sind, ein Selbst aufrechtzuerhalten.

      Die meisten Leute mögen die Natur. Wir verbinden die natürliche Welt mit Schönheit, mit dem Reinen und Unberührten. Es irritiert uns, wenn jemand Bäume fällt oder in der Wildnis herumackert. Die Schönheit unserer eigenen inneren Natur können wir erkennen, wenn wir aufhören, all das, was uns auf unserem Weg begegnet, nur um der Selbstbestätigung willen zu manipulieren. So geht ein Praktizierender das Leben an.

      Denk einmal darüber nach: Wie können wir Selbst-Erkenntnis praktizieren, solange wir uns an ein Ich klammern? Wir nehmen alles persönlich: meinen Schmerz, meine Wut, meine Unzulänglichkeiten. Wenn wir Gedanken und Gefühle persönlich nehmen, quälen sie uns. Gedanken und Gefühle auf diese Weise zu betrachten, ist, als würden wir unsere Nase in einen stinkenden Haufen stecken – wozu soll das gut sein? Es schafft nur mehr Leid. Das ist nicht die Sichtweise, von der wir hier sprechen. Mit der Sicht der Selbstlosigkeit können wir alles, was in unserem Bewusstsein auftaucht, genießen. Wir können akzeptieren, dass alles, was entsteht, Ergebnis unserer vergangenen Handlungen ist, unseres Karma, aber wir setzen es nicht mit dem gleich, wer wir sind.

      Gedanken und Gefühle nutzen

      Gedanken und Gefühle werden immer entstehen. Das Ziel der Praxis ist nicht sie loszuwerden. Wir können den Gedanken und Gefühlen genauso wenig ein Ende setzen wie den Situationen in der Welt, die sich scheinbar gegen uns oder zu unseren Gunsten entwickeln. Wir können uns aber dafür entscheiden, sie willkommen zu heißen und lernen, mit ihnen umzugehen. In gewisser Hinsicht sind sie nichts als Empfindungen. Wenn wir sie nicht verfestigen, sie nicht beurteilen als gut oder schlecht, richtig oder falsch, günstig oder ungünstig, dann können wir sie nutzen, um auf dem Pfad voranzukommen.

      Wir machen uns Gedanken und Gefühle zunutze, indem wir beobachten, wie sie entstehen und vergehen. Auf diese Weise sehen wir, wie unwirklich sie sind. Wenn wir in der Lage sind, sie zu durchschauen, erkennen wir, dass sie uns nicht wirklich binden, uns nicht wirklich auf die falsche Fährte führen oder unseren Realitätssinn verzerren können. Und wir erwarten nicht länger, dass sie aufhören. Gerade die Erwartung, dass Gedanken und Gefühle versiegen sollten, ist irrig. Von dieser falschen Auffassung von Meditation können wir uns frei machen.

      In den Sutras wird gesagt: „Wozu soll Mist gut sein, wenn nicht dazu, Zuckerrohr zu düngen?“ Genauso können wir sagen: „Wozu sind Gedanken und Gefühle – oder tatsächlich all unsere Erfahrungen – gut, wenn nicht dazu, unsere Einsicht zu fördern?“

      Was uns davon abhält, sie uns zunutze zu machen, sind die Ängste und Reaktionen, die aus unserer Selbstsucht herrühren. Deshalb hat uns der Buddha gelehrt, die Dinge sein zu lassen. Ohne uns von ihnen bedroht zu fühlen oder sie beherrschen zu wollen, können wir die Dinge sich natürlich entwickeln und sie einfach sein lassen.

      Wenn der Ego-Geist in der Meditation transparent wird, dann haben wir keinen Grund, ihn zu fürchten. Das vermindert unser Leid enorm. Wir entwickeln vielleicht sogar Begeisterung dafür, alle Facetten unseres Bewusstseins kennen zu lernen. Diese Haltung ist die Essenz der Praxis der Selbst-Erkenntnis.

      2Die Magie der Spiegelungen

      Wenn wir uns einen Film im Kino anschauen, können wir uns entspannen und den Film genießen, weil wir wissen, dass er nur Illusion ist. Diese magische Vorstellung, die uns geboten wird, entsteht aus dem Zusammenspiel vom Projektor, dem Film, dem Licht, der Leinwand und unserer eigenen Wahrnehmung. Einzelne, augenblickskurze Blitze von Farben, Formen und Geräuschen erschaffen die Illusion einer fortlaufenden Bewegung, die wir als Figuren, Landschaften, Handlung und Sprache wahrnehmen. Was wir „Wirklichkeit“ nennen, funktioniert auf ganz ähnliche Art. Unsere kognitiven Fähigkeiten, unsere Sinneswahrnehmungen, die Samen unseres vergangenen Karma4 und die gegenständliche Welt erschaffen zusammen den „Film“ unseres Lebens. All diese Elemente stehen in dynamischer Beziehung zueinander, dies hält die


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