Das Erbe von Tench'alin. Klaus D. Biedermann
gekommen, bloß weil er ein paar Stufen zum Rednerpult emporgestiegen war, so konnte er jetzt längere Spaziergänge mit seiner Frau unternehmen und hatte sogar wieder Spaß am Reiten gefunden, was wiederum seiner Figur guttat.
An diesem Morgen des 9. Oktober, es war ein Sonntag, war er gut gelaunt aufgebrochen. Er hatte Lando, seinen fünfjährigen Apfelschimmel gesattelt, das Angelzeug eingepackt und war an die Küste geritten. Für den nächsten Abend hatte sich seine Schwester nebst Mann zum Essen angekündigt und da sollte es Sashimi geben. Er saß bereits seit geraumer Zeit auf seinem Stammfelsen in einem bequemen Klappstuhl und döste mit tief ins Gesicht gezogener Mütze.
Er hatte zum wiederholten Mal seine Angel mit dem Spezialköder, einer Mischung aus altem Käse und Madenmehl, ausgeworfen, aber außer ein paar kleinen Makrelen hatte er noch nichts gefangen, was der Rede wert gewesen wäre. Seine Laune drohte in den Keller zu rutschen.
Beim nächsten Mal werde ich das Boot nehmen und einen Thun holen, schmeckt eh am besten, dachte Marenko trotzig.
Er hasste Misserfolge.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Er würde sich bald auf den Rückweg machen müssen, wenn er pünktlich zur Ratssitzung zurück sein wollte. Außerdem wurde ihm allmählich zu warm auf seinem Felsen. Dieser Oktober versprach wirklich golden zu werden. Heute wollte er verkünden, dass er bei der nächsten Wahl zum Bürgermeister nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Sollte mal jemand anderer die Arbeit machen. Er war mehr als zehn Jahre im Amt gewesen und sein Bestreben war es jetzt, in den Ältestenrat der Kuffer gewählt zu werden. Diesen Beschluss hatte er auf der letzten großen Versammlung in Seringat gefasst. Jelena hatte damals einen sehr gebrechlichen Eindruck auf ihn gemacht, außerdem hatte sie die 90 längst überschritten. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis ihr Platz frei werden würde.
An Bord der U-57 wandte sich der Erste Offizier an seinen Kapitän. »Sir, wenn dieser Angler nicht bald zusammenpackt und verschwindet, haben wir einen Zeugen … sollen wir ihn …?«
»Nein, Officer, lassen Sie mal, unsere Passagierin müsste bald da sein. Sollen ihm vor Staunen ruhig die Augen aus dem Kopf fallen. Was soll so ein Hinterwäldler schon machen? Wahrscheinlich glaubt ihm sowieso niemand diese Geschichte.« Der Kapitän blickte auf einen Bildschirm und lächelte.
»Soll er vielleicht seine Angel nach uns auswerfen?« Er lachte über seinen Witz und Fin Muller stimmte ein.
»Es war gut, Sir, dass Dennis unseren anderen Gast schon am frühen Morgen an Land gebracht hat … bevor dieser Angler da war. Frau Ferrer dürfen wir ja mit offizieller Genehmigung dieses Weltenrates an Bord nehmen, was immer das auch für ein Rat sein soll. Dennis müsste jeden Moment zurück sein. Er hat sich eben gemeldet. Er hat lange suchen müssen, bevor er eine geeignete Stelle gefunden hat, sagt er. An der vorgesehenen Stelle seien zu viele Fischerboote unterwegs gewesen. Aber Sisko ist letztendlich unentdeckt an Land gegangen.«
»Nun, wenn der Angler Sisko gesehen hätte, dann hätten wir sicherlich handeln müssen.«
»Frau Ferrer sollte eigentlich jeden Moment da sein … na sehen Sie, Sir, kaum spricht man vom Teufel … Dort oben, am Waldrand, da ist sie ja.« Fin Muller zeigte auf einen anderen Bildschirm.
Das Wiehern eines Pferdes riss Marenko plötzlich aus seinen Gedanken. Lando konnte es nicht sein, denn der hatte sich eben noch in der Nähe lustvoll schnaubend im Sand gewälzt.
Das Wiehern war aus einer anderen Richtung gekommen.
Vorsichtig spähte er um die Felsenspitze herum, um zu sehen, wer dort oben auf dem Hügel unterwegs war.
Da laus mich doch der …, dachte er bei sich, nachdem er einen Blick durch sein Fernglas geworfen hatte. Die beiden Turteltäubchen aus Seringat kommen dahergeritten …was die wohl hier wollen? Jedenfalls müssen sie sehr früh aufgebrochen sein … einige Stunden brauchen sie bis hierher.
Er hielt es zunächst einmal für ratsam, in Deckung zu bleiben, auch weil er die beiden nicht stören wollte. Außerdem sagte ihm sein Bauchgefühl, auf das er sich meist verlassen konnte, dass hier gerade etwas Ungewöhnliches vor sich ging.
Er holte seine Angel ein und justierte sein Fernglas nach.
Seine Neugierde war nun vollends entfacht. Er sah, wie die beiden von ihren Pferden abstiegen und am Waldrand stehen blieben. Sie umarmten sich lange und küssten sich. Dann schulterte Nikita einen Rucksack und nahm einen großen braunen Umschlag aus einer Satteltasche. Ohne sich noch einmal umzudrehen, begann sie, den Pfad zum Strand hinabzulaufen.
Effel blieb mit den Pferden zurück.
Weint sie etwa? Jetzt wird es interessant, dachte Marenko.
Bin mal gespannt, was sie hier zu suchen hat. Nach einem Picknick sieht es jedenfalls nicht aus, eher nach einem Abschied.
Moment mal, sie hat diesen braunen Umschlag … sie wird doch nicht wirklich die Pläne bekommen haben … und jetzt geht es wieder in die Heimat? Will sie etwa nach Hause schwimmen?
Dann sah er, dass Nikita winkte, aber nicht zu Effel zurück, sondern zum Wasser hin. Noch vielleicht hundert Fuß trennten sie jetzt vom Strand.
»Was ist denn hier los?«, murmelte Marenko. Und als er sich umdrehte, um zu sehen, wem Nikita da zuwinkte, sah er zunächst nur etwas Längliches aus dem Wasser ragen.
Ein Seeungeheuer, war das Erste, was ihm durch den Kopf schoss, aber kurz darauf identifizierte er es als Periskop. In der Schule waren früher genügend Kriegsfilme gezeigt worden.
Deswegen war er auch nicht überrascht, dass der Turm folgte, der allerdings größer war als alles, was er bisher gesehen hatte.
Kurz darauf tauchte etwas auf, das den Schiffen aus den alten Filmen zumindest ähnelte. Vielleicht 500 Fuß entfernt lag ein riesiges U-Boot ganz ruhig in der sanften Dünung.
Marenko stockte der Atem.
»Das war es wohl für heute mit dem Fischen«, murmelte er, nachdem er sich von seinem ersten Schreck erholt hatte.
Fast im gleichen Moment bog von seiner linken Seite her ein Schlauchboot um den Felsen. Es musste von einem starken Außenbordmotor angetrieben werden, wie man an der Bugwelle erkennen konnte. Zu hören war der Motor aber nicht.
Ein Mann in Uniform steuerte es. Er ließ es geschickt auf den Sandstrand gleiten, stieg aus und salutierte vor Nikita. Die beiden begrüßten sich jetzt per Handschlag und sie bestieg flink das Boot.
»Da laus mich doch … sie holen sie tatsächlich ab«, murmelte Marenko.
Er schaute durch sein Glas zum Waldrand zurück. Dort sah er Effel noch einen Moment ganz ruhig dastehen, aber kurz darauf konnte er ihn mit hängenden Schultern, die Pferde am Zügel führend, langsam im Wald verschwinden sehen. Er wollte gerade das Glas absetzen, als er eines Schattens gewahr wurde, der sich gerade von Effel wegbewegte.
Hmmm, komisch, war da jetzt noch jemand oder nicht? Da war doch gerade die Silhouette einer Frau gewesen … aber vielleicht war es auch bloß das Schattenspiel eines Baumes, kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben, falls da jemand gewesen sein sollte. Na, jedenfalls hat Nikita bekommen, was sie wollte, und jetzt wird sie abgeholt … einfach so? Wie gemein. Dann hat der Rat der Welten ihr also die Erlaubnis erteilt … das hätte ich nie gedacht. Der Junge da oben tut mir leid, hat sich wohl richtig verknallt in sie. Aber woher kam der Mann in diesem kleinen Boot? Es kam von dort drüben, nicht direkt vom U-Boot. Was hat er dort gemacht? Zum Angeln war er sicher nicht dort. Er wird doch hoffentlich nicht noch jemanden abgesetzt haben? Ähnlich sehen würde es denen ja.
Wenn das der Fall sein sollte, wird es mit der Ruhe hier vorbei sein.
Er schirmte mit einer Hand seine Augen vor der Sonne ab und schaute sich um. Von seinem Platz aus wurde er Zeuge, wie Nikita über eine herabgelassene Leiter auf das U-Boot kletterte. Auf der Brücke wurde sie von zwei Männern empfangen, die ebenfalls vor ihr salutierten. Einer der beiden trug eine schneeweiße Uniform mit goldenen Schulterklappen.
Kurz darauf waren alle durch die geöffnete Luke