Ich bin ich - Wer sonst!. Maria Färber-Singer
wohlwollender ist als die Macht der Gedanken. Menschen, deren Erleuchtung nicht in einer Klosterzelle oder einem Aschram auf sie wartet, sondern inmitten von Alltag, Familie, Beruf und Freunden schlicht dazugehört. Menschen, die aus vollem Herzen lachen und auch sonst keine halben Sachen machen wollen.
EINLEITUNG
Ich habe dieses Buch für Menschen geschrieben, die meine Faszination und meine Liebe für das Leben teilen. Für Menschen, die ihr Leben bewusst gestalten wollen, indem sie den tiefen Wünschen und den Sehnsüchten, die in ihnen schlummern, nachgehen. Für Menschen, die Lust darauf haben, ihr kreatives Potential zu entdecken und sich neu zu (er)finden. Für Menschen, die sich an der Freiheit und der Freude orientieren, die in uns allen ist. Für Menschen, denen es ein Herzenswunsch ist, all das und noch viel mehr mit anderen zu teilen und so an der Entstehung einer neuen Welt mitzuwirken. Und warum das? Ganz einfach, weil es kein schöneres Abenteuer gibt, als zu leben, was wir sind.
Mein Interesse an dem, was das Leben kann, war schon als kleines Mädchen sehr groß. Als Älteste von vier Kindern, aufgewachsen in einem Gastbetrieb in einem kleinen Ort nahe der jugoslawischen Grenze, hatte ich einerseits sehr viel Freiraum und musste andererseits schon sehr bald im Betrieb meiner Eltern mitarbeiten. Die Vorgabe „der Gast ist König“ prägte zunehmend mein Verhalten. Meine Wünsche und Sehnsüchte versteckte ich immer wieder hinter dieser Vorgabe. So entstand nach und nach ein Bild von mir selbst, das von dem Glaubenssatz „Ich bin das, was die anderen von mir erwarten.“ geformt wurde.
Meine Ausrichtung darauf, es allen recht zu machen, konnte jedoch nie meine unbändige Neugierde auf das Leben verdrängen. Besonders fasziniert war ich von einer Art Vorgefühl von etwas Kraftvollem, das sich hinter dem Beobachtbaren befinden musste. Dieses wirkungsvolle „Dahinter“ wollte ich finden: „Was zeigt sich, wenn das Erlernte und das Erfahrene zur Seite treten? Wozu sind wir in der Lage, wenn wir uns selbst nicht mehr im Wege stehen? Wer sind wir?“ Die Welt, so wie ich sie damals wahrnahm, war weit davon entfernt, mir diese Fragen zu beantworten. Ihre Kompliziertheit irritierte mich und ich hatte eine große Sehnsucht nach einer einfachen Ordnung. Doch je mehr ich diese mit Hilfe meiner Gedanken herzustellen versuchte, desto komplizierter wurde alles, und das Denken verdrängte immer mehr das Tun. Mein Vertrauen in meine Gefühle wurde mit jedem neuen Gedanken schwächer. Neue Erklärungen hatten für Stunden und Tage eine berauschende Wirkung. Sie versprachen mir: „Das ist es.“ Doch schon bald kam wieder die Ernüchterung und mit ihr eine neue Verunsicherung, welche wiederum mit einer neuen Erklärung besänftigt werden wollte. Die ersehnte Einfachheit stellte sich nicht ein und schien doch immer zum Greifen nahe.
Aus heutiger Sicht bin ich erstaunt darüber, wie unbeirrt und sicher ich trotz alledem meinen Weg gegangen bin. Etwas in mir war immer für mich da. Meine Sehnsucht nach Freiheit hatte eine enorme Kraft. Das Jahr 1968 verfolgte ich als Fünfzehnjährige aufgewühlt vor meinem neuen Transistorradio. Der Song „San Francisco“ wurde für mich zum Inbegriff von Freiheit, und ich bedauerte sehr, nicht unter all den Hippies in Kalifornien sein zu können. Die Ausrichtung auf mich selbst und auf meine Wünsche half mir auch, Durststrecken zu überwinden. In demselben Jahr saß ich eines Nachts alleine an einem Lagerfeuer und flehte den Himmel an, mir eine Vorausschau auf mein weiteres Leben zu ermöglichen. Da trotz höchster Konzentration darauf nichts dergleichen geschah, beschloss ich, meine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen: Ich stellte mir intensiv vor, welche Beziehungen ich haben, was ich arbeiten, wo und wie ich leben werde. Als Essenz vom Ganzen schrieb ich mit Asche auf einen Stein „LOVE“. Auch wenn mir die Bedeutung des Wortes „Love“ noch viele Jahre sehr suspekt war, so führte dieser symbolische Akt ungeachtet dessen dazu, dass mich die Energie, die ich damit verbunden hatte, unbeirrt auf meinem Weg begleitete. Alles, was ich mir damals gewünscht habe, hat sich erfüllt und vieles darüber hinaus. Das war mein erster bewusster Kontakt mit meinem kreativen Potential. Viele ähnliche Erfahrungen folgten dem nach und haben mich immer mehr in dem „ICH bin es“ bestärkt.
Mein Leben ist reich an erfolgreichen Kreationen. Wann immer ich mich sehr klar für etwas entschieden habe, hat es sich auch materialisiert. Schon mit achtzehn war ich mir so sicher, dass meine kraftvolle Ausrichtung auf meine Wünsche wirksam ist, dass ich mir ein neues Auto bestellte, ohne das Geld dafür zu haben. Vier Monate später war die Lieferung aus Frankreich da und mit ihr auch das Geld. Ich hatte einen gut bezahlten Job gefunden und konnte damit den Großteil der Kosten abdecken. Das Restgeld schenkte mir – völlig überraschend – mein Großvater, den mein mutiges Vorgehen sehr beeindruckt hatte. So konnte meine Schwester das Jungmännerkomitee wieder auflösen, das sie gebildet hatte, um mich mit mehreren Kleinkrediten bei meinem Projekt zu unterstützen.
Wien. Universität. Voller Tatendrang startete ich in ein Leben, auf das ich mich schon jahrelang gefreut hatte, doch die äußere Freiheit führte mich zunächst in ein inneres Gefängnis. Die „alte Maria“ war in Kärnten geblieben und mit ihr meine Identität. Diese Leere in mir verunsicherte mich zutiefst und ich zog Menschen an, die meine Unsicherheit verstärkten und mein Gefühl, nichts wert zu sein, bestätigten. Der Druck, der sich so in mir aufbaute, wurde immer unerträglicher, bis ich dann eines Tages begann, von mir zu erzählen. Und das Wunder geschah: Wie ein Staudamm, bei dem von einem Moment auf den anderen die Schleusen geöffnet wurden, ließ ich alles los. Befreiung pur. Eine neue Sicherheit breitete sich aus in mir, und meine Umwelt nahm wieder Konturen an. Die Freiheit, die mir das Studium bot, nutzte ich in den ersten Jahren vorrangig dazu, die herrschende Norm überall dort in Frage zu stellen, wo sie aus meiner Sicht nicht einsichtige Grenzen setzte. Jede Form der Befreiung faszinierte und berührte mich; auch der Umstand, dass es möglich war, aus dem Engagement einiger weniger eine große Bewegung entstehen zu lassen. Woher, wenn nicht aus uns, sollte sich denn etwas bewegen auf dieser Welt?
Die meisten dieser Aktivitäten, die ich zum Teil selbst initiierte, waren sehr erfolgreich. Sie waren „richtig“, sie waren „gut“, und sie hatten das Wohl aller Menschen zum Ziel. Eigentlich doch alles in Ordnung, sollte man meinen?! Ja und nein. Das Festhalten an Überzeugungen brachte mir zwar viel positives Feedback, machte mich jedoch immer mehr zur Sklavin meiner eigenen Gedanken. Meine Herzenswünsche „mussten“ sich diesen unterordnen. Auch wenn sehr viele Menschen davon profitierten, wollte ich auch das Beste für mich, und ich begann, mich intensiv mit mir selbst auseinanderzusetzen, in unterschiedlichsten Gruppen mit dem Ziel, mich selbst besser kennen zu lernen.
Einiges kam so in Bewegung und mir wurde vor allem bewusst, wie sehr einzelne Menschen bestimmen, was in einer Gruppe beziehungsweise in einer Organisation möglich ist und was nicht. Darüber wollte ich mehr erfahren. Nach Beendigung des Studiums „verordnete“ ich mir daher zusätzlich zu meiner Arbeit mit sogenannten „gesellschaftlichen Randgruppen“ die psychotherapeutische Arbeit mit einzelnen Personen. Diese Entscheidung verlangte mir einiges ab, weil mich der Gedanke „Wie willst du so die Welt verändern?“ lange Zeit nicht losließ. Zugleich löste sich auch meine gut überschaubare Weltordnung „Männer sind böse und Frauen sind gut, Reiche sind glücklich und Arme sind unglücklich“ in Verwirrung auf. Etwas in mir verlangte jedoch so stark nach einer neuen Art von Genauigkeit, dass ich an dieser Entscheidung festhielt. Ich war überzeugt, dass das große Ganze nicht funktionieren kann, wenn das kleine Menschliche nicht in der Lage ist, mitzumachen.
Viele Jahre war ich sehr zufrieden mit meiner selbständigen Tätigkeit. Die Menschen, die Gruppen und die Organisationen, mit denen ich zu tun hatte, waren bunt und brachten viel Neues in mein Leben. Ich nahm alle Geschichten mit großem Interesse auf und staunte immer wieder darüber, wie besonders jede einzelne Geschichte war, auch wenn sich die Themen ähnelten. Die Systemtheorie und der radikale Konstruktivismus wurden meine Lieblingstheorien, und ich hatte große Freude daran, dieses Wissen auch weiterzugeben. So lange, bis ich selbst zu 100% davon überzeugt war, dass wirklich wir es sind, die unser Leben gestalten. Theoretisch war mir damit alles klar. Praktisch steckte ich allerdings noch in den Kinderschuhen.
Während ich mich beruflich sehr erfolgreich durch die Welt bewegte, wurde mir eines Tages schmerzlich bewusst, dass ich ein „Secondhand-Leben“ führte. Die Lebensgeschichten meiner Klientinnen und Klienten bestimmten mein Leben. Ich hatte mich – wieder einmal – von mir selbst entfernt. Der Wunsch nach Selbsterfahrung