Namen machen Leute. Gabriele Rodríguez

Namen machen Leute - Gabriele Rodríguez


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Anfragen zu Familiennamen.

      Die Namenforschung oder auch »Onomastik« hat eine lange Tradition an der Universität Leipzig. Seit etwa 100 Jahren wird auf diesem Gebiet geforscht, und seit 1991 ist es möglich, das Fach an der Universität Leipzig zu studieren. Im Jahr 1990 wurde darüber hinaus die »Deutsche Gesellschaft für Namenforschung e.V.« gegründet.

      Aber schon seit den 1960er-Jahren existiert eine Namenberatungsstelle, die Auskunft zu allen Fragen rund um das Thema »Namen« gibt. Lediglich zwischen 1990 und 1994 musste sich unsere Universität neu sortieren und orientieren.

      Da sich jedoch ein großer Bedarf an Beratung vor allem zu Personennamen zeigte, wurde die Stelle im Jahr 1994 neu eingerichtet – anfänglich als ABM-Maßnahme. Mehr oder weniger zufällig bekam ich diesen Posten, nachdem mein Universitätsvertrag ausgelaufen war und ich zwei Jahre in einem Projekt der Zentralstelle für Genealogie gearbeitet hatte. Zuvor hatte ich nie etwas von Namenberatung gehört.

      Im Jahr 1995 berichtete eine Journalistin der Deutschen Presse- Agentur (dpa) über meine Arbeit und über die ersten kuriosen Namenwünsche wie Crazy Horse und Borussia, die ich bearbeitete. Danach wurden die Anfragen immer mehr. Sie kamen aus ganz Deutschland und dem Ausland (vor allem aus Österreich und aus der Schweiz).

      Um die Stelle langfristig zu finanzieren, haben wir im Jahr 1999 Gebühren für schriftliche Auskünfte und Gutachten eingeführt. 2001 kam ein gebührenpflichtiges Telefon dazu. Und das kam so: Am 26. Oktober 2001 stand mein Telefon nicht still. Alle wollten Auskünfte zu den männlichen Vornamen Jaden und Gil haben. Reporter von Fernsehen und Radio standen Schlange für ein Interview. Ich dachte damals, wir müssten einen dieser Automaten haben, an dem sich jeder eine Nummer ziehen kann. Grund war die Geburt des Sohnes von Steffi Graf und Andre Agassi – und seine Vornamen, eben Jaden und Gil, denn die kannte hierzulande niemand.

      Dabei gab es den alten friesischen Namen Jaden, sowie die Kurzform Gil von Gilbert oder Gilian schon viel früher. An diesem Tag im Oktober habe ich kein einziges Gutachten schreiben können. Ich gab nur mündliche Auskünfte. Kostenfrei. Am Abend sagte ich, schon leicht ermattet, zu meinem damaligen Chef, Professor Jürgen Udolph: »Wenn wir jetzt Geld für jede Auskunft bekommen hätten, dann hätte sich das gelohnt.« Er kam dann auf die Idee, ein kostenpflichtiges Beratungstelefon für mündliche Auskünfte einrichten zu lassen, um unsere Arbeit zu finanzieren.

      Auch nach über 20 Jahren, die ich nun mit dem Thema »Namen« verbringe, wird es mir nicht langweilig. Ich lerne immer neue Namen und Aspekte der Namengebung kennen. In der ersten Zeit meiner Tätigkeit musste ich noch viel über fremde Namensysteme dazulernen. Zwar wurde ich in meinem Studium der Sprachwissenschaft mit vielen Sprachen konfrontiert, aber mit Namen eher weniger. Zugutekamen mir mein Studium der Slawischen Philologie (mit Spezialfächern wie etwa »Tatarisch«) in der damaligen Sowjetunion und ein Erweiterungsstudium der Romanistik.

      Es ist schon ziemlich hilfreich, mehrere Sprachen zu sprechen.

      In den ersten Jahren konnte ich mir noch nicht vorstellen, dass Eltern ihren Kindern einmal Namen aus den entlegendsten Gegenden der Welt geben würden. Ich bekam viele Anfragen zu Vornamenlisten. Die einen wollten französische Vornamen, die anderen japanische Vornamen, wieder andere hawaiische Vornamen. Manche suchten Vornamen aus der schöngeistigen Literatur. In den 1990er-Jahren gab es noch nicht so viele Vornamenbücher wie heute. Die Eltern waren auf der Suche nach einem besonderen Namen, den sie aber in diesen Büchern nicht fanden. Auch war damals die Suche im Internet noch nicht möglich oder unüblich.

      Man findet ja heute im Internet Namen aus der ganzen Welt. Es gibt zahlreiche Vornamenseiten und Foren. In den 90er-Jahren hatte ich noch mehr Zeit und habe vielen Eltern mit ganz speziellen Namenlisten geholfen. Die Wartezeit beim Arzt habe ich zum Beispiel genutzt, um Namenbücher nach bestimmten Vornamen bzw. nach verschiedenen Aspekten zu durchsuchen. In unserer Beratungsstelle haben wir unter anderem Listen mit Vornamen aus der schöngeistigen Literatur, romanische und griechische Vornamen, asiatische Vornamen, friesische Vornamen, »intelligente« Namen, Namen von Göttern, indianische Namen, englische und angloamerikanische Vornamen, Namen, die mit Y- und J- beginnen, männliche Vornamen, die mit D- beginnen sowie Vornamen in der Bedeutung »Gottesgeschenk« oder mit den Bedeutungselementen »Bär« und »Stärke«. Ich war schon oft sehr gefordert, da die Wünsche teilweise äußerst speziell waren. Zum Beispiel der hawaiische Name Keanu, der in den 1990er- Jahren durch Keanu Reeves, den kanadischen Schauspieler mit hawaiischen Wurzeln, nach Deutschland gekommen war. Ungewöhnlich für das Deutsche war die Endung des Namens. Ich bekam 1995 die Anfrage – und hatte keine Ahnung.

      Zuerst dachte ich an die englisch-irischen Namen Kean oder Keane. Allerdings werden die ganz anders ausgesprochen. Internet hatte ich damals noch nicht, also ging ich in die Universitätsbibliothek und wälzte Bücher. In der Zwischenzeit hatte sich die Mutter eine Bestätigung des Namens aus Honolulu besorgt und legte sie mir vor. Damit war klar: Es handelt sich um einen hawaiischen Namen. Ich arbeitete mich in die Sprache und das dortige Namensystem ein, auch nachdem die Anfrage bearbeitet war. Dies hilft mir heute noch. Wenn Eltern mir erzählen, dass Tane ein hawaiischer Name sei, kann ich dies verneinen, da die hawaiische Sprache kein T kennt. Die entsprechende hawaiische Form lautet Kane. Allerdings kommt Tane im polynesischen Raum vor, nur eben nicht auf Hawaii.

      Einmal suchte ein Vater für seine Tochter einen biblischen Namen mit einer besonderen Bedeutung. Ich musste passen. Solche Listen hatte ich nicht. Er erzählte mir, dass sich er und seine Frau bis zur Geburt keinen Namen für das Kind ausgesucht hätten. Sie wollten sich das Kind anschauen und dann erst nach einem Vornamen mit den Eigenschaften des Kindes suchen. Zudem sollte es ein Name aus der Bibel sein. Was tun? Ich gab ihm das Büchlein »Die Namen der Bibel« und schlug ihm vor, dieses durchzuarbeiten. Er verbrachte einen ganzen Tag in der Beratungsstelle, schrieb sich einige Namen heraus und wollte sie dann seiner Frau präsentieren. Leider habe ich nie erfahren, welchen Vornamen die Tochter bekommen hat.

      Seit dieser Zeit schaue ich mir die Babys, mit denen Eltern zu mir kommen, genau an und finde, dass die meisten Eltern doch den riehtigen Namen gewählt haben – er passt. Einmal kam ein deutsch-russisches Elternpaar zu mir, die ihren Sohn Dimir nennen wollten. Die Mutter hatte einen tatarischen Migrationshintergrund und wählte diesen Namen, der übrigens auch in den Schreibformen Demir, Temur, Timur und Timor vorkommt und auf das turksprachige »temir« in der Bedeutung »Eisen, der Eiserne« bzw. auch »stark, standhaft« zurückgeht. Der kleine Junge hatte ein schönes Gesicht mit großen Pausbacken. Er war groß und kräftig. Die Bedeutung des Namens passt, dachte ich mir. Ähnlich war es bei den Eltern, die ihre Tochter Naima nennen wollten. Naima ist eine weibliche Bildung zum arabischen männlichen Namen Naim in der Bedeutung »weich, zart, zärtlich, fein; sorglos; Glück, Annehmlichkeit, glücklich im Leben«. Naima kann dann mit »die Zarte, Feine, Glückliche« übertragen werden. Im Kinderwagen lag ein kleines, sehr zartes Mädchen.

      Ab und zu erhalte ich auch Anfragen von Autoren, die ein Buch schreiben. Sie suchen nach Vornamen für ihre Figuren. So spielte eine Geschichte zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg, und die Autorin fragte nach den häufigsten Vornamen 1947 und 1948 in Berlin. Auch bei solchen Anfragen versuche ich zu helfen.

      Heute erkundigen sich viele Eltern bei mir, viel öfter als noch vor zehn Jahren, ob der gewählte Vorname zum Familiennamen passt, ob er vielleicht zu den sogenannten »Unterschichten-Namen« gehört oder einfach, wie ich die gewählte Namenkombination finde.

      Eine Mutter rief mich beispielsweise aus dem Raum München an und erkundigte sich nach dem männlichen Vornamen Gustav. Auch dieser Name erlebt heute eine Renaissance. Das Problem der Mutter lag darin, dass die Verwandtschaft meinte, Gustav hätte in Bayern keine Tradition. Sie brauchte Gegenargumente. Gustav wurde sehr wohl auch in Bayern häufig vergeben. Belege gibt es schon seit dem 18. Jahrhundert für Süddeutschland. In München gehörte Gustav um 1900 sogar zu den zwanzig häufigsten männlichen Vornamen. Eine bekannte bayrische Koseform dieses Namens lautet Gustl, bekannt auch durch den bayrischen Schauspieler Adolf Gustav Rupprecht Maximilian Bayrhammer, genannt Gustl Bayrhammer (geboren 1922). Und mein Lieblingsmaler Gustav Klimt (geboren 1862 in Wien) trägt auch diesen Namen.

      Die Eltern sind immer wieder erstaunt,


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