Namen machen Leute. Gabriele Rodríguez

Namen machen Leute - Gabriele Rodríguez


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Schichten. Was neu ist: Er wird nicht mehr nur als unoriginell empfunden, nein, seit etwa 20 Jahren bekommen solche Namen – und da sind wir wieder beim »Kevinismus« und dessen Anfängen – auch schnell etwas ganz Negatives mit. Wenn ein Name unten angekommen ist, dann ist er nicht mehr nur langweilig, sondern auch gleich ein Ausdruck für Dummheit oder Faulheit. Warum das erst seit etwa 20 Jahren so ist, ist schwer erklärbar. Eine Rolle spielen sicher Boulevardmedien (Privatfernsehen) und der Comedyboom, der solch griffige Opfer braucht, um Witze zu transportieren. Der Komiker Michael Mittermaier sagte in einem Programm: »Nur Drogenkinder und Ossis heißen Kevin.« Dabei kommt der Vorname Kevin im Westen Deutschlands viel häufiger vor.

      Das Internet ist ein weiterer wichtiger Grund, warum Namen heute schnell stigmatisiert werden. Via Facebook oder anderen sozialen Netzwerken geht das heute ganz schnell. So wurde der Name Kevin schließlich zum Synonym des »prolligen Hartz-IV-Kindes«. Bei den Mädchen machte derweil Chantal eine ähnliche »Karriere«. Und mich rufen besorgte Eltern aus gehobenen Schichten an, ob der Name, den sie sich für ihr Kind ausgesucht haben, denn auch schon gefährdet sei.

      Erstaunlich ist, dass Kevin in der Unterschicht trotzdem lange ein beliebter Vorname blieb. Dafür ist ein weiteres Phänomen verantwortlich: Während die einen sich längst lustig machen über den Kevin und die Chantal, kommt das in den bildungsferneren Schichten zunächst gar nicht an. Sie haben wenig Kontakt mit denen, die sich über sie lustig machen, sie lesen nicht diese Zeitungen und sehen auch nicht deren Fernsehprogramm. Auch das Verständnis für Ironie und Sarkasmus ist eben nicht so ausgeprägt. Sie bewegen sich vielmehr in Gruppen von Menschen, die (oder deren Kinder) ebenfalls außergewöhnliche oder gar »verrufene« Vornamen haben, und es fällt ihnen nicht weiter auf, dass ihr Name als bildungsfern gilt.

      Eine weitere Pointe erhielt das Thema 2009 durch eine Masterarbeit einer Lehramtsabsolventin. Darin befragte sie Grundschullehrer über ihre Namenvorlieben und ihre Assoziationen diesbezüglich. Auch vorgegebene Namen ließ die Absolventin die Lehrer bewerten. Das Ergebnis: Viele Lehrer haben tatsächlich Vorurteile, und sie bewerten Kinder, die Unterschicht-Namen tragen als eher weniger leistungsstark und verhaltensauffälliger. Angeblich hinterfragten 94 Prozent der Lehrer diese Vorurteile kaum. Besonders freundlich und leistungsstark seien dagegen Jungs mit den Namen Alexander, Maximilian, Simon, Lukas oder Jakob; wie auch Mädchen mit Namen wie Charlotte, Nele, Marie, Emma oder Katharina. Eher schlecht bewertet werden hier Chantal, Justin, Dennis, Marvin oder Jacqueline. Absoluter Negativsieger aber ist Kevin. Eine Lehrerin notierte in der Befragung: »Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose.«1

      Diese Studie und ihr Resultat samt der plakativen Kommentare wurden kritiklos und nur in Teilen von den Medien aufgenommen und verbreitet. Betrachtet man die Studie genauer, muss man aus wissenschaftlicher Sicht dazu feststellen: Exakt 1864 Personen haben teilgenommen. Reduziert auf die Grundschullehrerinnen und -lehrer wurden nur 500 Datensätze berücksichtigt. Davon stammten mehr als die Hälfte der Befragten aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Aus den ostdeutschen Bundesländern beteiligten sich gerade mal sechs Prozent aller Befragten. Dies ist für eine bundesweite Befragung doch sehr unausgeglichen. Der Aspekt der regionalen Unterschiede bei der Vornamengebung sowie Wahrnehmung konnte damit nicht berücksichtigt werden. Die Wahrscheinlichkeit von Verhaltensauffälligkeit und Leistungsschwäche wird Kindern mit den Vornamen Kevin (54 Prozent), Justin (21 Prozent) sowie mit zehn Prozent und weniger Dennis, Marvin, Jacqueline, Chantal, Marcel, Pascal, Maurice, Cedric, Patrick, Michelle, Steven, Jennifer und Mandy zugeschrieben. Die positiv assoziierten Vornamen Alexander, Maximilian, Charlotte, Marie und Maria haben dagegen eine jahrhundertelange Tradition in Deutschland und werden meist als zeitlose, schöne Vornamen empfunden.

      Von wegen bildungsfern: Dle Namen aller Studenten, die in Leipzig 2016 im Wahlbereich »Onomastik« (Namenforschung) ihr Studium begannen.

      Von den Befragten in der Studie werden kurioserweise auch die Vornamen Maximilian, Leon, Lucas, Niklas, Philipp, Luca, Alexander, Celina, Robin, Tim und Mark teilweise als negativ angegeben. Diese Vornamen sind in den letzten Jahren regelmäßig in den Listen der am häufigsten vergebenen Vornamen enthalten. Und bei so häufigen Vornamen kommt es schon mal vor, dass auch verhaltensauffällige und leistungsschwache Kinder dabei sind. Zugegeben: Es ist schon etwas dran, dass englischsprachige Vornamen heute eher von bildungsärmeren Schichten bevorzugt werden. Befreundete Lehrerinnen haben mir das bestätigt. Allerdings ist es längst nicht mehr der Kevin, der im Unterricht negativ auffällt, sondern heute vor allem auch Jeremy, Justin, Jason, Lennox oder Maddox. Dass hier nur Jungennamen aufgelistet sind, liegt sicher auch daran, dass Jungen doch eher etwas lebhafter sind.

      Das Phänomen des »Kevinismus« findet man aber auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich und Österreich. In einem Artikel über die französische Namengebung wird »Kevin« ebenso der bildungsfernen Schicht zugeschrieben2. Er hat in Frankreich eine ähnliche unerfreuliche Entwicklung erfahren wie in Deutschland. Auch in Österreich findet man bei der gebildeten Schicht eine traditionelle Namengebung. Da fallen die Vornamen Kevin, Marvin, Justin und Jennifer sofort als Unterschichtennamen auf.

      Im Jahr 2006 schickte mir eine österreichische Freundin und Kollegin einen Artikel über das Unterschichtenproblem in Österreich. Ein Abschnitt war den sogenannten Unterschichtennamen gewidmet. Da tauchte für mich zum ersten Mal der Begriff »Kevinismus« auf, da Kevin hier ein beliebter Vorname war. Ich fand dies sehr amüsant. Einige Zeit später gab ich mal wieder ein Interview zu Vornamen für eine deutsche Zeitung und merkte nebenbei an, dass die österreichische Presse den Begriff »Kevinismus« geprägt hat. Der Journalist war verblüfft, denn er kannte diesen Begriff nicht. Und kurze Zeit später, im Jahr 2007, wurde der Begriff dann auch in Deutschland von den Medien verwendet. Womöglich bin ich also mitschuldig daran, dass er nach Deutschland kam. Für die Mädchen kam analog dazu der »Chantalismus« auf. Ich persönlich finde diese Bezeichnungen nicht sehr schön. Übrigens sagte mir letztens ein österreichischer Journalist, dass die Gegenbewegung zum »Kevinismus« in Österreich nun der »Emilismus« ist. So, wie sich gebildete Leute über englischsprachige Namen lustig machen, findet man auch weniger gebildete Menschen, die die Vornamen der Akademiker als sehr hochtrabend sowie die wiederkommenden altdeutschen Vornamen als altmodisch bezeichnen.

      Und so griffig der »Kevinismus« auch mittlerweile ist, so falsch ist der Begriff letztlich auch. In einer Untersuchung von 2012 habe ich mir die Statistiken der Universität Leipzig vorgenommen und sie ausgewertet. Da ist der Zusammenhang zwischen Vornamen und Bildungsgrad nicht so ausgeprägt. Oder anders gesagt: Ich habe auch promovierte Akademiker mit Vornamen Kevin gefunden.

      2013


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