Wo die Seele aufblüht. Doris Bewernitz

Wo die Seele aufblüht - Doris Bewernitz


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zwei Wochen konnte ich Eltern und Kinder nicht mehr unterscheiden und auch das Bettelgeschrei verstummte. Dafür habe ich seitdem immer freundliche kleine Gäste. Gleich morgens, wenn ich aus dem Haus trete, sind sie da. Kohlmeisen sitzen auf meinem Frühstückstisch, auf dem hochgeklappten Bildschirm meines Laptops, auf meiner Schuhspitze, wenn ich die Füße hochlege, auf der Wäscheleine in der Weinlaube oder auf dem Rand der Kaffeetasse. Sie fliegen mir um den Kopf, wenn ich eine Pause mache, ja, eine ist gar so dreist, sich während des Schreibens auf meinen Kugelschreiber zu setzen und daran herumzupicken. Auch erinnern sie mich sofort lautstark an ihr Gewohnheitsrecht, falls ich einmal vergesse, die Frühstücksbrotkrümel ins Futterhaus zu werfen. Oder schimpfen mit mir, wenn ich mich erdreiste, Erdnüsse oder Kuchen zu essen, ohne ihnen etwas davon abzugeben.

      So nah kommen sie aber nur heran, wenn ich allein bin. Habe ich Besuch, beobachten sie mich und die fremden Menschen misstrauisch aus sicherer Entfernung.

      Ich mag sie sehr, diese schönen Tiere. Obwohl ich für sie vermutlich lediglich zum nützlichen Inventar ihres Reviers gehöre. Genau wie der Hund. Und der Briefkasten. In dem sie hoffentlich im nächsten Jahr wieder brüten.

      Blutlaus, Schildlaus und Konsorten

      April. Die Zeit, in der das Leben erwacht. Überall Auferstehung. Kraftvoll treibt es auf den Beeten. Innerhalb kürzester Zeit wachsen die Rosenblätter, belauben sich die Bäume, überholen die Kartoffeln und Sonnenblumen die Sellerie- und Kohlrabisetzlinge. Konnte man sich vor Kurzem nicht vorstellen, dass der Garten je wieder grün werden würde – nun ist der Beweis erbracht, dass das Leben stärker ist.

      Aus demselben Grund werden nun aber auch Unmengen von Blattläusen munter, die jetzt plötzlich auf allen Trieben zu finden sind. Und die Blattrollwespen, die meine Rosenblätter wie heruntergekommene Wurstfabriken aussehen lassen. Und die Maden des Frostspanners, die die wenigen Blätter, die sich noch nicht rollen, zum Frühstück verspeisen. Und der auf- oder absteigende Rosentriebbohrer, der das Mark der Rosen frisst, der Dickmaulrüssler, das Lilienhähnchen, die Spinnmilbe, Zikade, Rebenpockenmilbe, Afterraupe, Blutlaus, Schildlaus, Blattwanze und wie sie alle heißen.

      Und als wäre das nicht genug, schießen nun auch noch gruselige schwarze Pilze am Rande des Gemüse-beetes aus dem Boden, glänzende Schirme auf hauchdünnen, schleimigen Stielen. Und auch die anderen Pilze, die viel schrecklicheren, Rosenrost, Sternrußtau, Mehltau oder die furchtbare Monilia, die den halben Sauerkirschbaum dahinrafft und meinem geliebten Pfirsichbaum schwer zu schaffen macht, sind nicht mehr aufzuhalten.

      Ein Wettlauf beginnt. Wer ist schneller? Die Pflanze oder die stechenden, saugenden, fressenden Insekten, die über sie herfallen? Die Pflanze oder das Pilzgeflecht? Besonders die jungen Triebe, die man so sehnsüchtig erwartet hat, werden jetzt mit Vorliebe attackiert, angebohrt, verstümmelt und infiziert, bevor sie überhaupt eine Chance haben, groß und wehrhaft zu werden. Die gerade erst entfalteten Pfirsichblätter verkräuseln sich rasant zu fürchterlich rotfleckigen, blasigen Gebilden, fallen ab und liegen wie ein einziger Vorwurf auf dem Weg. Ich werde furchtbar wütend! Meine geliebten Pflanzen! Wie soll ich das aushalten?

      Nachdem ich eine Weile vor mich hin geflucht habe, greife ich zur Mülltüte und beginne, stundenlang kranke Blätter einzusammeln und abzuschneiden. Wenigstens sollen sich Pilze und Schadinsekten nicht auch noch im Boden vermehren. Ich hole sämtliche Stärkungsmittel hervor, die mir einfallen, ertrage den Gestank der Brennnesseljauche, koche Schachtelhalmsuppe und Knoblauchtee und hülle meine Pflanzen in eine Kraftwolke. Trotzdem muss ich ein paar Tage später erneut mit Mülltüte und Schere losziehen und mit ansehen, wie eine Rose, eine Azalee und der weiße Phlox der Invasion zum Opfer gefallen sind. Als ich die völlig zerfressene kleine Rose immer weiter herunterschneide und feststelle, dass sie bis in die Wurzel hinein ausgehöhlt und tot ist, packt mich eine entsetzliche Trauer. Ich grabe aus, was von ihr übrig ist und versenke es im Müllbeutel.

      Ich kann nicht zaubern. Ich muss lernen, das Sterben auszuhalten. Heulen hilft ein bisschen.

      Was mir auch hilft, ist die Entscheidung, trotz meines Unglücks nicht zum Baumarkt zu fahren. Ich werde kein Gift kaufen. Ich möchte es weder selbst einatmen noch in der Welt verbreiten, noch die wenigen Marienkäferlarven, die sich redlich mühen, die Läuse zu fressen, damit töten. Gift unterscheidet nicht zwischen Blattlaus und Regenwurm, nicht zwischen Rostpilz und Biene, nicht zwischen Frostspanner und Blaumeise. Dann opfere ich lieber ein paar Pflanzen.

      Erstaunlicherweise sieht der Garten einige Wochen später immer noch recht lebendig aus. Die meisten Pflanzen haben Laus, Pilz und Made tapfer widerstanden, haben neue Blätter und neue Triebe geschoben, sich breitgemacht und die Lücken der Verstorbenen ausgefüllt. Rotschwanz, Nachtigall und Meise haben reichlich Lebendfutter für ihre Kinder gefunden. Und so ist das Gleichgewicht im Großen und Ganzen wieder hergestellt.

      Bis zum nächsten Frühjahr. In dem ich vermutlich wieder zu lernen habe, dass im Garten eben nicht nur eine Hälfte der Wirklichkeit zu haben ist. Nur die ganze. Und zu der gehört der Tod ebenso wie das Leben.

      Vom Mulchen

      Mulchen ist nichts für Feiglinge. Wer sich für diese Methode des Gärtnerns entscheidet, muss drei Dinge lernen: faul sein, liebgewonnene Vorstellungen über Bord werfen und schräge Nachbarblicke an sich abgleiten lassen.

      Das erste Mal wurde ich mit dem Thema Mulch konfrontiert, als ich selbst noch gar keinen Garten hatte. Damals gärtnerte ich bei einer Freundin mit. Sie war ein Öko-Freak und sammelte zu Hause ihren Biomüll. Wenn der Eimer voll war, trug sie ihn in den Garten und verteilte den Inhalt auf den Gemüsebeeten. Dort lagen dann Teebeutel, Eierschalen, Kaffeesatz, Apfel- und Kartoffelschalen schön kreuz und quer zwischen den Kohlrabis und Möhren herum. Darüber warf sie abgemähtes Gras, Rhabarberblätter, Heckenschnitt, welkes Kraut, trockene Staudenstängel, gehäckselte Zweige, kurz, alles was gerade an Gartenabfall zur Hand war.

      Ich muss zugeben, dass mich das irritierte. Der Anblick solcher Beete war für mich ungewohnt, und ich empfand ihn als unästhetisch, um nicht zu sagen schlampig. Den Müll einfach so in den Garten zu schmeißen, das widersprach allem, was ich bisher gesehen hatte. Und bei der Dicke der Abfallschicht wunderte mich, dass die armen Gemüsepflanzen es tatsächlich schafften, immer noch oben herauszugucken. Doch schließlich gehörte der Garten meiner Freundin. Also war das ihre Entscheidung und ich bemühte mich, das Durcheinander ebenso hinzunehmen wie die abfälligen Bemerkungen, die über den Zaun wehten.

      Die Anlage, in der sich der Garten meiner Freundin befand, war nicht an das Wassernetz angeschlossen. Allen Gärtnern stand nur selbst gesammeltes Regenwasser zur Verfügung. In jenem Frühjahr, in dem ich mich zum Mitmachen entschieden hatte, war es sehr heiß. Anfang April regnete es noch etwas, ab Mitte des Monats nicht mehr. Die Sonne brannte herunter, als wäre längst Sommer. Bereits Mitte Mai hatte die nackte Erde auf den Beeten der Nachbargärten die Konsistenz und Farbe von Zement angenommen, und das Gemüse darauf welkte vor sich hin, falls es überhaupt noch zu sehen war. Sämtliche Regentonnen waren leer.

      Erstaunlicherweise sahen unsere Pflanzen immer noch recht zufrieden aus. Wenn ich die Mulchschicht zur Seite schob, fand ich darunter lockere, schwarze, feuchte Erde, die noch dazu von Regenwürmern wimmelte. Allmählich dämmerte mir, dass an der Sache etwas dran war.

      Das Prinzip des Mulchens ist einfach. Die Natur macht es uns vor. Kein Mensch gräbt, hackt und düngt einen Wald, niemand harkt ihn sauber und doch – gerade deshalb – ist der Boden nahrhaft und lebendig. In der Natur (außer in der Wüste) kommt kein unbedeckter Boden vor. Blätter und Äste fallen herab und bleiben liegen. Moose, Farne, Pilze und andere Pflanzen wachsen, sterben ab und bleiben liegen. Bäume fallen um und bleiben liegen. Alles rottet langsam vor sich hin und wird von den Bodentieren zersetzt. Das Ergebnis ist ein herrlich duftender Humus. Wenn man über einen solchen Waldboden läuft, über das dunkelgrüne Moss, unter dem die halbverrotteten Äste knacken, möchte man am liebsten barfuß gehen, so weich ist er.

      In den vier Jahren, in denen ich bei meiner Freundin mitgärtnerte, wurde ich zum Mulch-Fan. Bald trug ich genau wie sie meinen Biomüll auf die Beete, drehte das Mohrrübengrün und die Kohlrabiblätter gleich bei der Ernte ab und verteilte sie um


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