Die Revolverreiter von Dodge City: Western Bibliothek 10 Romane. Pete Hackett
dichter.
Tonto bückte sich schweigend nach dem toten Desperado und zerrte ihn zur Schwelle. Baxter wollte aus dem Türrahmen ins Freie treten. Er wankte etwas. Tonto war dicht neben ihm und rammte heftig mit dem linken Fuß gegen den knorrigen Krückstock. Gleichzeitig ließ er Boynton los und schnellte schräg in die Höhe.
Baxter verlor das Gleichgewicht und versuchte sich an die Hüttenwand zu stützen. Dicht vor ihm kam Tonto empor. Baxters Coltlauf ruckte herum – und für einen schrecklichen Moment glaubte Tonto, die Kugel würde ihn mitten in den Kopf treffen.
Doch Baxter zögerte einen Moment mit dem Abdrücken, und das war Tontos große Chance!
Seine geballte Rechte landete knallhart an Gray Baxters Kinnwinkel.
Die Gestalt des großen Mannes erschlaffte jäh. Der Revolver fiel zu Boden, ohne dass die Kugel den Lauf verlassen hätte.
Tonto fing den Zusammenbrechenden auf und ließ ihn behutsam zu Boden gleiten. Er lehnte ihn mit dem Rücken gegen die Blockhauswand und legte ihm den Krückstock quer über die Knie. Benommen bewegte Baxter den Kopf.
„Tut mir leid!“ murmelte Tonto gepresst. „Ich musste es tun! Ich hatte wirklich keine andere Wahl!“
Dann drehte er sich ab und rannte zum Korral hinüber. Seine Gedanken waren schon wieder bei Sally und ihrem Bruder. Er wusste, wie viel Zeit verlorengegangen war, und die Sorge wühlte heiß in ihm.
Der Kentucky Fuchs war noch gesattelt, und im Scabbard steckte das Henry Gewehr. Als Tonto das Gatter öffnete, kam ihm Red Blizzard leise wiehernd entgegen.
Sekunden später saß Tonto im Sattel und trieb den Hengst auf den engen Schluchtausgang zu. Ein letzter Blick über die Schulter zeigte ihm, dass sich Gray Baxter bereits wieder hochgerichtet hatte. An die Balkenwand der Blockhütte gelehnt, spähte er, eine Hand über die Augen gelegt, hinter Tonto her …
*
Cleve Milburn fuhr mit der Zungenspitze nervös über die ausgetrockneten Lippen. Ein Flackern war in seinen dunklen Augen.
„Da! Da hinter dem Felsen hat sich etwas bewegt!“, flüsterte er.
Schon ruckte sein Revolver in die Höhe.
„Nicht, Cleve!“, raunte ihm Sally zu. „Denk daran, dass wir mit der Munition sparsam sein müssen.“
Ihr Bruder schluckte. Verzweifelt schaute er sich um.
„Sie erwischen uns!“, keuchte er. „Sie erwischen uns todsicher!“
„Du darfst nicht die Nerven verlieren, Cleve!“, sagte Sally fest. Ihre feingliedrigen Hände umklammerten den Schaft der Winchester 73.
Ihre roten Lippen zuckten. Sie war alles andere als ruhig. Aber sie wusste, dass die Panik ihren jungen Bruder überwältigen würde, wenn auch sie ihre Furcht offen zeigte. Ihr Herz hämmerte wie rasend, während auch sie die schattenhaften Bewegungen hinter dem Geröll und den Felsklötzen hangabwärts erkannte. Ihre Bluse war staub- und schweißverschmiert. Eine kupferfarbene Haarsträhne hing ihr in die Stirn.
„Na, ihr beiden da oben?“, tönte eine höhnische Stimme den Hang herauf. „Könnt ihr es noch erwarten? Immer mit der Ruhe! Bald sagen wir euch auf unsere Art, guten Tag!“
Zu Fuß besaßen die Banditen ausreichende Deckung, um das Plateau zu erreichen, ohne von den Kugeln der verzweifelten Verteidiger erwischt zu werden. Sie ließen sich Zeit, sie waren sich ihrer Sache vollkommen sicher. Ein gelegentliches Huschen, Kollern von Steinen, Schaben von Stoff gegen Fels – das war alles, was Sally und Cleve von den Gegnern wahrnahmen.
Cleve Milburn bewegte unbehaglich die Schultern.
„Sally! Wir müssen etwas unternehmen! Dieses Warten macht mich noch verrückt! Sally, wir müssen auf die Pferde! Wir müssen einen Durchbruch versuchen!“
Sie wusste, dass dieser Durchbruch im Kugelhagel der Verbrecher enden würde. Aber vielleicht war das wirklich besser, als noch länger untätig auf den sicheren Tod zu warten. Die Übermacht der Baxter Bande war einfach zu groß, dass sie sich eine noch so geringe Chance ausrechnen konnten! Und wie diese Desperados gezeigt hatten, schreckten sie keineswegs davor zurück, ihre Schießeisen auch auf eine Frau abzufeuern.
Sally seufzte. „Also gut, Cleve! Einverstanden! Holst du die Pferde?“
Er nickte stumm und wollte von dem Felsblock rückwärts das Plateau überqueren. Da tauchten die ersten beiden Angreifer zwischen einigen Felsklötzen seitlich der Aufstiegsrinne auf und begannen sofort zu schießen.
Sally und Cleve warfen sich instinktiv flach auf den Boden. Sie schossen gleichzeitig. Ein Bandit verschwand rückwärts kippend zwischen dem Geröll, der zweite duckte sich fluchend in Deckung zurück.
Nun wurde es überall am Rand des halbkreisförmigen Felsplateaus lebendig. Revolver und Gewehrläufe erschienen hinter Felsblöcken. Jemand schrie wild: „Drauf auf sie, Leute! Bringt es zu Ende!“
Schüsse knatterten in rasender Reihenfolge los.
Cleve Milburn ächzte entsetzt. Sallys Hand krallte sich plötzlich in seine Schulter.
„Cleve! Sieh nur, Cleve sieh!“
Das Hämmern der Schüsse dauerte an. Schmetternde Schläge gegen kantiges Gestein waren zu hören. Staubfontänen spritzten zwischen dem Geröll empor. Banditen fluchten und schrien.
Cleve Milburn hob den Kopf und sah den nächsten Angreifer eben mit einer halben Drehung zusammenbrechen. Die anderen warfen sich hastig in ihre Deckung zurück. Und jetzt erst erfasste Cleve, dass die rasenden Schüsse vom Tal heraufkamen, aus einem Gewehr blitzschnell abgefeuert.
Sekunden später sahen er und seine Schwester unten vor dem Hang einen Reiter zwischen verkrüppelten Kiefern und Felstürmen auftauchen.
Ruhig und aufrecht saß er im Sattel eines rotbraunen Pferdes. Er schien eben sein Gewehr nachgeladen zu haben, denn er zog den Kolben wieder an die Schulter hoch. Und schon wieder stach Mündungsflamme um Mündungsflamme aus dem kurzen, blinkenden Lauf. Der Mann repetierte und schoss mit einer Geschwindigkeit, wie sie Cleve Milburn noch bei keinem Gewehrschützen erlebt hatte.
Neben ihm schien Sally beim Anblick dieses Reiters zu erstarren. Ihre Arme fielen herab.
„Tonto!“, stieß sie hervor.
Der junge bärtige Mann in der staubbedeckten Reiterkleidung feuerte das halbe Magazin auf den Felshang ab, wo die Banditen kauerten. Dann schwang er mit einem schrillen Kriegsruf die Waffe über den Kopf und lenkte seinen Fuchshengst hinter die Kiefern und Felstürme zurück. Ein Schleier von Pulverrauch zerwehte an der Stelle, wo er sich eben noch aufgehalten hatte.
Das Echo der Schüsse verrollte an den Hängen der Elk Mountains. Tiefe Stille breitete sich aus.
Sally Milburn hatte sich hinter dem Felsblock aufgerichtet und starrte wie gebannt ins Tal hinab. Cleve richtete sich halb hoch, fasste ihren Arm und zog sie in die Deckung zurück. Unruhe malte sich auf seinem Gesicht.
„Ich fürchte“, murmelte er gepresst, „er kann uns auch nicht viel helfen!“ Sally schien die Worte gar nicht zu hören. Ein seltsames Leuchten stand in ihren Augen.
Matter Hufschlag wehte vom Tal herauf. Die Stille am Felshang wurde von einer scharfen wütenden Stimme zerrissen.
„Zu den Gäulen, Männer, los, los! Jeff, Dan und Will, ihr bleibt hier und achtet darauf, dass die beiden Vögel da oben nicht ausfliegen, klar? Ihr anderen kommt! Tonto darf uns nicht entwischen! Ihr wisst, dass er unser Versteck kennt! Dieser verfluchte Coyote! Der Teufel soll ihn holen!“
Am Stiefelscharren und am Poltern von Gestein erkannten die Milburn Geschwister, dass sich die Banditen hangabwärts zurückzogen. Unten schnaubten und wieherten Pferde.
Wieder war die Stimme des Bandenführers zu hören: „Schneller, Teufel noch einmal, schneller! Wenn uns der Halunke entwischt, sind wir geliefert!“ Steigbügel klirrten, Sattelleder knarrte.