Wo die Seele aufblüht. Doris Bewernitz

Wo die Seele aufblüht - Doris Bewernitz


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Die Ringelblume? Die Anemone? Bald werde ich es wissen.

      Mit Erleichterung stelle ich fest, dass auch der Rhododendron wieder besser aussieht. Schlimm ging es ihm an den Kahlfrosttagen der letzten Wochen: verdorrte, eingerollte Blätter. Ich dachte, er geht mir ein. Die Immergrünen haben es schwer im Winter, besonders zum Ende hin, wenn der Schnee sie nicht mehr schützt. Ihre Blätter verdunsten das Wasser immer weiter, aber ihre Wurzeln können bei Frost nichts trinken. Doch er hat überlebt. Gott sei Dank. Seine dunkelgrünen Lederblätter sind wieder schön glatt ausgerollt und glänzen in der Sonne.

      Überhaupt, die Sonne! Wie meine Haut sich nach ihr sehnte. Instinktiv ducke ich mich, als ein Gebrumm sich meinem Ohr nähert. Dann schaue ich dem Geräusch hinterher. Eine Biene! Die erste Biene ist da!

      Wie schreckhaft man wird in so einer insektenfreien Winterwohnung.

      Die Biene, noch ein wenig steif vor Kälte, steuert die Krokusse unter dem Kirschbaum an. Eine gute Entscheidung. Welche Blüte sie wohl nehmen wird? Welche Farbe sie wohl am schönsten findet? Wenn ich Biene wäre, ich glaube, ich nähme die große, lila-weiß gestreifte. Die sieht so königlich aus. Oder doch lieber eine gelbe? Oder eine von den kleinen blasslila Elfen mit orangener Spitze … Sie schwankt noch, schwebt über den verschiedenen Blüten hin und her. Wonach entscheidet sie das eigentlich? Ob ihr das reine Weiß vielleicht besser gefällt? Die weißen Krokusse sind ja auch besonders groß. Und so erhaben … Nein, ich kann nicht sagen, welche mir die schönste ist. Da verschwindet die Biene in der lila-weiß gestreiften. Sofort fühle ich mich ihr aufs Tiefste verbunden. Natürlich ist der gestreifte Krokus der schönste – gar keine Frage! Wie konnte ich je daran zweifeln!

      Ich knie nieder und sehe ihr zu, wie sie in der Blüte herumkriecht. Plötzlich ein Tumult hinter mir. Fünf Spatzen wollen gleichzeitig im Hundewassernapf baden, passen nicht hinein, tschilpen, krakeelen und hacken aufeinander ein. Als ich wieder zum Krokus schaue, ist die Biene verschwunden.

      Aber ich habe sie gesehen! Die erste Biene. Ein Grund zum Feiern. Ja, warum eigentlich nicht? Wir feiern viel zu selten. Ich beschließe, sofort und augenblicklich den Tag der Biene einzuführen. Er ist gleich zu begehen, wenn jemand die erste Biene des Jahres gesichtet hat. Man feiert ihn im Freien.

      Kurzentschlossen rufe ich ein paar Freunde an, sage ihnen, dass ich eine Biene gesehen habe, und dass wir deshalb noch heute mit einem Kaffee im Garten darauf anstoßen werden. Warme Decken sind mitzubringen.

      Bald werden es mehr Bienen werden und immer mehr. Bald wird der ganze Garten voll Gesumm und Gebrumm sein, und ich werde mich nicht mehr erschrecken, weil es ein ganz normales Geräusch für mich geworden sein wird. Die Biene von heute wird ihre ganze Verwandtschaft mitbringen, und alle werden sie von Tag zu Tag mehr Nektar finden. Bald werden sie sich über die Blüten der Aprikose hermachen können, die schwellen schon und schimmern bereits leuchtend rot. Ich hoffe nur, dass kein Frost kommt, wenn sie sich öffnen. Danach werden die Bienen in den Pfirsichblüten herumkriechen. Wenn die sich öffnen, muss ich keinen Frost mehr befürchten. Und dann holen sie ihren Nektar aus den Kirschblüten, dann vom Apfel- Birn- und Pflaumenbaum …

      Die Spatzen hocken jetzt zu sechst im Buddelkasten. In kleinen Sandmulden tun sie so, als säßen sie im Wasser, schlagen mit den Flügeln, wackeln mit dem Schwanz und piepsen vor sich hin. Sand fliegt auf die Wiese. Hätten wir also das Rätsel, warum der Sand im Buddelkasten immer weniger wird, auch geklärt.

      Jetzt habe ich so viel in der Gegend herumgehockt, dass mir die Knie wehtun. Ich stelle einen Stuhl auf die Terrasse, setze Kaffeewasser auf, wickle mich in eine Decke und strecke die Beine von mir. Zufrieden sitze ich in der Sonne und warte auf meine Freunde.

      Ein Wohlgeruch weht mich an. Krokus und Schneeglöckchen. Ganz zart. Genüsslich lasse ich mir dieses Naturparfum in der Nase zergehen. Es birgt ein Versprechen, dem ich sofort glaube. Welch ein Duft! Biene müsste man sein.

      Meine grüne Seele

      Ich habe eine Frau gekannt, die von morgens bis abends nichts anderes tat, als Unkraut auszureißen und dabei vor sich hin zu schimpfen. Es war, als führe sie einen Krieg. Ihr Feind war die Natur. Kaum tauchte ein Stück Moos in ihrem Rasen auf, schon begann sie, dieses auszurupfen, kaum zeigten sich ein paar gezackte Löwenzahnblätter, griff sie zu einer harpunenartigen Grabegabel und stach diese samt Wurzel aus, kaum wuchs eine wilde Kamille auf ihrer Terrasse, holte sie ein schreckliches Gerät hervor, schloss einen Schlauch an eine Gasflasche an und richtete eine Flamme auf sämtliche Terrassenfugen. Selbstverständlich hatte auf ihren Gemüsebeeten kein Klee, kein Vergissmeinnicht, kein Hahnenfuß, Schöllkraut oder wilder Mohn etwas zu suchen. Ihr Garten glich einem geputzten Zimmer, und sie war stolz darauf.

      Dieser Garten lag neben dem meiner Mutter. Als Kind machte ich instinktiv einen Bogen um ihn, denn die Frau guckte immer so grimmig. Sie hatte eine steile Falte auf der Stirn, vor der ich mich ebenso fürchtete wie vor ihrem Flammenwerfer.

      Wie unterschiedlich Gärtnerinnen und Gärtner als einzelne Menschen auch sein mögen, eines haben sie alle gemeinsam: Sie entscheiden über das Verhältnis von Wildnis und Kultur in ihrem Garten. Und an diesem Punkt gehen die Meinungen sehr auseinander. Der eine meint, die Natur werde es schon besorgen, irgendetwas wächst ja immer, und ein Garten sei dazu da, der verlorengegangenen Wildnis wenigstens auf dreihundert Quadratmetern wieder eine Chance zu geben.

      Praktisch an dieser Haltung ist, dass sie keine Mühe macht und keinen Muskelkater auslöst. Höchstens Ärger, mit den Gartennachbarn nämlich, die das anders sehen. Manche haben eben ein Problem damit, wenn die Samen von Brennnessel, Goldregen oder Weidenröschen scharenweise über den Zaun geweht werden oder wenn Giersch und Quecke sich aufmachen, unter dem Zaun hindurchzuwachsen und die Rosen- oder Gemüsebeete flächendeckend zu erobern. Dann beschweren sie sich bei ihren wildnisliebenden Nachbarn. Und hören dann, deren Garten sei ein Ökogarten und Giersch ein sehr gesunder und leckerer Frühjahrssalat. Und schon ist der Ärger da. Man wirft sich auf der einen Seite Faulheit vor, auf der anderen Seite Kleingeist und Rasenmähermanie.

      Und dann gibt es noch die, die unbedingt etwas gegen Wildnis haben und trotzdem nicht den ganzen Tag arbeiten wollen. Die betonieren ihren Garten kurzerhand zu und lassen nur ab und an kleine Inseln stehen, in die sie ordentliche Pflanzen aus dem Baumarkt setzen.

      Bevor ich einen eigenen Garten hatte, hätte ich mir tatsächlich nicht träumen lassen, mit welcher Geschwindigkeit Wildpflanzen wachsen und vor allem, wie schnell und üppig sie sich vermehren. Einerseits möchte ich ja schon eigene Gestaltungsideen umsetzen, andererseits will ich nicht zum Sklaven des Gartens werden und den ganzen Tag darum kämpfen, dass die Rosen, Stauden und Salatköpfe die Invasion von Quecke und Ahorn überleben. Man kann es nun als brutal ansehen, dass ich daumengroße Ahornbäumchen auszupfe, sobald ich sie entdecke, immerhin könnten das wunderschöne Bäume werden, und haben wir davon nicht immer zu wenig? Bedenkt man aber, dass es pro Saison ungefähr dreitausend solcher Bäumlinge sind, die ich entferne, wird klar, wie der Garten in ein paar Jahren aussähe, wenn ich es nicht täte.

      Auf der anderen Seite wachsen manche Wildpflanzen, die ich gern hätte, partout nicht in meinem Garten. Zum Beispiel liebe ich Adonisröschen über alles. Ich habe mir Samen besorgt, ich habe Pflanzen in speziellen Wildpflanzenhandlungen gekauft und sie gesetzt, doch sie blieben nicht da. Irgendwann gab ich es auf und sah ein, dass ich ihnen wohl nicht die geeigneten Bedingungen bieten konnte.

      Was Natur und was Kultur, was wild und was erwünscht, hängt also vom Betrachter ab. Selbst auf den Begriff Unkraut kann man sich nicht mehr verlassen. Auch unser Getreide wurde einst als Unkraut bezeichnet. Andererseits gibt es Pflanzen wie den Giersch, die so raumeinnehmend sind, dass ich beim ersten Auftreten radikal dagegen vorgehe. Eine Freundin von mir, die einmal einen vergierschten Garten übernahm und vier Jahre lang mit allen erdenklichen Methoden versuchte, den Giersch zu entfernen, weil sie auch mal etwas anderes anbauen wollte, wandte sich schließlich an einen Fachmann und fragte ihn, was sie denn noch tun könne. Ob es überhaupt eine Lösung gäbe. Ja, sagte der, die gäbe es. Sie solle sich einen neuen Garten suchen.

      Beim Giersch ist es also eindeutig. Aber wird der Sellerie, den ich gesät habe, von einer Handvoll sich ausbreitender Wild-Akeleien bedroht? Stören sich meine Rosen


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