Wo die Seele aufblüht. Doris Bewernitz

Wo die Seele aufblüht - Doris Bewernitz


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Unkräuter oder nicht? Ich kann natürlich alle sich selbst aussamenden Wildpflanzen zu Unkräutern erklären, sie ausreißen, ich kann einen endlosen Kampf führen und mir anschließend gratulieren, dass in meinem Garten nur das wächst, was ich will. Doch abgesehen von einer zermürbenden Sisyphusarbeit wird diese Haltung auf Dauer etwas mit mir machen. Je mehr ich kämpfe, umso mehr Hass wird sich in mir ansammeln. Da ich nur noch Unkräuter suche, um sie auszureißen, werde ich irgendwann nur noch Unkräuter erblicken. Ich werde mir das Schönste nehmen, was ein Garten zu bieten hat. Ich werde weder Zeit noch Muße haben, mich in der Freundlichkeit des Vergissmeinnicht, der Schönheit der Akelei, der Anmut der Digitalis oder dem Duft des Waldmeisters zu verlieren.

      Es liegt wohl ein großer Reiz darin, die eigene Idee von der Welt wie einen Besitz anzusehen, der verteidigt werden muss. Insofern glaube ich, man ist nie „Sklave des Gartens“. Eher Sklave der eigenen Vorstellungen und Ideale von einem Garten. Ein sicheres Zeichen dafür, dass man diesen Zustand erreicht hat, ist, den Garten als Belastung zu empfinden und bei seinem Anblick nur noch an Arbeit zu denken.

      Natürlich wollen wir gestaltend tätig sein. Und ein Garten ist gestaltete Natur. Aber man sollte sich immer der Verführung bewusst bleiben, die aus dem Zusammenspiel von eigenem Perfektionismus, ordnungsliebenden Nachbarn, deutschen Kleingartengesetzen und Hochglanz-Gärtnerei-Reklame erwachsen kann.

      Für meine grüne Seele, die dem Unperfekten huldigt, gibt es in meinem Garten eine Ecke, in der ich nichts tue. Dort kommen kein Spaten, keine Hacke und keine Samentüte hin. Es ist eine Ecke neben der Dusche, ein recht schattiger, unwirtlicher Platz. Dort wuchs nichts, was ich aussäte. Irgendwann entschied ich, der Natur dort ihren Lauf zu lassen, nichts mehr zu tun und nur noch zu beobachten, was passiert.

      In diesem Frühjahr schoben sich dort plötzlich ein paar kleine Spitzen aus der Erde. Zuerst dachte ich, es werden die üblichen Ahornbäume. Doch dann fiederten sich die Blätter immer mehr auf und kleine gelbe Blüten erschienen. Es waren Adonisröschen.

      Müde Knochen

      Abends um acht kippe ich um. Liege auf der Couch. Arme und Beine hängen bleischwer an mir herunter. Nichts geht mehr. Eine Tasse Tee wäre gut. Aber allein die Vorstellung aufzustehen, in die Küche zu gehen, Tee zu kochen und ihn zur Couch zu tragen, reicht aus, mich noch tiefer in die Kissen zu drücken.

      Ich schließe die Augen. Mein Gesicht brennt. Kann man denn im März schon Sonnenbrand bekommen? Ich spüre jeden Knochen. Der Rücken zwickt, in meinen Adern pulsiert das Blut. Muskeln tun mir weh an Stellen, wo ich gar keine Muskeln vermutet hatte.

      Den ganzen Tag habe ich mich von hinten bis vorn und wieder zurück durch den Garten gewühlt. Ihn mir wieder zu eigen gemacht. Ihn genossen. Mich in ihn eingegraben! Habe vertrocknete Stauden heruntergeschnitten, den vorderen Weg ausgebessert, zwei rechtwinklige Betonecken in runde aus Feldsteinen verwandelt. Den linken Kompost umgesetzt.

      Meine Fingernägel sind schwarz. Meine Hände fühlen sich trocken und rau an. Die Unterarme sind zerkratzt wie nach einem Katzenkampf. Das waren die Kletterrosen. Ich habe sie angebunden. Danach alles einmal gegossen. Vom Gießkannenschleppen scheinen meine Arme länger geworden zu sein. Und tatsächlich! Kann das wahr sein? Acht Mückenstiche. Um diese Jahreszeit!

      Nachmittags, als ich die Kohlen umpackte, kam meine Nachbarin Erika und lud mich zu Kaffee, Kuchen und Klönen ein. Gut, dass sie kam, vermutlich hätte ich sonst gar keine Pause gemacht. Und die Pausen mit Erika sind immer so unterhaltsam, sie kann so wunderbar erzählen.

      Danach habe ich noch Farn ausgegraben. Die Stachelbeeren brauchten dringend mehr Licht. Nun ist es luftiger geworden hinter der Weinlaube.

      Wie dreckig ich bin! Das geht nun wirklich nicht, so kann man doch nicht ins Bett. Aber zum Waschen bin ich einfach zu erledigt. Das mache ich morgen früh.

      Ach – gärtnern! Endlich! Wie hatte mir das gefehlt! Meine Lebensgeister sind erwacht. Aber mein Körper – oje. Ich muss wohl auch in diesem Jahr wieder lernen, dass ich keine Zwanzig mehr bin. Nicht alles auf einmal wollen. Immer schön geduldig, nach und nach … Der Sinn des Gartens ist bestimmt nicht, dass ich abends nicht mehr kriechen kann.

      Angesichts der Erschöpfung fällt mein Geist allmählich in Trance. Bilder des Tages ziehen vorbei. Dieses Tier im Holzstapel, das wie verrückt nagte und mich ganz nervös machte. Eine Maus? Entdecken konnte ich sie nicht. Nur hören. Wer frisst denn Holz? Holzwürmer sind doch nicht zu hören? Oder? Man weiß gar nichts. Der Garten – ein fremder Planet … Den ganzen Tag nur geackert. Warum wundert mich, dass ich müde bin? Über die beiden runden Steinecken freue ich mich. Heißen sie eigentlich noch Ecken, wenn sie rund sind? Egal. Sie gefallen mir. … Wer sagt, dass ich ins Bett muss? Ich bleibe einfach auf der Couch liegen. Bin alt genug, das selbst zu entscheiden … Mein Gesicht glüht. Eindeutig Sonnenbrand … Irgendjemand meinte, da hilft Kefir. Wer war das nur? Und wo nehme ich jetzt Kefir her? … Oh, mein Rücken … Ja, es war zu viel für den Anfang. Das steht fest. Gut, dass ich jetzt schlafen kann. Schlaf ist etwas Wunderbares. Vielleicht bin ich auch nur von der vielen frischen Luft so kaputt. Oder vom Glück. Ich bin so selig, es würde mich nicht wundern, wenn sich das Dach auftun, der Himmel runterfallen und sich als leuchtend dunkelblauer Mantel um mich legen würde … Und während ich immer schwerer und schwerer werde und völlig mühelos in den Schlaf hinübergleite, taucht für einen Moment eine gleißende Klarheit in mir auf. Ganz deutlich. Fast eine Erleuchtung. Eigentlich sogar zwei Erleuchtungen. Ich bin nur zu müde, sie in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Sie lauten: Morgen habe ich höllischen Muskelkater. Und: Zufriedenheit ist ein anderes Wort für Garten.

Der Garten im

      Kirschbaumgezeiten

      Die beiden Kirschbäume wachsen auf der Wiese neben dem Pfirsich. Ihre mächtigen breiten Stämme, deren Rinde teils glänzt wie frisch poliert, stellenweise aber auch schon eingerissen ist und sich abschält, und ihre breiten Kronen, die vom Gartenhausdach bis zur Pforte reichen und sich in der Mitte berühren, dominieren das Bild der vorderen Gartenhälfte. Dass sie alt sind, sieht man sofort. Besonders der hintere Baum ist mit Pilzen und Flechten bewachsen, an manchen Stellen des Stammes ist Harz ausgetreten, hart geworden und leuchtet nun bernsteinfarben in der Sonne. Wahre Riesen sind sie, nicht solche Halb- oder Viertelstämme, wie man sie heute gern als Obstbäume setzt. Als man sie pflanzte, wollte man noch zu Bäumen aufsehen und ausreichend von ihnen ernten.

      Ein Mann aus der Gegend, nach dem Alter dieser beiden Bäume befragt, erzählt: Er hätte Anfang der Fünfzigerjahre, wenn er die Schule schwänzte, natürlich nicht nach Hause gehen können. Das hätte mächtigen Ärger gegeben. Also wäre er den ganzen Vormittag S-Bahn gefahren. Besonders geeignet sei dazu die Ringbahn gewesen, in ihr konnte er einfach bis zum Schulschluss sitzen bleiben, sei immer schön im Kreis gefahren und habe sich die Stadt angeguckt. Und bei dieser Gelegenheit hätte er von der S-Bahn aus immer diese beiden Kirschbäume gesehen, deren Kronen schon damals die Höhe des Bahnsteigs überstiegen und voller glänzender roter Früchte hingen. Und immer wäre ihm dann das Wasser im Mund zusammengelaufen und er hätte sich in diesen Garten geträumt und sich danach gesehnt, einmal in diese Bäume zu klettern und sich den Bauch voller Kirschen schlagen zu dürfen …

      Ich bin froh, diese Geschichte zu hören. Nun weiß ich, dass meine Kirschbäume in den Fünfzigerjahren schon wenigstens zwanzig Jahre alt gewesen sein müssen, was bedeuten würde, dass sie wahrscheinlich 1930 bei Anlage des Gartens gepflanzt wurden. Somit sind sie heute über achtzig Jahre alt. Und trotzdem noch so kraftvoll und blühfreudig!

      Im April ziehen die Kirschveteranen ihre Hochzeitsgewänder an. An jedem noch so kleinen Zweig sitzen die schneeweißen Blütenbüschel, dicht an dicht, leuchten in der Sonne und duften vor sich hin. Alle Menschen, die in den Garten kommen, stellen sich auf die Kirschwiese, legen den Kopf in den Nacken, gucken ganz selig und bestaunen die tausenden kleinen Blumensträuße vor dem blauem Frühlingshimmel. Genüsslich ziehen sie den Duft durch die Nasenlöcher, rufen Ah! und Oh!, und hören erst damit erst auf, wenn sie Genickschmerzen bekommen.

      Dann summt und brummt es dort oben, die Nektarsucher wissen gar nicht, wo sie in diesem Überangebot zuerst naschen sollen, umschwirren die Kronen, aus deren Inneren eine berauschende


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