Tore zur Freiheit. Andrea Dinkel-Tischendorf

Tore zur Freiheit - Andrea Dinkel-Tischendorf


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»und schöne, aber traurige Augen, wie ein verletztes Rehkitz!« Armin sprach die einleitenden Worte, und ehrlich gesagt, verstand ich nur Bahnhof. Das änderte sich auch das ganze Seminar über nicht, aber fleißig schrieb ich alle Namen bedeutsamer Menschen auf, über die Armin sprach. Auch sämtliche Buchempfehlungen.

      Ich war fasziniert von dieser neuen Welt, in die ich gerade eingetaucht war. Als wir während einer nächsten Pause an einem Stehtisch zusammenstanden, sprach mich Armin an. In vorwurfsvollem Ton fragte er mich: »Wo bist du die ganze Zeit geblieben?«

      Ich konnte es nicht fassen und drehte mich zu meinen beiden Frauen um, wobei ich mir selbst den Vogel zeigte und mit einem Kopfnicken in Armins Richtung deutete. Vielleicht ist dieser Mann doch nicht ganz normal?

      Doch erinnerte ich mich auch daran, wie ich wochenlang versucht hatte, Herrn Mattich ans Telefon zu bekommen, um mich für das hiesige Seminar anzumelden, und wie meine Finger den unscheinbaren blauen Flyer zwischen einem Sammelsurium erworbener Flyer herausgefischt hatten. Als endlich, nach zahllosen Versuchen, jemand ans Telefon ging, war ich überrascht, dass es seine Tochter war, die meinen Anruf entgegennahm, und ich war enttäuscht, dass es eine Tochter und sicher eine Familie dazu gab. Warum nur hatte ich solche Gedanken und Gefühle? Keine Ahnung!

      Das Seminar war mehr als faszinierend. Menschen gerieten in Trance und eine Teilnehmerin erlebte offenbar eine göttliche Verzückung. Sie zappelte eine halbe Stunde auf ihren Zehenspitzen mit weit zum Himmel emporgestreckten Armen.

      »Das ist eine unmöglich einzunehmende Haltung!«, dachte ich bei mir. »Kein Mensch kann das in normalem Zustand!« Ich schaute sie an, und während ich sie betrachtete, wurde ich in einen warmen Sog aus Dankbarkeit, Freude und himmlischer Leichtigkeit gezogen. »Wie wunderbar, dass es so etwas gibt!« Ich war begeistert und tief berührt. Und so fuhr ich beglückt und dankbar mit meinen Freundinnen nach Hause.

      Zu Hause angekommen, war ich voller Tatendrang und überlegte, was ich nun anfangen sollte. Mein Körper bebte vor Kraft ‒ ein Gefühl, das ich so noch nie erlebt hatte. Doch nach Menschen und Party war mir nicht, und so beschloss ich, früh zu Bett zu gehen und den Tag Revue passieren zu lassen.

      Als ich so dalag, spürte ich, wie mein Körper plötzlich innerlich sehr schnell zu vibrieren begann. »Wow! Was ist das denn?«, dachte ich bei mir. Es war ein großartiges Gefühl und an Schlafen nicht zu denken. Also beschloss ich, aufzustehen und die Wohnung zu putzen. Irgendwie musste ich meine Energie loswerden. Es war wohl gegen Mitternacht, als ich endlich glücklich einschlief. In der Nacht wurde ich von einem wunderbaren Aprikosenblütenduft geweckt. Ich spürte die Anwesenheit einer sehr lichtvollen Seele und einen Hauch von Heiligkeit, bevor ich wieder selig einschlief. Die geistige Welt hatte zart und sanft ihre Fühler nach mir ausgestreckt, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, was es für mich bedeuten sollte.

      Am nächsten Abend ging ich früh zu Bett. Mitten in der Nacht wurde ich aus einer Tiefschlafphase abrupt durch meinen Arm geweckt, der ganz von allein senkrecht in die Luft geschnellt war. Ich schaute auf die Uhr. Es war Punkt zwei Uhr. Das Ganze wiederholte sich noch zwei Mal. Jedes Mal riss mich mein Arm nach oben, stets zur vollen Stunde.

      Jetzt wurde mir das nun doch unheimlich, und so verbrachte ich den Morgen damit, darüber nachzudenken, ob ich Armin Mattich anrufen sollte. Ich war ängstlich und wusste nicht, was da mit mir passierte. Schließlich überwog meine Neugierde, ich fasste mir ein Herz und rief ihn an. Eine warme Stimme begrüßte mich herzlich. Ich war erleichtert und erzählte ihm, was mir die Nächte zuvor passiert war. »Gratuliere!«, sagte Armin schlicht. Das genügte, um mir die Angst zu nehmen. Offenbar war mir etwas Wunderbares widerfahren.

      Ostern stand vor der Tür, und ich dachte: »Mal wieder ein Ostern, an dem du alleine bist!« Selbstmitleid kam in mir auf. Dennoch spürte, ja ›wusste‹ ich, dass mich am Abend jemand anrufen würde.

      »Ja, ja …«, schalt ich mich selbst, »wer sollte das schon sein?« Es fiel mir niemand ein, der an Ostern so alleine hätte sein können wie ich. Es wurde Abend, und als gegen 19:00 Uhr immer noch niemand angerufen hatte, ignorierte ich mein Gefühl und beschloss: »Okay, Andrea … so ist es nun mal …, aber du kannst es dir trotzdem mit dir selbst schön machen. Ich nehme jetzt ein heißes Bad und lege mich mit einem Buch ins Bett. Auch schön!«

      Heute begegnest du deinem Schicksal

      Als ich aus der Badewanne stieg und in den Spiegel schaute, hörte ich plötzlich eine Stimme in meinem Kopf: »Du begegnest heute deinem Schicksal!« Es war das erste Mal seit Kindheitstagen, dass ich wieder ›hörte‹.

      Was? Meinem Schicksal?! Was sollte das bedeuteten? Ich hörte die Stimme klar und deutlich, keine Einbildung. Aber wer bitte soll das sein?

      Etwa eine halbe Stunde später klingelte das Telefon. Armin rief an: »Andrea, hast du Lust, einen Kaffee mit mir trinken zu gehen?« Na klar hatte ich das. Aber dann kam ich ins Grübeln, und die Stimme kam mir in den Sinn. ›Heute wirst du deinem Schicksal begegnen!‹ Das wird doch sicher nicht Armin sein?

      Doch an diesem Abend wurde das Band unserer vielen gemeinsam gelebten Leben neu verwoben. Während sich unsere Beziehung sanft und liebevoll entwickelte, was auch bedeutete, dass wir uns gegenseitig die Wunden der Vergangenheit leckten, keimte neue Hoffnung in uns auf. Das Schicksal hatte uns übel mitgespielt, auch Armin war wie ich verlassen worden. Der Halt, den wir uns gegenseitig gaben, war Balsam für unsere Herzen und unsere Seele.

      In der Anfangszeit sprach Armin oft von Maya, seiner Freundin in Holland und einer, wie er sich ausdrückte, ›großen Seele‹. Maya war Medium und Armin Jahre zuvor in Basel, wo sie in den 80-iger Jahren als eine der Hauptreferentinnen der Basler PSI-Tage² auftrat, begegnet. Seine Erzählungen von der ersten Begegnung mit Maya und wenn er auch sonst von ihr mit warmer Stimme sprach, beeindruckten mich. Seine Augen wurden dabei so warm wie die Mittagssonne, und sein Gesicht nahm den Ausdruck eines Kindes an. Man spürte, wie sehr er sie liebte. Gleichzeitig fühlte ich die Achtung, die Armin vor Maya hatte, und weil er so zärtlich und liebevoll von ihr sprach, hatte ich sie ebenso in mein Herz geschlossen.

      Etwa sechs Monate, nachdem Armin und ich uns kennengelernt hatten, sollte ich Maya nun endlich persönlich begegnen. Wir hatten bereits mehrfach vorher miteinander wie gute Freunde telefoniert. Das war merkwürdig, aber gleichzeitig ein Zeichen dafür, wie verbunden doch unsere Seelen über Tausende von Jahren waren. Ich fühlte sie nicht als Fremde, sondern als Freundin, und ihre warme, herzliche Stimme gab mir schon damals das Gefühl von tiefer Vertrautheit. Ich betete für Maya, wenn es ihr nicht gut ging, und es erschien mir als die natürlichste Sache der Welt.

      Meine Suche findet ein Ende

      Nun waren wir also nach Holland eingeladen, und ich freute mich wie ein Kind auf das Treffen. Es sollte ein kleines Seminar mit fünf oder sechs Personen werden. Ein befreundetes Pärchen wollte uns begleiten. Vierzehn Tage vor unserem Termin war ich bereits die Fröhlichkeit in Person. Ich spürte, dass diese Reise etwas sehr Besonderes war und zählte bereits die Tage und Stunden.

      Als wir mit ein paar anderen Leuten vor Mayas Tür standen, klopfte mein Herz laut in meiner Brust. Mayas Mann öffnete die Tür mit einem freundlichen Hallo. Er war groß und schlank und sah aus wie ein typischer Holländer. Hinter ihm, viel kleiner und deshalb erst nicht zu sehen, stand Maya, jauchzend wie ein Kind, mit hochgeworfenen Armen. Voller Freude rief sie in ihrer glockenhellen Stimme: »Hallo! Wie schön, dass ihr da seid!«

      Maya strahlte über das ganze Gesicht, den liebevollen Blick aus ihren lichtvollen, himmelblauen Augen auf mich gerichtet: »Und du musst Andrea sein!« Mit offener Herzlichkeit umarmte sie mich wie eine Mutter ihr Kind nach langer Trennungsphase. »Oh Kind, ich bin froh, dass du da bist!« Maya hatte mich nie zuvor gesehen, wusste aber sofort, dass ich Andrea war.

      Während die kleine, zarte Person mich umfasste, spürte ich aus der Tiefe meines Herzens und aus meiner Seele: »Jetzt bin ich zu Hause angekommen!« Ich wusste einfach, ich brauche


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