Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie. Christopher Germer
Liebe gelenkt wird (Harvey, 2000). Dieses Denken ist die Kraft der Absicht, die Rechte Rede, Rechtes Handeln und Rechten Lebensunterhalt motiviert (Harvey, 2000; Rahula, 1982). Diese prägen wiederum die Art von Anstrengung, die man braucht, um diesen Pfad ganz zu gehen – der mitfühlende sanfte, Anteil nehmende Fokus auf disziplinierter Energie in Geist und Körper, die uns hilft, gesunde innere Zustände zu nähren und aufrechtzuerhalten. Rechte Konzentration ist die Kultivierung tiefer Ruhe durch fokussierte Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand der Meditation. Um diese Konzentration zu erreichen, lehrte der Buddha, neben anderen Gegenständen der Meditation, die Meditationen über Liebe bzw. Güte (mettā), Mitgefühl (karunā), Mitfreude (muditā) und Gleichmut (upekkhā) (Aronson, 1986, Anm. 6). Wenn diese inneren Zustände unparteilich und allumfassend in meditativer Konzentration kultiviert werden, werden sie zu den vier unermesslichen inneren Haltungen, von denen es heißt, dass sie dem Geist gewaltige Macht verleihen, Hindernisse zu überwinden, in Glück und Unbeschwertheit zu leben, den eigenen Fortschritt in allen Aspekten des Pfades zu unterstützen und in anderen das Potential für ähnliche innere Zustände zu erwecken (Aronson, 1986; Harvey, 2000).
Die vier unermesslichen inneren Haltungen
Vor dem Hintergrund solcher positiven Wirkungen hat der Theravāda-Buddhismus die Kultivierung der vier unermesslichen inneren Haltungen betont, die in Buddhaghosas klassischem Text Der Weg zur Reinheit (Buddhaghosa, 1975) systematisch erklärt wird. Hier ist Liebe (oder Liebende Güte) der offenherzige Wunsch, dass Lebewesen Glück und Wohlbefinden erleben. Er ist nicht zu verwechseln mit selbstbezogenem Anhaften oder mit dem Wunsch, jemanden besitzen zu wollen. Liebe unterläuft Tendenzen zu bösem Willen und Angst und wird deshalb als eine schützende Kraft für einen selbst und als ein schützender Einfluss auf andere charakterisiert.
Liebe
In der Kultivierung von Liebe durch Meditation, die Buddhaghosa beschreibt, wird der Wunsch für Glück und Wohlbefinden zuerst auf uns selbst gerichtet, da tiefe Selbstakzeptanz Bedingung dafür ist, dass man andere annehmen kann, die uns in ihrem Leiden und ihrem Wunsch, glücklich zu sein, gleich sind. Als Erstes rufen wir in uns positive Wünsche und Gefühle der Liebe und Akzeptanz für uns selbst wach, indem wir Sätze wie diese wiederholen: „Möge ich Wohlbefinden und Glück haben; möge ich frei von Feindschaft und Gefahr sein“ (siehe Kapitel 3). Wenn der Wunsch und das Gefühl der Liebe für einen selbst etabliert sind, dann ist es nur ganz natürlich, denselben Wunsch auch auf andere auszuweiten, wenn wir erkennen, dass andere auch glücklich sein möchten. Wir erweitern dann den Wunsch auf jemanden, der für uns sehr wichtig ist, wie ein besonders inspirierender Lehrer oder ein Mentor. Der Wunsch und das Gefühl der Liebe werden dann auf einen nahen Freund ausgedehnt. Wenn die Kraft der Liebe für solche lieben Wesen sich festigt, kann man sie auf Wesen richten, die uns weniger nahestehen: zuerst zu einer neutralen Person (zu jemandem, den man bisher als einen Fremden betrachtet hat, und der jetzt zum Ziel desselben Wunsches und des Gefühls der Liebe wird), dann zu jemandem, der sich uns gegenüber feindselig gezeigt hat. Zunehmend erkennen wir an, dass alle Lebewesen wie wir sind – würdige Empfänger von Liebe, egal, wie sie uns im Leben begegnen –, und weiten den Wunsch der Liebe fortschreitend auf sie aus, bis er buchstäblich alle Lebewesen im Universum einschließt. Dieser Fokus bringt unseren Geist in einen Zustand tiefer Versenkung, der mit einem Gefühl von etwas unermesslich Umfassendem, von Stabilität, Ruhe und Freude verbunden ist (Aronson, 1980; Harvey, 2000; Buddhaghosa, 1975; Salzberg, 2003). Diese Konzentration kann dann zu weiteren Ebenen meditativer Versenkung führen. Buddhaghosa war der Erste, der diese Praxis genau formuliert und systematisiert hat, die in Kapitel 3 (neben einer genauen Anleitung) als „Meditation Liebender Güte“ beschrieben wird.
Mitgefühl
Auf der Grundlage dieser Kultivierung von Liebe sind wir so weit, dass wir Mitgefühl, den praktischen Wunsch, Lebewesen mögen frei von Leiden sein, kultivieren können. Als eine geistige Kraft unterläuft Mitgefühl Tendenzen zu Grausamkeit. Man darf es nicht mit Traurigkeit über Leiden verwechseln, da das, was man Lebewesen aus Mitgefühl wünscht – innere Freiheit von Leiden –, als eine reale Möglichkeit innerhalb des Weges zum Erwachen gesehen wird. Wenn durch die Praxis der Liebe alle Wesen als liebenswert gesehen werden, und wenn man sich das Leiden, das sie durchmachen, bewusst macht, entsteht Mitgefühl ganz natürlich und von selbst. Weil man mit Liebe für sich selbst begonnen hat, geht man jetzt auch von mitfühlender Selbstakzeptanz aus. Buddhaghosa leitet uns an, uns zuerst auf jemanden zu konzentrieren, der intensives Leid erlebt, weil dieses Bild leicht und stark unseren mitfühlenden Wunsch hervorruft, dieser Mensch möge frei von seinem Leiden sein. Dann wenden wir uns innerlich mit demselben empathischen Gefühl und Wunsch von Mitgefühl einem Freund zu, dann einer neutralen Person und schließlich jemandem, der sich feindselig uns gegenüber verhalten hat. Zuletzt wird der Wunsch des Mitgefühls, wie bei der unermesslichen Liebe, auf alle Lebewesen ausgeweitet, und wird damit allumfassend und stabil und ist von Freude begleitet, während er sich zu zunehmend subtilen Ebenen meditativer Versenkung vertieft. Wir können Mitgefühl auf alle Lebewesen richten, auch auf jene, die gegenwärtig nicht sichtbar leiden, indem wir uns an ihr immer anwesendes Leiden der Vergänglichkeit und ihr Leiden aufgrund ihrer auf ein Selbst bezogenen Konditionierung erinnern (Harvey, 2000; Buddhaghosa, 1975).
Mitfreude
Liebe und Mitgefühl für Lebewesen führen von selbst dazu, dass wir uns an ihrem Glück freuen, deshalb wenden wir uns als Nächstes dieser Mitfreude zu. Die Qualität der Mitfreude, bei der man sich still am Glück anderer freut (statt sich übermäßig zu begeistern oder zu idealisieren), unterläuft Tendenzen zu Eifersucht und Abneigung, wenn es anderen vielleicht besser geht als uns. In der Praxis reflektieren wir erst über das Glück und den Erfolg eines nahen Freundes und freuen uns an seinem Glück mit Gedanken wie diesen: „Wie wunderbar! Wie schön!“ Dann wenden wir uns dem Glück eines neutralen Menschen zu und dann jemandem, der sich feindselig verhalten hat, schließlich allen Wesen überall.
Gleichmut
Gleichmut ist eine friedliche Ruhe angesichts der Höhen und Tiefen, denen alle Menschen ausgesetzt sind, ein Anerkennen, dass ihr Potential für Glück und Leiden von ihren Mustern von Absichten und Reaktionen auf Erfahrungen konditioniert sind (Harvey, 2000). Zu Gleichmut gehört auch die Kraft der Unparteilichkeit, die spürt, dass alle Wesen in ihrem Leiden und in ihrem Wunsch nach Freiheit von Not und in ihrem Potential, diese Freiheit zu verwirklichen, im Wesentlichen gleich sind. Diese Qualität unterstützt daher die unparteiliche Ausweitung von Liebe, Mitgefühl und Mitfreude auf alle Wesen. Obwohl Gleichmut aller Parteilichkeit den Boden entzieht, darf man ihn nicht mit Apathie verwechseln. Beim Lernen und Einüben von Gleichmut fokussiert man erst auf eine neutrale Person, dann auf jemanden, der uns nahesteht oder einen Freund, der uns lieb ist, dann auf eine feindliche Person und schließlich auf alle Wesen überall. Dieser unermessliche Gleichmut, sagt Buddhaghosa, wird auf der höchsten Ebene der meditativen Versenkung erreicht, und beruht auf den drei vorangegangenen Meditationen (Buddhaghosa, 1975).
Das Mischen von Gleichmut mit den anderen „unermesslichen inneren Haltungen“ hilft, ihre Reinheit zu erhalten. Zum Beispiel schützt Gleichmut die Liebe davor, zu einem selbstsüchtigen Klammern an ein Objekt der Zuneigung herabzusinken, und er schützt Mitgefühl davor, zu einem Gefühl von Überlegenheit oder zu Mitleid zu werden, und schließlich Mitfreude davor, sich zu einer ungeerdeten abgehobenen Begeisterung oder Idealisierung zu entwickeln. Wie in Kapitel 3 erwähnt ist Gleichmut als ein innerer Zustand auch mit Weisheit verbunden.
Die vier unermesslichen inneren Haltungen von Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut, die auf diese Weise kultiviert werden, werden oft auch als die „vier himmlischen Verweilzustände“ bezeichnet, als innere Zustände, die mit denen eines Gottes verwandt sind, wie sie in den alten indischen Erzählungen beschrieben werden. So wird nach dem frühen buddhistischen Verständnis und im Verständnis des Theravāda Mitgefühl am umfassendsten verwirklicht, wenn es in enger Verbindung mit den verwandten inneren Haltungen von Liebe, Mitfreude und Gleichmut kultiviert wird. Zusammen bilden sie eine uralte und hochgesinnte „positive Psychologie“ – das Glück der Götter.
Mitgefühl im Mahāyāna-Buddhismus
Der oben erwähnte Weg des Theravāda geht auf Praktiken erfahrener