Namen machen Leute. Gabriele Rodríguez

Namen machen Leute - Gabriele Rodríguez


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die Namen in der Regel nicht nach ihrer Bedeutung wählen. In den meisten Fällen sind es der Wohlklang und die positiven Assoziationen zum Namen. In bestimmten Zeiten werden ähnliche Klangmuster bevorzugt. Man nehme nur die heute beliebten männlichen Vornamen Christian, Sebastian, Florian, Julian, Fabian und Maximilian, die alle auf »-ian« enden. Mädchen werden oft auch mit dem Namen »geschmückt«. Man denke nur an die vielen weiblichen Vornamen, die auf Blumenbezeichnungen oder Edelsteinnamen zurückgehen.

      DA KOMMT WAS ZUSAMMEN

      Eine halbe Million Vornamen haben wir mittlerweile in unserer Datenbank. Und jedes Jahr kommen gut 1000 dazu. Heute verfügt das »Namenkundliche Zentrum« der Universität Leipzig über eine moderne Ausstattung, eine eigene Bibliothek sowie über eine digitale Datenbank, ohne die die bis zu 3000 Anfragen im Jahr nicht zu bewältigen wären. Ich habe mich mittlerweile vor allem auf Vornamen spezialisiert, gebe aber auch telefonische Auskünfte zu Familiennamen und anderen Namenarten.

      Seit über zehn Jahren ist die Namenberatung der Universität nun auch auf Messen wie »Baby & Kids« sowie auf Genelogentagen präsent. Neben dieser Arbeit halte ich Vorträge und Workshops auf Messen, in Schulen, in der Universität, in Bildungseinrichtungen, bei Vereinen, Behörden und Standesämtern. Die wissenschaftliche Arbeit darf dabei nicht zu kurz kommen. Es werden Statistiken erstellt und die gesammelten Daten zur Verwendung in der Namenberatung ausgewertet. Am interessantesten sind die Tagungen, Konferenzen und Kongresse, an denen ich teilnehme und bei denen ich Vorträge halte. Man tauscht sich mit Kollegen aus der ganzen Welt aus. Mittlerweile habe ich zahlreiche Kollegen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Österreich, Russland, aus der Ukraine, aus Spanien, Frankreich, Mexiko oder Kuba, mit denen mich eine enge Freundschaft verbindet. Die Teilnahme an Tagungen und Kongressen dient der Weiterbildung, dem Austausch und der Präsentation der Arbeit der Namenberatungsstelle.

      Auf Reisen bin ich immer auch auf der Suche nach neuen Namen sowie nach neuen Namenbüchern. Ein Namenforscher kann wohl nie abschalten, was Namen angeht. Jedes Namensschild, jeder gehörte oder gelesene Name wird sofort analysiert. Jedenfalls geht es mir so, und ich habe mein privates Umfeld schon angesteckt. Da kommen schon mal Fragen: Was ist denn »Tipporn« für eine Name, oder ist das überhaupt ein Name? Hast du schon den weiblichen Vornamen »Rahaf« in deiner Datenbank? Ich war letztens in »Geilenkirchen«, merkwürdiger Ortsname, oder? Wie kommen denn solche Doppelfamiliennamen wie »Peter-Silie« oder »Lange-Poppen« zustande? Und, und, und … Das Thema betrifft ja auch jeden persönlich. Ich erzähle gern über Namen. In mehr als zwanzig Jahren hat sich eine Menge Wissen zu diesem Thema angesammelt. Einmal sagte man mir, ich wäre diesbezüglich ein wandelndes Lexikon. Aber es kommt schon vor, dass ich doch mal vom Thema Namen abschalten möchte und keine Lust auf das Erklären derselben habe. Dann antworte ich, auf die Frage, was ich beruflich mache, einfach nur mit: »Ich arbeite an der Uni!«

      Meine Arbeit ist interessant, abwechslungsreich und voller Überraschungen. Wenn ich früh zur Arbeit gehe, weiß ich nie, was mich an diesem Tag erwartet. Welche E-Mail-Anfragen kommen, wer anruft und warum, welche Eltern mit ihren Babys vorbeischauen.

      Viele Leute finden meine Arbeit toll. Es gibt aber auch traurige Momente: wenn ich zum Beispiel einen Vornamen für ein tot geborenes Kind bestätigen soll. Da bin ich immer froh, wenn die Standesbeamten mich anrufen und nicht die betroffenen Eltern. Aber einmal meldete sich auch ein Vater und wollte den Namen für sein Kind bestätigen lassen. Am Ende sagte er: Es ist leider bei der Geburt gestorben. Für mich ist das immer ein Schock. Wenn ich ihm mein Beileid ausdrücke, hilft ihm das wohl wenig. Wenigstens dürfen diese Sternenkinder auch ihren eigenen Vornamen bekommen.

      Es gab auch einen Fall, da wurde ich um geschlechtsneutrale Vornamen gebeten, die man gleichermaßen Jungen und Mädchen geben kann. Der Standesbeamte wollte sogar auf einen eindeutigen Zweitnamen verzichten.

      Der Vater erzählte mir, dass sein Kind mit beiden Geschlechtsmerkmalen auf die Welt gekommen sei. Man könne noch nicht sagen, in welche Richtung sich das Kind entwickeln würde. Die Ärzte legten den Eltern nahe, sie sollen sich schon einmal in eine Richtung orientieren. Für die Eltern eine schlimme Situation. Der Vater konnte sein Herz bei mir ausschütten. Und ich erstellte ihm eine Liste geschlechtsneutraler Namen. Leider bekomme ich nie eine Rückmeldung. Die Lebensgeschichten bleiben für mich ohne Ausgang.

      Manchmal jedoch werde ich auf Baby-Messen, auf denen ich oft die Namenberatung präsentiere und Vorträge zur Vornamengebung gehalten habe, auch überrascht. Eltern präsentieren mir ihre Kleinoder Schulkinder, denen ich vor Jahren den Vornamen bestätigt habe. Einmal bekam ich auch einen Brief von Jonael, der sich dafür bedankte, dass ich 2001 den Vornamen Jonael bestätigt habe.

      Als Namenberaterin muss man eigentlich immer im Dienst sein. Ich bekomme oft Anfragen von Journalisten, die ganz schnell Informationen zu einem aktuellen Thema brauchen. Letztes Jahr kamen Leute vom Fernsehen sogar am Wochenende zu mir in den Garten, um ein Interview aufzunehmen, das noch am gleichen Tag gesendet werden sollte. Und auch im Urlaub hat man nicht immer Ruhe vor den Radio- und Fernsehleuten. 2008 rief mich ein Radiosender an, ich machte gerade einen Spaziergang durch Madrid. Oder im Juni 2015, als die Namen Sturmhart Siegbald Torsten, zuvor fälschlicherweise Sturmhorst, durch die Medien gingen, musste ich einige Anfragen zu diesen Namen beantworten. Es war der letzte Arbeitstag vor meinem Urlaub. Am nächsten Tag auf der Fahrt zum 200. Jubiläum der Schlacht von Waterloo in Belgien wollte ein privater Fernsehsender unbedingt noch eine Stellungnahme zu diesen Namen vor der Kamera. Ich sagte, dass dies leider nicht möglich ist, da ich mich auf dem Weg nach Belgien befinde. Sofort kam die Rückfrage: Wo sind Sie gerade? Ich antwortete: Auf der Autobahn kurz vor Kassel. Zu meinem Erstaunen kam sofort die Antwort: Da haben wir auch ein Studio und können ihnen ein Team schicken. Also gab ich ein Interview auf einem Rastplatz Nähe Autobahn bei Kassel. Was tut man nicht alles für die Journalisten, die nie Zeit haben und immer aktuell sein müssen. Zum Glück sind das aber Ausnahmen.

      Interessant ist, dass sich Kinder und Eltern bei der Auswahl des Vornamens schon von Geburt an in einem Konflikt befinden. Die Eltern, das ist die Tendenz der letzten Jahre, wollen etwas Einzigartiges und Außergewöhnliches finden. Sie möchten, dass sich ihr Kind von anderen abhebt – mit einem besonderen, symbolischen, individuellen Vornamen.

      Die Kinder aber, und das bedenken leider viele Eltern nicht, empfinden anders. Sie wollen sowohl im Kindergarten als auch in der Schule eigentlich so sein wie die anderen. Eben gerade nichts Besonderes. Für Kinder und Heranwachsende ist es wichtig, dazuzugehören und sich nicht von den Altersgenossen abzuheben. Und viele der ach so originellen und einzigartigen Vornamen stellen diese Verbindung zu anderen nicht her und sorgen im schlimmsten Fall sogar dafür, dass das Kind gehänselt oder ausgeschlossen wird. Auch daran sollten Eltern denken, bevor sie mit Vorschlägen kommen, wie sie beispielsweise im Anhang dieses Buches (siehe Seite 206 ff.) aufgelistet sind.

      Ich mache meinen Beruf mittlerweile so lange, dass mich viele Standesämter kennen und sagen: »Wenn Leipzig das genehmigt, dann tragen wir das ein.« Entsprechend groß ist auch die Verantwortung, die ich habe. Letztendlich aber kann auch ich immer nur eine Einschätzung abgeben – und eine Empfehlung an das Standesamt. Entscheiden wird jedoch immer das Amt selbst. Oder wenn die Eltern so weit gehen wollen: das Gericht.

      Wie sieht nun die Praxis bei den Standesämtern aus, wonach richten sie sich? Grundsätzlich gibt es in Deutschland eine freie Vornamenwahl. Diese wird von den Standesämtern kontrolliert, die allerdings angehalten sind, die gewünschten Vornamen nach drei Kriterien zu überprüfen:

      1. Vornamencharakter: Der Name muss ein Vorname sein oder als solcher erkennbar sein. Dabei sind Neubildungen allerdings möglich.

      2. Geschlechtseindeutigkeit: Bei nicht eindeutigen Vornamen muss ein weiterer eindeutiger Vorname dazugegeben werden. In den letzten Jahren weicht dieses Kriterium aber mehr und mehr auf. Geschlechtsneutrale Vornamen werden mittlerweile auch ohne Zweitnamen eingetragen.

      3. Wohl des Kindes:


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