Selbstgespräche. Charles Fernyhough

Selbstgespräche - Charles Fernyhough


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eine Pechsträhne habe, während ein anderer sich einfach ermahnte, gut zu spielen. Wenn es nicht gut lief, waren Ermahnungen, sich »zu entspannen« und »durchzuhalten« an der Tagesordnung. Vor allem im Laufe des Spiels, wenn die erforderliche Rate der Runs anstieg (es handelte sich jeweils um Limited-Overs-Spiele), sprachen die Spieler zu sich selbst, um sich bei der Vorausberechnung zu helfen, wo der Ball zu treffen sei. Einem Spieler half allein schon die Feststellung der Position der Feldspieler, um instinktiv gute Schläge abzuliefern. Letztlich nutzten sämtliche Spieler die Sprache, um sich nach ihrem Ausscheiden auszuschimpfen, aber auch um ihre Lektionen für das nächste Spiel zu lernen.

      Im Großen und Ganzen wiesen die Berichte der Spieler auf unterschiedliche Selbstgespräche hin, die vor den Innings einsetzten und bis nach dem Ausscheiden fortgeführt wurden und insbesondere dann intensiv waren, wenn die Sache nicht gut lief. Was die Herausforderung der Aufmerksamkeitsverlagerung betraf, so sagte sich ein Teilnehmer tatsächlich das Wort »Ball«, wenn er seinen Fokus verengte. Falls Sie die Gelegenheit haben, sich ein Kricketspiel im Fernsehen anzuschauen, könnten Sie etwas Ähnliches live miterleben. Sollten Sie zum Beispiel Eoin Morgan, den Kapitän des englischen Kricketteams, beobachten, wenn er in der Mitte des Matches an die Reihe kommt, dann werden Sie ihn vor jedem Schlag klar zu sich selbst sagen sehen: »Pass auf den Ball auf.« Morgan scheint es für sinnvoll zu halten, an sich selbst gerichtete Wörter einzusetzen und damit in diesem entscheidenden Moment sein Augenmerk zu verengen.

      Michaels Beschreibung seiner eigenen Selbstgespräche bestätigen die Ergebnisse der Videountersuchung. Wenn er in Form ist, nimmt das Geplapper in seinem Kopf an Intensität ab, es wird spezifischer und damit nützlicher. Nach einem schlechten Schlag hingegen reagiert er anders: »Ich würde zum Beispiel ›Komm schon‹ zu mir selbst sagen oder mich ein bisschen beschimpfen und zu mir sagen ›Pass auf den Ball auf‹ … Es ist also eher eine emotionale Erinnerung an das, was ich gerade getan habe, und eine Ermahnung, mich zusammenzureißen.«

      Unser Treffen findet statt, kurz nachdem er im Erstliga-Kricket seine höchste Punktzahl erzielt hat, nämlich gute Hundert Punkte in einem vier Tage dauernden Bezirksmatch. Ich frage ihn, ob die Selbstgespräche sich verändern, wenn man einem solchen Meilenstein näherkommt. »Wahrscheinlich spreche ich nicht mehr zu mir, aber was ich sage, verändert sich im Laufe der Innings ein bisschen, wenn ich also die Neunzig erreiche, weiß ich, dass mir andere Ängste oder so durch den Kopf gehen.« Außerdem war Michael davon ausgegangen, dass es gefährlich sei, zu viele Selbstgespräche zu führen. »Ich versuche, sie so einfach wie möglich zu halten, damit ich nicht zu viel überlege und nicht zu viel mit mir rede.« Ich frage ihn, ob er die Stimme eines bestimmten Trainers in seinem Kopf hört, die ihm Ratschläge gibt. »Nicht so klischeehaft wie in einer Filmszene, wo man etwas genau mit ihrer Stimme hören kann, aber es gibt definitiv Tipps, die mir Menschen gegeben haben … Ich höre in meinem Kopf definitiv keine spezielle Stimme oder einen bestimmten Trainer. Ich denke vielleicht an einen Augenblick oder eine Erinnerung, und dann ermahne ich mich, dies in der Spielsituation umzusetzen.«

      Michaels Bericht scheint Gallweys Beschreibung vom »Sprecher« und dem »Macher« auf dem Tennisplatz zu bestätigen. Dieser innere Trainer mag eher eine Kombination aus verschiedenen Trainingserfahrungen sein als eine spezielle Stimme, und tatsächlich scheinen in allen diesen Beschreibungen von Selbstgesprächen verschiedene Arten innerer Gesprächspartner vorhanden zu sein: ein strenger Kritiker, ein aufmunternder Freund, ein weiser Ratgeber und so weiter.

      Bis vor Kurzem gab es nur wenige Versuche, die Vielzahl dieser inneren Gesprächspartner wissenschaftlich zu beschreiben. Dies änderte sich mit einer Untersuchung von Malgorzata Puchalska-Wasyl von der Katholischen Universität Lublin Johannes Paul II. in Polen.42 Die Forscherin, die sich mehr auf die alltäglichen Selbstgespräche als auf diejenigen von Sportlern konzentriert, forderte Studenten auf, mithilfe einer Checkliste emotionaler Worte den inneren Gesprächspartner zu beschreiben, mit dem sie sich am häufigsten unterhalten. Diese Angaben wurden im Anschluss einer statistischen Analyse unterzogen, die ähnliche Beschreibungen in Gruppen sortierte.

      Vier erkennbare Kategorien der inneren Stimme kamen zum Vorschein: der »treue Freund« (verbunden mit persönlicher Stärke, engen Beziehungen und positiven Gefühlen); der »ambivalente Elternteil« (der Stärke, Liebe und wohlmeinende Kritik in sich vereint); der »stolze Rivale« (der distanziert und erfolgsorientiert ist); und der »ruhige Optimist« (ein entspannter Gesprächspartner, der mit positiven, selbstgenügsamen Emotionen in Verbindung gebracht wird).

      Eine Schwäche dieser Eingangsstudie bestand darin, dass sie nicht die ganze Bandbreite der inneren Stimmen berücksichtigte, mit denen die Teilnehmer sprachen, deshalb wurde sie mit Freiwilligen wiederholt, die aufgefordert wurden, die beiden häufigsten Gesprächspartner sowie zwei andere, die unterschiedliche Emotionen repräsentierten, zu beschreiben. Die ersten drei Kategorien traten wieder durch die statistische Analyse zutage, aber dieses Mal wurde der »ruhige Optimist« von einer Kategorie ersetzt, die »hilfloses Kind« genannt und von negativen Emotionen und sozialer Distanz charakterisiert wurde.

      Ob wir nun eine dieser Rollen einnehmen, um uns selbst Ratschläge zu erteilen, uns zu trösten oder zu ermuntern, es hat jedenfalls den Anschein, als spiele es eine Rolle, wie wir den Teil des Selbst ansprechen, der zuhört. Bei seiner Aufmunterung vor dem Spiegel sprach Andy Murray sich tatsächlich selbst als andere Person an und sagte bei seinen Ermahnungen »du« anstelle von »ich« oder »mir«. Wenn Menschen aufgefordert werden, von sich mit ihrem Namen oder in der zweiten Person zu sprechen, scheinen sie eine Art Distanz zu dem Selbst zu gewinnen, die sie nicht einnähmen, wenn sie von sich als »ich« sprechen würden.

      Dies wurde mithilfe einer Reihe von experimentellen Studien43 untersucht, die von Ethan Kross an der Universität von Michigan in Ann Arbor geleitet wurde und der Frage nachging, welche Wirkung es hat, wenn man in der ersten Person von sich spricht, während man sich auf bestimmte Aufgaben vorbereitet und diese durchführt. Bei einer dieser Aufgaben, ausgedacht, um soziale Ängste hervorzurufen, wurde den Teilnehmern nur eine beschränkte Zeit eingeräumt (fünf Minuten), um sich auf eine öffentliche Rede vorzubereiten – genauer gesagt, um eine Reihe von »Experten« (tatsächlich Mitglieder des Forschungsteams) davon zu überzeugen, dass der Teilnehmer für einen Traumjob qualifiziert sei. Verglichen mit denjenigen, die gebeten wurden, sich auf die Aufgabe vorzubereiten, indem sie davon sprachen, was »ich« tun sollte, schnitten die Freiwilligen, die nicht angewiesen worden waren, von sich in der ersten Person zu sprechen, in ihrer Rede besser ab, sie schätzten ihre Leistung positiver ein und grübelten im Anschluss weniger darüber nach. Das Vermeiden der Bezugnahme durch die erste Person schien den Teilnehmern eine Distanz zu sich selbst zu vermitteln, die es ihnen ermöglichte, ihr Verhalten effektiver anzupassen und vor allem mit Emotionen, wie zum Beispiel sozialen Ängsten, besser umzugehen.

      Es scheint klar zu sein, dass der Nutzen bestimmter Arten von Selbstgesprächen sich nicht nur auf den Sport beschränkt. Eines tritt bei all diesen Studien zutage, nämlich dass das Sprechen mit sich selbst viele unterschiedliche Dinge bewerkstelligen kann.

      Für einen Sportler kann das Selbstgespräch eine Rolle bei der Regulierung von Handlung und Erregung übernehmen, wenn man sich selbst unter herausfordernden Leistungsbedingungen anspornt und so die Aufmerksamkeit erhöht.

      Für alle anderen gilt, dass die an uns selbst gerichtete Rede es uns ermöglicht, uns aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und eine gewisse kritische Distanz zu dem, was wir tun, einzunehmen.

      Wie kommt es, dass flüchtige – sogar stumme – Wörter ihre Sprecher so stark beeinflussen können? Um zu verstehen, wie die Wörter in unserem Kopf eine solche Macht gewinnen können, müssen wir uns fragen, wie sie überhaupt dorthin gelangt sind.

      KAPITEL 4

      ZWEI AUTOS

      Ich baue eine Fahrstrecke. Papa, ich baue eine Fahrstrecke.«

      Hier spielt ein kleines Mädchen mit seinem Spielzeug. Es sitzt auf dem Teppich in seinem Zimmer neben einer großen Tüte voller blauer und roter Plastikteile. Das sind die Bestandteile eines Baukastensystems mit dem Namen »Happy Street«, das zusammengesetzt und umgebaut werden kann, um eine Spielzeugstadt mit Geschäften, einem Flughafen und einer Polizeistation zu bauen. Wir haben


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